xxx

  Thilo Scholle   Forum Recht Home

 

Demokratische Rechtsanwälte in der Weimarer Republik   Heft 3/2004
Dataismus -
eine Gesellschaft überwacht sich selbst

Seite 102-103
Max Alsberg und Rudolf Olden  
 

Das Bild der Justiz zur Zeit der Weimarer Republik war im Allgemeinen traurig. RichterInnen und StaatsanwältInnen unterschieden sich in ihrer politischen Grundeinstellung nicht von anderen bürgerlichen Funktionseliten, die im Kaiserreich sozialisiert worden waren. Ihre Haltung war national-konservativ, oft auch offen anti-republikanisch. Für die übergroße Mehrheit der deutschen JuristInnen und für ihre Standesorganisationen stellte auch die Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 kein Problem dar. Proteste gegen die Verfolgung von KollegInnen aus rassischen und/oder politischen Gründen wurden kaum laut.
Etwas differenzierter stellte sich die Situation der Anwaltschaft dar. Hier fanden sich auch AnhängerInnen bürgerlich-liberaler Parteien, zum Teil auch der Sozialdemokratie oder der KPD. Die Zeit der Weimarer Republik war eben nicht nur eine Zeit der Dominanz reaktionärer Kräfte, sondern sah auch einige große Auseinandersetzungen um rechtsstaatliche Prinzipien und eine demokratische Rechtskultur. Exemplarisch deutlich gemacht werden kann dies an der Skizzierung der Lebensläufe von Juristinnen und Juristen, die jeweils auf ihre Weise an diesen Auseinandersetzungen teilgenommen haben.
Max Alsberg und Rudolf Olden waren vor allem in der Endphase der Weimarer Republik an einigen der größten politischen Prozesse beteiligt. Wichtig war und ist ihr Einsatz für die Rechte des/der Angeklagten und gegen eine Gesinnungsjustiz, die alle gesetzlichen Vorgaben ignorierte, wenn es galt, vermeintliche "Staatsfeinde" aus der politischen Linken unschädlich zu machen.

Max Alsberg gilt als einer der "Stars" unter den RechtsanwältInnen der Weimarer Republik. Geboren im Jahr 1877, praktiziert er zwischen 1906 und 1933 in Berlin, und macht sich mit rechtswissenschaftlichen Arbeiten und als Honorarprofessor an der Universität Berlin einen Namen. Sein Buch "Der Beweisantrag im Strafprozess" gehört bis heute zu den Klassikern der strafprozessrechtlichen Literatur. Daneben schreibt Alsberg auch Theaterstücke.
Alsberg sucht sich seine Verfahren nicht nach politischen Gesichtspunkten aus. Zu seinen KlientInnen zählen in der Mehrzahl Industrielle und Mitglieder der bürgerlichen Oberschicht. In einem Verfahren vertritt er auch den ehemaligen Kaiser Wilhelm II..
Ankerpunkt seines juristischen Denkens und Handelns ist ein bedingungsloses Festhalten an der Unschuldsvermutung und die Überzeugung von der Notwendigkeit einer guten Verteidigung für jede/n Angeklagte/n. Diese Haltung führte ihn vor allem in der Endphase der Weimarer Republik zunehmend an die Seite der zugunsten von ArbeiterInnen in politischen Prozessen tätig werdenden RechtsanwältInnen.

Rudolf Olden wird 1885 geboren, und wächst in großbürgerlichen Verhältnissen auf. Er studiert Jura und nimmt als Offizier am 1. Weltkrieg teil. 1919 zieht er nach Wien, wo er für verschiedene Zeitungen zu schreiben beginnt. Anfang der 1920er verpflichtet ihn das liberale "Berliner Tageblatt" als Leitartikler. Neben seiner Tätigkeit für das Tageblatt beginnt Olden, auch für pazifistische Blätter wie die "Weltbühne" zu schreiben und sich in der Liga für Menschenrechte sowie für die Abschaffung der Todesstrafe zu engagieren.
Im Jahr 1924 eröffnet er zusätzlich ein eigenes Anwaltsbüro. Als Strafverteidiger wird Rudolf Olden oft für die Rote Hilfe, die Rechtsschutzorganisation der KPD, tätig.
Im Mittelpunkt eines der wichtigsten Fälle der Rechtsanwälte Alsberg und Olden steht der Pazifist Carl von Ossietzky (1889 - 1938). Der Herausgeber der Zeitschrift "Weltbühne" gehört zu den von der Reaktion meistverhassten politischen PublizistInnen der 1920er und frühen 1930er Jahre. Nach der Machtübernahme der Nazis im KZ interniert, wird ihm im Jahr 1936 - mit Unterstützung von Rudolf Olden - der Friedensnobelpreis zuerkannt. Retten kann ihn dies nicht, er stirbt - durch die Marter im KZ schwer krank - 1938.

