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  Jean-Claude Alexandre Ho   Forum Recht Home

 

Das neue Zuwanderungsgesetz   Heft 4/2004
unmenschlich -
Migrationspolitik

Seite 123
ein Gesetz, das seinen Namen nicht verdient  
 

Nach jahrelangen Auseinandersetzungen ist am 30.7.2004 das Zuwanderungsgesetz (ZuwG) verabschiedet worden. Am 1.1.2005 wird es im Wesentlichen in Kraft treten. Stellt das ZuwG wirklich eine "historische Zäsur" (Otto Schily, SPD) dar? Wird die BRD damit als Einwanderungsland anerkannt (Katrin Göring-Eckardt, DIE GRÜNEN)?

Nichtstaatliche Verfolgung endlich als Asylgrund

Eine der wenigen Verbesserungen ist die Anerkennung nichtstaatlicher Verfolgung als Asylgrund1 in § 60 des durch das ZuwG geschaffenen Aufenthaltsgesetzes (AufenthG). Selbstverständlich war das in Deutschland nicht, wird doch von den Obergerichten Verfolgung nur dann als asylrelevant anerkannt, wenn sie von staatlichen oder quasistaatlichen Stellen ausgeht. Damit fielen bisher aus dem Schutzbereich des Asylrechts jene Flüchtlinge, die entweder aus Gebieten kommen, wo der Staat nicht mehr richtig funktioniert (sog. "failed states" wie Somalia, Taliban-Afghanistan), oder wo die Verfolgung von nichtstaatlichen Akteuren ausgeht (z.B. auch bei Genitalverstümmelung von Mädchen und Frauen als geschlechtsspezifischer Verfolgung). Diese Auslegung stellte einen Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention dar. Es bleibt zu hoffen, dass sich die Asylpraxis, gestützt auf die neue Vorschrift, internationalen Standards annähern wird. Bei dieser begrüßenswerten Änderung handelt es sich allerdings nur um die gebotene Umsetzung der im April 2004 beschlossenen EU-Qualifikationsrichtlinie.2
Eine wirkliche Verbesserung gegenüber der aktuellen Rechtslage stellt auch die Gleichstellung der Rechte von Asylberechtigten und Flüchtlingen nach der Genfer Flüchtlingskonvention dar: Beide Gruppen erhalten künftig Zugang zum Arbeitsmarkt und zu Integrationsleistungen.

Zuwanderung und Sicherheit - Sicherheit und Zuwanderung

Mit der problematischen Verknüpfung von Fragen der Sicherheit mit der Zuwanderung haben die Konservativen sich durchsetzen können. So soll nun gemäß § 54 Nr. 5 AufenthG die Ausweisung wegen Verbindungen zum "Terrorismus" möglich sein. Dabei ist der Begriff des Terrorismus so unbestimmt, dass die Gefahr besteht, dass vieles sich darunter fassen lässt.
Immerhin soll die Regelausweisung bei Verbindungen in der Vergangenheit nur dann ausgesprochen werden können, "soweit diese eine gegenwärtige Gefährlichkeit begründen." Sehr drastisch ist die Regelausweisung für den Fall, dass einE MigrantIn in einer Befragung, "die der Klärung von Bedenken gegen die Einreise oder den weiteren Aufenthalt dient, der deutschen Auslandsvertretung oder der Ausländerbehörde gegenüber frühere Aufenthalte in Deutschland oder anderen Staaten verheimlicht" (§ 54 Nr. 6 AufenthG). Denn darunter fallen möglicherweise nicht nur die von den deutschen Behörden gemutmaßten terroristischen "Schläfer", sondern auch Flüchtlinge, die auf Grund von gutgemeinten Ratschlägen falsche Herkunftsangaben machen, um vermeintlich bessere Chancen im Asylverfahren zu haben. Die Verletzung untergeordneter Mitwirkungspflichten führt so zu einer unverhältnismäßigen Verschlechterung der Rechtsstellung von Asylsuchenden.
Und wenn im Gefolge der Angst vor Attentaten dann MigrantInnen schon aufgrund einer "auf Tatsachen gestützten Prognose zur Abwehr einer besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr" unmittelbar abgeschoben werden können (§ 58a AufenthG), dann herrscht immer noch das Primat vom Ausländerrecht als Gefahrenabwehrrecht. Der Rechtsweg ist dabei drastisch verkürzt, Revision kann nur noch unmittelbar beim Bundesverwaltungsgericht beantragt werden. Dies betrifft auch Migrantinnen und Migranten, die strafrechtlich in keiner Weise auffällig geworden sind und allein auf den Verdacht hin, dass sie in Zukunft straffällig werden könnten, ausgewiesen werden sollen.
Zudem wird künftig nicht erst vor der Einbürgerung, sondern bereits vor der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis eine Anfrage beim Verfassungsschutz stattfinden. Integrationspolitisch ist dieses Signal verfehlt: MigrantInnen werden so pauschal der Missachtung der verfassungsmäßigen Ordnung in Deutschland verdächtigt.
Die vielbeschworene Wende hin zu einer offenen Migrationspolitik ist das nicht. Aber nach den Anschlägen vom 11. September 2001 haben sich die meisten deutschen PolitikerInnen anscheinend von der amerikanischen Paranoia anstecken lassen. Eine Politik, die ein Recht für MigrantInnen als Mitmenschen schafft und diese nicht nur als Gefahr ansieht, ist in weite Ferne gerückt.

