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Neuer Vorstoß im biomedizinischen Bereich   Heft 1/2004
Europavisionen
Ode an die Freude?

Seite 32
 
 

Auch eineinhalb Jahre nach dem Inkrafttreten des Stammzellengesetzes, wonach die Forschung mit bereits existierenden importierten embryonalen Stammzellen unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt ist, kommt die Diskussion im sensiblen Bereich der Biomedizin nicht zur Ruhe. Am 29. Oktober 2003 stellte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries in einem Vortrag an der Berliner Humboldt-Universität die bisher herrschende Auffassung in Frage, der Schutz der Menschenwürde beginne bereits mit dem Zeitpunkt der Verschmelzung von Ei- und Samenzellen. Während sie dem künstlich erzeugten Embryo ab dem frühestmöglichen Zeitpunkt grundrechtlichen Schutz auf Leben zuerkenne, der sich mit den Grundrechten der Eltern und ForscherInnen abwägen lasse, spreche sie ihm die Menschenwürde ab, weil eine künstlich befruchtete Eizelle nicht die Möglichkeit habe, sich von sich heraus zum Menschen zu entwickeln. Ein weit gehender Schutz der Menschenwürde könne erst nach dem Transfer in den Mutterleib einsetzen.

Abgesehen davon, dass es statt der Abkoppelung des Menschenwürdeschutzes vom Grundrecht auf Leben angebracht wäre, die Frage zu stellen, ab welchem Zeitpunkt der Embryonalentwicklung das menschliche Leben überhaupt Träger von Grundrechten sein kann, ist der Beitrag der Bundesjustizministerin angesichts der dogmatisierten deutschen Debatte zu begrüßen. Neben der Neubestimmung des Beginns des Menschenwürdeschutzes anhand einer Klarstellung des Begriffs der Menschenwürde zielt die Bundesjustizministerin auf die Einräumung von mehr Freiheiten für die Forschung ab. Konkret betrachtet sie die Entnahme von Stammzellen aus Embryonen in vitro als verfassungsrechtlich unproblematisch, wenn diese nach Ausschöpfung der Möglichkeit des Stammzellimports erforderlich sei. Damit soll der Weg für eine künftige Lockerung des Stammzellengesetzes bereitet werden, das von Anfang an wegen der ungeeigneten Qualität der vor dem gesetzlich vorgesehen Stichtag des 1. Januar 2002 hergestellten Stammzelllinien und des mit massiven Strafandrohungen belegten Verbots bestimmter Kooperationen mit ausländischen WissenschaftlerInnen kritisiert wurde. In diesem Zusammenhang wäre allerdings konsequenter Weise auch eine Überarbeitung des Embryonenschutzgesetzes zu erwägen, das von der Annahme des Menschenwürdeschutzes für den Embryo ab der Befruchtung fast jegliche Art von Embryonenforschung verbietet. Und darüber dürfte nicht nur der Bundeskanzler hinsichtlich des Potentials der Biotechnologie für Arbeitsplätze und Unternehmen, sondern vor allem die deutsche Wissenschaftsgemeinschaft aufgrund der mit dieser Forschungsrichtung verbundenen Therapieansätze sehr erfreut sein.

Irini Kiriakaki, LL.M., Freiburg