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Grüne Schleier?   Heft 1/2004
Europavisionen
Ode an die Freude?

Seite 9-12
Europäisches Umweltrecht und Legitimationsverlust  
 

Über die rechtlichen und tatsächlichen Folgen der EU-Osterweiterung lässt sich trefflich streiten: Kommen jetzt PolInnen, EstInnen und SlowenInnen und schnappen uns auch noch die letzten Arbeitsplätze weg? Oder werden wir mal wieder bei denen einfallen und neben günstigen Liegenschaften sowie letzten Filetstücken zu privatisierender Unternehmen auch wichtige Gestaltungsmöglichkeiten demokratischer Selbstbestimmung okkupieren? Mit dem Beitritt haben sich die mittel- und osteuropäischen Länder verpflichtet, ca. 80.000 bis 90.000 Seiten an Normen, d. h. die gesamten Rechtsakte der EU, den sogenannten Acquis Communautaire, zu übernehmen. Dieser enthält neben rechtlichen Grundlagen für unerwünschte Konsequenzen zumindest einen Normenkomplex, dessen Implementation wenigstens hierzulande allseits begrüßt wird: Den des europäischen Umweltrechts.
Hierzu sollen in diesem Artikel einige Überlegungen angestellt werden. Die Lösung der ökologischen Probleme in Mittel- und Osteuropa stellt eine große Herausforderung dar. Können die Normen des "Umweltacquis" tatsächlich Instrumente sein, diese zu bewältigen? Um diese Frage in Ansätzen zu beantworten, sollen zunächst in groben Zügen Aspekte der ökologischen Situation in den Beitrittsstaaten dargestellt und in Bezug zu hierfür relevanten Normen des europäischen Gemeinschaftsrechts gesetzt werden. Im Ergebnis wird der materielle Gehalt der Normen durchaus positiv bewertet, dessen tatsächliche Durchsetzbarkeit aber aufgrund des undemokratischen Normsetzungsverfahrens ernsthaft in Zweifel gezogen werden.

Man kann sagen, dass die mittel- und osteuropäischen Länder zum Zeitpunkt der Regimewechsel aus ökologischer Sicht zweigeteilt waren. Als eine Folge der zentralistischen, auf quantitatives Wachstum ausgerichteten Systeme mit der Tendenz, Produktionsstätten an den Orten der Energieerzeugung anzusiedeln, finden sich auf der einen Seite ökologisch schwer geschädigte Regionen, die sogenannten Hot-Spot-Gebiete. Das bekannteste Beispiel ist sicher das durch Braunkohleabbau schwer geschädigte Schwarze Dreieck im Dreiländereck Tschechien, Polen und BRD. Daneben gibt es viele dünn besiedelte, noch relativ unberührte Gegenden, die z.B. eine hohe Artenvielfalt aufweisen.1 Aufgrund der transformationsbedingten Stilllegung vieler Betriebsanlagen entspannte sich die Lage in den Hot-Spot-Gebieten Anfang der 90er Jahre etwas, es traten die sog. rezessionsbedingten ökologischen Gratiseffekte ein. Mit einsetzendem Wirtschaftswachstum seit Mitte der 90er Jahre nehmen dafür Umweltprobleme westlichen Musters, z.B. steigendes Verkehrsaufkommen und Konsumgüterproduktion zu. Anfänge moderner Umweltpolitik sowie Unterstützung seitens internationaler Institutionen, beispielsweise durch das Phare-Programm der EU im Schwarzen Dreieck, üben teilweise lindernden Einfluss aus, sind aber unzureichend. Diese allgemeinen Charakteristika kann man auch in der Betrachtung einzelner ausgewählter Umweltbereiche wiederfinden.

Stadt Land Fluss

Die Luftverunreinigung durch traditionelle Luftschadstoffe wie Schwefeldioxid (SO2), Kohlenmonoxid (CO) und Stickoxide (NoX) als auch durch Klimagase wie v.a. Kohlendioxid (CO2) ist ein dringendes Umweltproblem in Ost- und Mitteleuropa.2 Trotz eines beachtlichen rezessionsbedingten Rückgangs [in Tschechien z. B. von 180 kg/Person (1990) auf 80 kg/Person (1997), ähnlich in Estland von 160 kg/Person (1990) auf 90kg/Person (1997)]3, übersteigen die Luftschadstoffemissionen insgesamt den europäischen Durchschnitt um ein zwei- bis dreifaches. Die bekannten Folgen sind vermehrter Sommersmog, saurer Regen, Eutrophierung von Boden und Gewässern. Tendenziell wird im Bereich der Luftverunreinigung eine Angleichung an westliche Emissionsprofile beobachtet. Die Schadstoffemissionen, die über westlichem Niveau liegen, nehmen grundsätzlich - wenn auch nicht schnell genug - ab, diejenigen, die zumindest relativ niedrig waren, nehmen zu. Ein Beispiel hierfür wären die CO2-Werte in Slowenien, die seit 1990 kontinuierlich angestiegen sind. Ein virulentes Problem ergibt sich insb. aus der Zunahme des Personenkraftverkehrs seit Mitte der 90er Jahre (z.B. Polen 70% mehr PKW von 1989 bis 1995; bis 2010 wird ein Zuwachs um weitere 60% erwartet).