Engagement im Weltbühnenprozess

Im Jahr 1931 gehören Max Alsberg und Rudolf Olden zu der Gruppe von Verteidigern, die von Ossietzky im sogenannten "Weltbühnenprozess" vor dem Reichsgericht in Leipzig verteidigen. Von Ossietzky ist angeklagt wegen Landesverrats. Hintergrund des Verfahrens ist ein in der "Weltbühne" erschienener Artikel, in dem auf nach dem Versailler Vertrag und damit auch nach der Weimarer Reichsverfassung verbotene Luftfahrtaktivitäten der Reichswehr aufmerksam gemacht wird. Diese Tatsache ist an sich für die interessierte Öffentlichkeit nichts Neues. Wer es wissen wollte, hatte Zugang zu den Informationen. Trotz dieser klaren Rechtslage wird von Ossietzky zu einer 18-monatigen Freiheitsstrafe verurteilt. Das Skandalurteil gilt als eines der eindrücklichsten Beispiele für das krass dem geltenden Recht widersprechende Vorgehen der Gerichte gegen PazifistInnen und andere GegnerInnen der Wiederaufrüstung des Deutschen Reiches.
Rudolf Olden wird für von Ossietzky 1932 in einem weiteren Verfahren tätig, diesmal mit erfreulicherem Ausgang. Der Sachverhalt ist auch für heutige Zeiten von Bedeutung. Anlass war eine Beleidigungsklage der Reichswehr wegen des ebenfalls in der Weltbühne abgedruckten berühmten Tucholsky-Zitats "Soldaten sind Mörder". Angeklagt wird nur der Herausgeber von Ossietzky, nicht der Autor Tucholsky. Rudolf Olden bringt in seinem Plädoyer Zitate unter anderem von Lao-tse, Kant, Goethe, Friedrich II. von Preußen und auch von Reichspräsident Paul von Hindenburg, die ebenfalls Soldaten in die Verbindung zu Mördern gebracht hatten. Carl von Ossietzky wird freigesprochen. Es ist einer der wenigen Siege linker Angeklagter in politischen Verfahren in der Weimarer Republik.

Nach der Machtübertragung an die Nazis 1933 muss Max Alsberg Deutschland verlassen, an eine Fortsetzung seiner Anwaltstätigkeit in Berlin ist aufgrund seiner Verteidigung von entschiedenen GegnerInnen der Nazis in politischen Prozessen nicht zu denken. Für das Selbstverständnis und den eigenen Lebensmut wohl noch schwerer wiegt ein anderer Anknüpfungspunkt für die Verfolgung durch die Nazis: Max Alsbergs Eltern waren Juden. Der religiöse Hintergrund seines Elternhauses hat für Alsberg bis dato offensichtlich keine Rolle gespielt, er ist nicht praktizierender Jude. Die politische Verfolgung führt schnell auch zur Ächtung durch Private: Der Heymanns Verlag lehnt den Druck seines bereits abgeschlossenen letzten Buches ab. Binnen weniger Wochen bricht die gesamte Welt, in der der Anwalt Alsberg lebt, zusammen. An seinem Zufluchtsort Zürich erleidet er einen totalen Nervenzusammenbruch und nimmt sich am 14. September 1933 in einem Sanatorium das Leben.

Exil

In der Reichstagsbrandnacht wird Olden vor seiner Verhaftung gewarnt. Trotzdem tritt er noch am 28. Februar 1933 vor einem Amtsgericht in Berlin auf - wohl sein Glück, denn die Häscher des neuen Regimes warten auf ihn vor dem Landgericht. Auf Skiern flieht Olden über die winterliche Grenze in die Tschechoslowakei, seine Frau folgt kurze Zeit später nach.
Die Stationen des Exils führen Olden von Prag über Paris nach London. Er engagiert sich in verschiedenen Exil-Gruppen, seine finanzielle Lage ist schlecht. Hauptsächliche Einkunftsquelle ist seine Tätigkeit als Generalsekretär der exildeutschen Gruppe des PEN-Clubs. Das Deutsche Reich bürgert Rudolf Olden 1936 aus, er ist jetzt "staatenlos". Dessen ungeachtet wird er nach Kriegsausbruch in England als "feindlicher Ausländer" interniert. Diese Situation setzt ihm sehr zu, er ist entmutigt und krank. Eine Lösung zeichnet sich 1940 ab: Die New York School for Social Research - Zufluchtsort einer Vielzahl deutschsprachiger Intellektueller - bietet ihm eine Position an, die er annimmt.
Die Hoffnung endet jedoch schnell: In der Nacht des 17. August 1940 wird die "City of Benares", das Schiff das ihn und seine Ehefrau Ika in die USA bringen soll, von einem deutschen U-Boot torpediert und sinkt. Ika und Rudolf Olden sterben im Atlantik.
Max Alsberg und Rudolf Olden standen für eine Rechtswissenschaft, die den Werten der Aufklärung, der Idee von Menschenrechten und dem Schutz des und der Einzelnen vor einem übermächtigen Staat verpflichtet ist. Mit der Vertreibung und Ermordung von Juristen wie Rudolf Olden und Max Alsberg erlischt ein großes Stück Rechtskultur in Deutschland. Diese Lücke, die das Terrorregime der Nazis geschlagen hat, ist bis heute nicht geschlossen.

Thilo Scholle studiert Jura in Münster.

Literatur:

Jungfer, Gerhard, Max Alsberg (1877 - 1933) - Verteidigung als ethische Mission, in: Kritische Justiz (Hrsg.), Streitbare Juristen. Eine andere Tradition, 1988.
Müller, Ingo, Rudolf Olden (1885 - 1940) Journalist und Anwalt der Republik, in: Kritische Justiz (Hrsg.), (siehe oben).
Riess, Curt, Der Mann in der schwarzen Robe - Das Leben des Strafverteidigers Max Alsberg, 1965.
Schneider, Heinz-Jürgen/Schwarz, Erika/Schwarz, Josef, Die Rechtsanwälte der Roten Hilfe Deutschlands, 2002.