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Politische Justiz   Heft 1/2004
Europavisionen
Ode an die Freude?

Seite 34
 
 

Aufgelöst

§129a StGB. Der Paragraf 129a Strafgesetzbuch (StGB) gilt unter Betroffenen wie StrafverteidigerInnen als regelrechter Ausforschungsparagraf. Denn mit dem Anfangsverdacht auf Mitgliedschaft in einer "terroristischen Vereinigung" eröffnet sich den Ermittlungsbehörden ein breites Arsenal an gravierenden Sonderbefugnissen aus dem Strafverfahrensrecht. Dazu gehören neben diversen nachrichtendienstlichen und polizeilichen Überwachungsmöglichkeiten auch eingeschränkte Verteidigungsrechte. Die Ermittlungsnorm wird immer wieder genutzt, um schlecht überschaubare, wenig festgefügte und politisch verdächtige Szenen oder Gruppen zu durchleuchten. Auf Verurteilungen kommt es dabei erst in zweiter Linie an: Weit über 90 % der 129a-Verfahren gegen Linke, so ergeben regelmäßig kleine Anfragen im Bundestag, werden eingestellt.
Das scheint sich ebenfalls im Prozess gegen drei Betroffene aus Magdeburg zu bestätigen. Ihnen wird vorgeworfen, unter "wechselnden Bezeichnungen" in Magdeburg vier Brandanschläge gegen einige Fahrzeuge sowie das Gebäude des Landeskriminalamtes verübt zu haben. Bereits im November 2002 wurde gegen Daniel und Marco Haftbefehl erlassen, u.a. mit der Begründung, man habe bei einer Hausdurchsuchung mit einer Batterie, einer Fahrradglühbirne und Resten von Feuerwerkskörpern "Utensilien zur Herstellung von Sprengkörpern" gefunden. In den darauffolgenden Monaten begab sich der Staatsschutz auf die Suche nach dem erforderlichen dritten Mitglied und verhaftete schließlich Carsten, der bei einer Solidaritätsveranstaltung öffentlich aufgetreten war. Bei ihren umfassenden Ermittlungstätigkeiten agierten die StrafverfolgerInnen mit massiven Einschüchterungsversuchen gegenüber den örtlichen linken Zusammenhängen, berichtet die Verteidigung der Angeklagten.
Das Tatkonstrukt geriet bereits nach den ersten Verhandlungstagen vor dem Oberlandesgericht (OLG) Naumburg arg ins Wanken. Das OLG sah eine Verurteilung nach § 129a StGB als "nicht wahrscheinlich" an und entließ die drei aus der Haft. Bemerkenswert und gegebenenfalls auch für andere Prozesse richtungsweisend ist, dass das Gericht diesbezüglich den ansonsten geflissentlich unbeachteten persönlichen Strafaufhebungsgrund im fünften Absatz des Paragrafen herangezogen hat, wonach Mitglieder nicht bestraft werden können, deren Organisation sich inzwischen aufgelöst hat. Eine entsprechende Erklärung sei bei einem Angeklagten gefunden worden. Auch sei die Gruppe seit Ende Mai 2002 nicht mehr in Erscheinung getreten. (s.a.: www.soligruppe.de) (str)

Saubere Sächsische Schweiz

Neonazis. Als nicht aufgelöst aber gleichwohl geläutert gilt offensichtlich die kriminelle Vereinigung (§ 129 StGB) der "Skinheads Sächsische Schweiz" (SSS), die in den vergangenen Jahren mittels brutalen und teils lebensgefährlichen Terrors den Landkreis von MigrantInnen, DrogenkonsumentInnen und Linken "säubern" wollten. Die Skinheads, die auch vor Gericht nicht auf ihren gewohnten nationalen Dresscode verzichteten, erhielten Bewährungsstrafen zwischen sechs Monaten und zwei Jahren. Obgleich sich die Vorwürfe im vollen Umfang bestätigten, so die Staatsschutzkammer des Landgerichts Dresden, sprächen doch die lange Verfahrensdauer, die Geständnisse und nicht zuletzt die vorherigen Absprachen mit dem Gericht für ein mildes Urteil. Im Januar steht ein nächster Prozess gegen die Sachsenauswahl an.

Deutschtum

Nationalsozialismus. Seinen ausländischen Gefolgsleuten zeigte sich Adolf Hitler dankbar, seiner "Rassenlehre" hingegen untreu, als er im Mai 1943 in einem Erlass all jenen die deutsche Staatsangehörigkeit zusprach, die in den besetzten Gebieten unter den nationalsozialistischen Verbänden dienten. Darunter fiel auch eine Reihe niederländischer SS-Männer, die mittels eines umfangreichen Spitzelsystems den holländischen Widerstand bekämpften und die Erfassung und Deportation der untergetauchten jüdischen Bevölkerung ermöglichten. Die Kollaborateure wurden von der niederländischen Justiz in den Nachkriegsjahren als Kriegsverbrecher verurteilt. Einigen gelang allerdings die Flucht nach Deutschland, wo sie vom Auslieferungsschutz des Grundgesetzartikels 16 profitieren sollten. Die deutschen Gerichte verweigerten entsprechende Rechtshilfeersuchen aus den Niederlanden mit dem Hinweis, dass es sich bei den Geflohenen um korrekt eingebürgte Staatsangehörige handele und eine Überstellung unzulässig sei. Sie seien "völlig im Deutschtum aufgegangen" und somit "deutschstämmig im Sinne des Erlasses" des Führers. Dabei ignorierten die Gerichte wohlweislich, dass der Alliierte Kontrollrat 1945 das Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933 aufgehoben hatte und damit auch alle nachfolgenden Führererlasse. Die SS-Schergen blieben quasi auf Führers Befehl deutsch und weit gehend straflos.
Erst als Deutschland im Zuge neuer internationaler Verantwortung die Auslieferung Deutscher an Mitgliedsstaaten der Europäischen Union und an internationale Gerichtshöfe erlauben musste, konnten jene Folgen der früheren Außenpolitik offensichtlich nicht länger verhehlt werden. So ist im Oktober vor dem Landgericht Hagen das Hauptverfahren gegen den 88-jährigen Herbertus Bikker eröffnet worden, dessen Blutdruck allerdings stark mit der Verhandlungsunfähigkeit liebäugelt. Dem "Schlächter von Ommen" wird vorgeworfen, 1944 den Widerstandskämpfer Jan Houtmann ermordet zu haben.
Erfolg versprechender ist aber die Initiative des niederländischen Justizministeriums, das mit Verweis auf ein neueres EU-Abkommen von der Bundesregierung verlangt, die in den Niederlanden schon längst gesprochen Strafurteile nun in der Bundesrepublik zu vollziehen. (str)

Entlassen

RAF. Am 9. Dezember ist Rolf Clemens Wagner frei gelassen worden, nachdem Bundespräsident Rau ihn begnadigt hatte. Wagner war seit 1979 und damit am längsten unter den ehemaligen Mitgliedern aus der RAF in Haft. Derzeit sitzen noch Eva Hauptmann, Birgit Hogefeld, Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar in deutschen Gefängnissen ein.