Die zentrale Norm des europäischen Rechts im Bereich der Luftreinhaltung ist die Rahmenrichtlinie Luft4 mit der Tochterrichtlinie über Schwefeldioxid, Stickstoffdioxid, Partikel und Blei. Sie zielt auf eine Intensivierung und Vereinheitlichung europäischer Umweltpolitik im Bereich der Luftreinhaltung. Insbesondere werden Grundlagen für die Definition und Festlegung von Luftqualitätszielen vorgeschrieben sowie Grundsätze zur Anwendung einheitlicher Methoden und Laborstandards aufgestellt. Daneben wird die Verpflichtung zur Information der Öffentlichkeit normiert (Festlegung von Alarmschwellen). In der Tochterrichtlinie werden konkrete Grenzwerte und Verfahren (z. B. Messverfahren, Mindestzahl von Probeentnahmen) bezüglich SO2, NoX, Partikel und Blei in der Luft bestimmt und, worauf es letztlich ankommt, die Mitglieder zur Einhaltung der Grenzwerte verpflichtet.
Grundsätzlich scheint hier ein rechtliches Instrumentarium zu existieren, mit dem die Aufgabe der Schadstoffbegrenzung wirksam angegangen werden kann. Adäquat für die Hot-Spot-Gebiete sind Normen, die vorschreiben, für Gebiete, in denen bestimmte Grenzwerte und Toleranzmargen überschritten werden, Pläne mit Gegenmaßnahmen aufzustellen sowie die Öffentlichkeit und die Kommission zu informieren. Generell können Verpflichtungen, die sich nicht auf die Festlegung bestimmter Grenzwerte beschränken, sondern darüber hinaus spezielle Verfahren festlegen, einen intensiveren Rechtsschutz bewirken.

Wasser

In Mittel- und Osteuropa besteht das Problem der Übernutzung der natürlichen Wasservorräte und unzureichender Abwasserreinigung.5 Es lässt sich jedoch ein Rückgang industriellen, kommunalen und landwirtschaftlichen Wasserverbrauches feststellen. Ursächlich hierfür sind wiederum die ökonomische Transformation, aber auch die Anhebung der Wasserpreise und die Förderung effizienter Wassernutzung. Mit dem Wirtschaftsaufschwung wird auch wieder ein Anstieg des Wasserverbrauchs erwartet. Im Jahr 2000 lag der industrielle Wasserverbrauch um ein zwei- bis dreifaches über dem OECD-Durchschnitt. Die Qualität der Oberflächengewässer ist sehr uneinheitlich, besonders die Ostsee und das Schwarze Meer sind als von geringem Wasseraustausch betroffene Binnengewässer anfällig dafür, eingeleitete Schadstoffe zu akkumulieren. Kommunale Abwässer werden, wenn überhaupt, unzureichend gereinigt. Erhebliche Anteile der Bevölkerung sind nicht an die Kanalisation angeschlossen. Durch die Versickerung ungeklärten Abwassers, v.a. in ländlichen Gebieten, ist die Trinkwasserversorgung der Bevölkerung stark beeinträchtigt. In Polen z.B. versorgt sich (Daten von 2000) die Hälfte der Landbevölkerung mit Wasser aus handbetriebenen Brunnen, die von einer starken Nitratbelastung betroffen sind.6
Zentrale Norm im Bereich des Gewässerschutzes ist die Wasserrahmenrichtlinie,7 in der den Mitgliedstaaten konkrete Zeitpläne und Arbeitsschritte zur Verbesserung ihrer aquatischen Umwelt bis 2015 vorgegeben werden. Weitere wichtige Normen sind die Oberflächengewässerrichtlinie8 oder die Trinkwasserrichtlinie,9 die Qualitätsanforderungen für Gewässer, die der Trinkwassergewinnung dienen, festlegen und deren Umsetzung damit unmittelbar dem Gesundheitsschutz der Bevölkerung dienen würde. Die Kommunalabwasserrichtlinie10 regelt hingegen den Schutz der Küsten und Binnengewässer, indem für Siedlungen, die eine Schmutzfracht von über 2000 EinwohnerInnen einleiten, eine biologische Abwasserbehandlung und der Bau einer Kanalisation vorgeschrieben wird. Grundsätzlich kann man hieraus folgern, dass sich der in diesen Vorschriften festgeschriebene Sollzustand verglichen mit dem Status Quo in den Beitrittsstaaten als durchaus erstrebenswert darstellt.

Im Bereich der Abfallwirtschaft herrscht eine besonders schlechte Lage.11 Die Produktion industrieller Abfälle übersteigt den EU-Durchschnitt deutlich (EU 1 t pro Jahr und Einwohner, Tschechien 1,7, Estland sogar 5). Daneben nehmen, bedingt durch den Anstieg der Konsumgüterproduktion, die Verpackungsabfälle zu. Modernes Abfallmanagement findet hingegen kaum statt. Exemplarisch sei Polen genannt, wo 99% der Abfälle auf Deponien gelagert werden, die allerdings mehrheitlich nicht gegen Versickerung von Umweltgiften wie z.B. Schwermetallen gesichert sind. Wenigstens aber gibt es Deponien. In Ungarn dagegen bestand 1998 für nur ca. 50% der Bevölkerung ein organisiertes Abfallsystem, der Rest entsorgte den Müll am Waldrand oder in still gelegten Bergwerkshallen. Wiederum bieten hier die europäischen Vorgaben (Abfallrahmenrichtlinie12, Richtlinie über gefährliche Abfälle13, Verbrennungsanlagenrichtlinien, Richtlinien über Verpackungen und Verpackungsabfälle, Deponierichtlinie14) sinnvolle Rahmenvorgaben für den Erlass moderner Abfallgesetze, der ja auch teilweise bereits stattgefunden hat.

Gar nicht mal so schlecht ...

Diese einzelnen Beispiele sollen die Feststellung illustrieren, dass das europäische Umweltrecht zumindest partiell Normen bereitstellt, die geeignet sind, positiv auf den Umweltzustand in den Beitrittsstaaten einzuwirken. Zumindest theoretisch. Wie sieht es aber in der Praxis aus? Vertragsrechtlich scheint es, dass die Beitrittsstaaten ihrer in den Beitrittsabkommen vereinbarten Verpflichtung zur Übernahme wesentlicher Partien des Umweltacquis auch nachgekommen sind, sonst dürften sie ja nicht beitreten. Dass sie ihre Verpflichtung auch tatsächlich insgesamt erfüllt haben, wird ihnen in den abschließenden Fortschrittsberichten der Kommission auch bescheinigt ("beachtliche" bis "sehr gute" Fortschritte).15 Die formale Umsetzung in nationales Recht ist aber auch nicht so schwierig, man muss ja nur die Gesetzestexte übersetzen. (So hat man es z.B. wohl in Bulgarien gehandhabt). Insgesamt kann man sagen, dass die Rahmengesetzgebung weitestgehend beendet ist, die ausfüllende Rechtssetzung aber z.T. noch nicht abgeschlossen oder mangelhaft ist. Das Abfallrahmengesetz der Tschechischen Republik von 1997 z.B. musste gleich wieder eingestampft werden, weil die verwendete Abfalldefinition nicht dem europäischen Begriff entsprach. Aus dem selben Grund musste auch Polen sein Abfallgesetz novellieren. Das primäre Problem bei der Implementation des europäischen Umweltrechts in den mittel- und osteuropäischen Ländern ist allerdings, wie bereits angedeutet, nicht die formale Transformation in nationales Recht, sondern, was auch in den Mitgliedsstaaten den zentralen Missstand darstellt, der tatsächliche Vollzug. Zwei Aspekte sollen hierbei hervorgehoben werden: Verwaltung und Finanzierung.

Ohne Moos nix los

Die weitgehende Abschaffung der kommunalen Selbstverwaltung, also der Handlungsfähigkeit auf lokaler Ebene, die Ablehnung des Prinzips der Gewaltenteilung, also nicht nur eine unzureichende, sondern gar keine gerichtliche Kontrolle staatlichen umweltschädlichen Handelns, stellen ein schweres Erbe für den Aufbau halbwegs handlungsfähiger Verwaltungsstrukturen dar. Unzureichende Behördenkoordination, Kompetenzüberschreitungen, zu wenig und zu schlecht geschultes Personal, aber auch eine mangelnde verwaltungsgerichtliche Praxis wären hier anzuführen.
Daneben tritt das Problem der Finanzierung: Die materiell-technische Umsetzung der rechtlichen Vorgaben, etwa in Form der Errichtung von Deponien, Verbrennungsanlagen und Klärwerken, ist kostenintensiv. Die Kommission schätzt die Kosten in einer Studie auf insgesamt 108-121 Mrd. Euro. Dementsprechend haben die Beitrittsstaaten, am europäischen Durchschnitt gemessen, in den letzten Jahren einen hohen Anteil ihres Bruttoinlandsproduktes in die Umwelt investiert (Estland 3% jährlich16, Tschechien 2,4 %17).
Das hat aber längst nicht gereicht. In Anbetracht dessen wurden den Beitrittsstaaten zur Umsetzung einiger Richtlinien Übergangsfristen bis 2015 gewährt.18 Dies gilt v.a. für diejenigen Normen, deren Umsetzung mit hohen finanziellen Aufwendungen verbunden ist, wie die Kommunalabwasserrichtlinie, die Richtlinie über die Verbrennung gefährlicher Abfälle, die Richtlinie über Verpackungsabfälle oder die Trinkwasserrichtlinie. Als Resultat entstehen innerhalb der EU zwei (Umwelt-)Rechtsräume. Einerseits kann man dies für realistisch halten. Zumindest ohne deutlich intensivere finanzielle Förderung wäre eine Angleichung an das aktuelle Niveau der EU nicht annähernd zu bewältigen gewesen. Man hätte also den Beitritt verschieben oder mehr Geld locker machen müssen, beides wollte offensichtlich keiner derjenigen, die darüber zu entscheiden hatten. Was bedeutet das aber für die Entwicklung der umweltrechtlichen Standards in der EU insgesamt, die ja sowieso bereits zu stagnieren oder gar zu regredieren drohen, obwohl sie eigentlich dringend ausgebaut werden müssten?19
Wodurch wird sichergestellt, dass die Mitgliedsstaaten auch tatsächlich die vereinbarten Standards durchsetzen? Oder ist eher das Gegenteil, eine Angleichung der Mitgliedsstaaten an das osteuropäische Niveau zu befürchten? Natürlich stehen zur Durchsetzung nicht eingehaltener Vertragsverpflichtungen und Richtlinien Sanktionsinstrumente zur Verfügung, aber ob man diese im Bereich des Umweltrechts tatsächlich konsequent anwenden wird, ist ausgesprochen zweifelhaft und würde zumindest eine deutliche Abkehr von der bisherigen Praxis bedeuten. Somit ergeben sich aus verschiedenen Gründen Zweifel an einer konsequenten Durchsetzung der Normen des Umweltacquis nach dem Beitrittszeitpunkt. Einer davon soll hier näher betrachtet werden.

Umweltpolitik per Zwang ...

Der Prozess der Rechtssetzung in den Beitrittsländern stellt eine Form von Rechtstransfer dar, die durch starke Zwangselemente gekennzeichnet ist.20 Die Beitrittsstaaten werden einseitig verpflichtet, einen komplexen legislativen Apparat zu übernehmen, der in einem fremden kulturellen Kontext über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten entwickelt wurde.21
Zur Übernahme dieses Rechts dürfte, zumindest nach der subjektiven Wahrnehmung der AkteurInnen, keine reale Alternative bestehen, da deren Hauptaugenmerk darauf gerichtet ist, möglichst schnell halbwegs funktionierende marktwirtschaftliche Strukturen zu entwickeln, wofür die Integration in den Binnenmarkt als unverzichtbare Voraussetzung erscheint. Erzwungen ist der Rechtstransfer, weil in den Empfängerstaaten eine mangelhafte Nachfrage nach umweltpolitischen Innovationen besteht,22 man könnte auch sagen: Freiwillig interessiert sich momentan niemand für Umweltangelegenheiten. Aus politikwissenschaftlicher Sicht wird dazu die These formuliert, erzwungener Rechtsimport sei grundsätzlich unvollständig. Die Idee, die der Politik zugrunde liege, werde nicht mit transferiert. Dies begründe die Gefahr der Entstehung von Implementationsdefiziten und damit Politikversagen.

Die Voraussetzung dafür, dass die Normen funktionieren, sei eine breit geteilte Wünschbarkeit der Zielzustände23, die mit der transferierten Politik erreicht werden sollen (also eine bessere Umweltsituation). Dies erscheint als Grundvoraussetzung für die Bereitschaft, auch die Kosten der Umsetzung zu tragen. Politik ist also nicht das Resultat von Sachzwängen, sondern entscheidend mit bestimmt von kognitiv verfügbaren Handlungsoptionen24. Diese bilden sich im gesellschaftlichen Diskurs heraus, der politischen Entscheidungen vorausgeht, aber nicht stattfindet, wenn politische Entscheidungen aufgrund von Zwang getroffen werden. Einfacher gesprochen: Wozu man keine Lust hat, klappt meistens schlechter, weil man sich weniger damit beschäftigt. Das Widerstreben der AdressatInnen endet in Politikversagen, eben weil durch den Zwang das Recht zu übernehmen eine Auseinandersetzung mit der Idee, die hinter der Norm steht, nicht stattfindet.

Dies zeichnet sich auch in den Beitrittsländern ab. Die Verpflichtung zur Übernahme des Umweltacquis ist dort der Hauptantrieb umweltrechtlicher Aktivitäten geworden, umweltpolitische Diskurse wurden, wohl noch deutlicher als bei uns, von den dringenden sozialen Folgen der Transformationsprozesse in den Hintergrund, um nicht zu sagen ins völlige Abseits gedrängt. Die Normen müssen übernommen werden, weil das Voraussetzung für den Beitritt ist. Die Ratio der Normübernahme wird also gelöst von der Ratio der ursprünglichen Normschaffung. Damit ändert sich die Natur der Rechtsnorm, die eigentlich das Resultat einer Mehrheitsentscheidung nach einer Diskussion über die beste Lösung eines bestimmten Problems ist, grundlegend.

... eine feine Sache?

Aus dem bis jetzt Dargestellten ergibt sich meines Erachtens eine paradoxe Situation. Die beschriebenen Normsetzungsverfahren genügen demokratischem Verständnis überhaupt nicht. Das Argument, dass die aufoktroyierten Normen in fremden kulturellen Kontexten entwickelt wurden, kann man vielleicht noch entkräften. Der kulturelle Kontext ist möglicherweise nicht so fremd, auch in den Beitrittsländern hat ja mehr oder weniger parallel zu Westeuropa, wenn auch unter anderen Rahmenbedingungen, eine Entwicklung von Umweltbewusstsein und Umweltbewegungen stattgefunden. Weiter genügen die Normen des europäischen Umweltrechts in der Regel tatsächlich dem Subsidiaritätsprinzip, indem Rahmenvorgaben gemacht werden, die konkrete Umsetzung aber offen gelassen wird. Damit scheint eine Anpassung an andere kulturelle Kontexte grundsätzlich möglich.
Das ändert aber nichts daran, dass der Normsetzungsprozess in einem Abhängigkeits- oder auch Zwangsverhältnis stattfindet. Die Normen sind damit ein (zentrales) Medium, mit dem innerhalb eines hierarchischen, nicht gleichberechtigten Verhältnisses demokratisch nicht legitimierte Macht ausgeübt wird, also ein Machtinstrument innerhalb eines Unterdrückungsverhältnisses.
Gleichzeitig ist aber der materielle Gehalt zumindest einiger dieser Normen auf die Förderung demokratischer Prozesse gerichtet. Ein herausragendes Beispiel hierfür ist m.E. die Umweltinformationsrichtlinie25, derzufolge alle EU-BürgerInnen, ohne die Schwelle des Nachweises eines besonderen persönlichen Interesses überwinden zu müssen, einen relativ uneingeschränkten Informationsanspruch gegenüber allen mit Umweltangelegenheiten befassten Behörden haben. Natürlich herrscht auch hier ein immenses Implementationsdefizit. UmweltaktivistInnen in Polen bemängeln u. a., dass die Rechtsausübung vereitelt werde, indem z.B. nicht einhaltbare Fristen gesetzt werden.26. Aber die Existenz eines solchen Rechts überhaupt, und das BürgerInnen/Verbände es geltend machen, kann man als Element demokratischer Prozesse betrachten. Ist es also möglich, in undemokratischen Verfahren vermittelt über das Medium rechtlicher Vorschriften Demokratie zu implementieren?

Gar nicht mal so gut ...

Diese Problematik lenkt den Blick auf die Frage nach der Natur der Rechtsnorm. Kann man sagen, dass das Vorhandensein eines Gesetzes grundsätzlich bereits eine bestimmte Form von objektivem Sollen, also einen Schritt in Richtung der Verwirklichung des materiellen Normgehaltes darstellt? Wenn der Normsetzungsprozess in einem demokratisch legitimierten Verfahren stattgefunden hat, kann man das vielleicht annehmen. Ein solches Verfahren hat aber gerade im Erweiterungsprozess nicht stattgefunden. Beachtet man daneben weitere Delegitimierungsvorgänge, wie z.B. den globalisierungsbedingten Verlust makroökonomischer und fiskalischer Steuerungsinstrumente auf nationalstaatlicher Ebene und den damit einher gehenden Verlust der Fähigkeit zur Redistribution sozialer Ressourcen, die dazu führen, dass allgemein Normsetzungsprozesse auf dieser Ebene von Legitimationsverlusten betroffen sind, muss man diese Frage wohl verneinen.

Vielleicht wird durch Normsetzung in solchen Verfahren sogar eher das Gegenteil erreicht. So könnte man überspitzt formulieren, dass sich in Ost- und Mitteleuropa im Bereich des Umweltrechts die Entwicklung der Menge an Gesetzen umgekehrt proportional zur Menge demokratischer Diskurse, die eigentlich der Verabschiedung solcher Gesetze vorausgehen sollten, verhält. Daraus könnte man folgern, dass solche Gesetze, auch wenn sie materiell die Förderung demokratischer Prozesse beinhalten, eben auch geeignet sind, das Verschwinden demokratischer Prozesse zu verdecken. Nach traditionellem demokratischem Verständnis indiziert die Existenz eines Gesetzes, dass ein Diskurs stattgefunden hat. Das aber ist ja gerade nicht mehr der Fall. Damit könnte also der auf vielen Ebenen stattfindende Verlust demokratischer Legitimität verschleiert werden, ebenso wie die Notwendigkeit, die durch die Globalisierungsprozesse erforderlich gewordenen neuen politischen Handlungsformen und neuen Formen der Begründung demokratischer Legitimität zu entwickeln.

Maike Hellmig hat Jura studiert und lebt in Köln.

Anmerkungen:

1 v. Hohmeyer u.a. 2001, 25.
2 Ebd., 30 f.
3 Ebd.
4 Richtlinie (RL) 96/61/EG über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung, ABl. EG v. 10.10 1996 Nr. L 257.
5 v. Homeyer u.a. 2001, 25 ff.
6 Ebd., 29.
7 RL 60/2000/EG zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik, ABl. EG Nr. L 327.
8 RL über die Qualitätsanforderungen an Oberflächengewässer für die Trinkwassergewinnung, ABl. EG v. 25.07.19975 Nr. L 194/34.
9 RL 80/778/EWG über die Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch, ABl. EG v. 30.08.1980 Nr. L 229/30.
10 RL 91/271/EWG über die Behandlung von kommunalem Abwasser, ABl. EG v. 30.05.1991 Nr. L135/40.
11 v. Homeyer u.a. 2001, 36.
12 RL 75/442/EWG über Abfälle. ABl. EG v. 25.07.1975 Nr. L 194.
13 RL 91/689/EWG über gefährliche Abfälle, ABl. EG L 377/20.
14 RL 99/31/EG über Abfalldeponien, ABl. EG v. 16.07.1999 Nr. L 182.
15 Fortschrittsberichte unter http://europa.eu.int/comm/enlargment.
16 v. Homeyer u.a. 2001, 212.
17 Ebd., 175.
18 Siehe Fortschrittsberichte (Fn. 15).
19 Gwosdz, Michael, in: Forum Recht (FoR) 2003, 83-86.
20 Tews 2001, 10.
21 Ebd., 11.
22 Ebd.
23 Ebd., 8.
24 Ebd., 9.
25 RL 90/313/EWG über den freien Zugang zu Informationen über die Umwelt, ABl. EG Nr. L 158/56.
26 v. Homeyer u.a., 2001, 248 ff.

Literatur

von Homeyer, Ingmar/Bär, Stefani/Carius, Ingmar/Deim, Szilvia, Umweltpolitik in Mittel- und Osteuropa. Analyse der EU-Osterweiterung, 2001.
Tews, Kerstin, Politiktransfer: Phänomen zwischen Policy-Lernen und Oktroi. Überlegungen zu unfreiwilligen Umweltpolitikimporten am Beispiel der EU-Osterweiterung, FFU-Report 01/07, 2001.