Zwangsintegration durch obligatorische Sprachkurse

Auch über Zwangsintegration durch obligatorische Sprachkurse mag man sich wundern. Gemäß § 44a Abs. 3 S. 1 AufenthG können bei Nichtteilnahme an den Sprachkursen sogar soziale Leistungen gekürzt werden. Unabhängig davon, ob diese ausländerrechtlichen Sanktionen für einen größeren Personenkreis greifen würden, stellen sie jedenfalls eine Drohkulisse dar und sind damit vermutlich kein hilfreicher Beitrag zur Motivationsförderung. Und wenn MigrantInnen noch integriert werden müssen, weil sie den Konjunktiv I nicht vom Konjunktiv II unterscheiden können und die freiheitlich-demokratische Grundordnung nicht aus dem Effeff herunterbeten können, was ist dann mit jenen Deutschen, die darauf auch keine Antwort wissen? Müssten sie dann nach den Maßstäben des Zuwanderungsgesetzes nicht auch noch integriert werden? Das wäre dann doch ein wahrhaftiger Integrationsschritt, wenn Deutsche und AusländerInnen gemeinsam die Grundlagen der deutschen "Leitkultur" pauken würden.
Integrationspolitisch bedenklich erscheint auch die weiterhin bestehende Benachteiligung straffällig gewordener MigrantInnen ohne deutsche Staatsangehörigkeit, die in Deutschland geboren oder aufgewachsen sind und hier ihren Lebensschwerpunkt haben, gegenüber straffällig gewordenen Deutschen. Gemäß § 53 Nr. 1 AufenthG werden AusländerInnen nämlich zwingend ausgewiesen, wenn sie eine Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren verbüßen müssen.
Für in Deutschland geborene bzw. aufgewachsene Migrantinnen und Migranten ohne deutsche Staatsangehörigkeit wird es auch weiterhin keinen absoluten Abschiebungsschutz geben.

Härtefallkommission als zahnloser Tiger neu erfunden

Im ZuwG wird auch manches Rad neu erfunden. So ermöglicht § 23a Abs. 1 S. 1, Abs. 2 AufenthG den Landesregierungen, so genannte Härtefallkommissionen einzurichten. Diese können darum ersuchen, dass AusländerInnen in einem Härtefall ausnahmsweise eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Dabei gibt es Härtefallkommissionen schon in den Ländern Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein. Ob die neuen alten Kommissionen wirksamer sind, ist zu bezweifeln. In Hessen scheint man gar der Meinung zu sein, dass es bei solch einem ausgefeilten Gesetz zu gar keinen Härtefällen kommen und deshalb gleich auf Härtefallkommissionen verzichtet werden kann. Der Clou dabei ist aber, dass die Härtefallkommissionen nach dem Zuwanderungsgesetz nur bis 2009 arbeiten sollen, denn danach tritt die Regelung außer Kraft (Art. 15 Abs. IV ZuwG). Anscheinend ist der Gesetzgeber - zu Unrecht - so sehr von der Perfektion seines Gesetzes überzeugt, dass er glaubt, dass nach vier Jahren Geltung keine Härtefälle mehr bestehen.
Außerdem fehlt im ZuwG eine Altfallregelung für langjährig Geduldete. Und anders als vom Bundesinnenminister verkündet, sind Kettenduldungen nicht ganz abgeschafft.

Immer noch kein Einwanderungsland

Mit dem aktuellen ZuwG hat sich die Union mit ihrem Mantra von Deutschland als Nichteinwanderungsland wieder einmal durchsetzen können. Neuzuwanderung wird auch weiterhin nur sehr begrenzt möglich sein, sofern sie nicht humanitär oder durch Familiennachzug bedingt ist. Das ursprünglich in § 20 AufenthG vorgesehene Punktesystem zur Erlangung einer Niederlassungserlaubnis wurde gestrichen. Die Regelung für Selbständige in § 21 AufenthG ist sehr restriktiv, denn es werden u.a. eine Mindestinvestition von einer Million Euro und die Schaffung von zehn Arbeitsplätzen verlangt.
Der angekündigte Perspektivwechsel in der Migrationspolitik wurde nicht vollzogen. Das Gesetz, das als Kompromiss zwischen den Parteien herausgekommen ist, verdient den Namen Zuwanderung gar nicht.

Jean-Claude Alexandre Ho, Maître en Droit, LL.M. (Köln/Paris I) ist ehrenamtlich in der Asylverfahrensberatung tätig

Anmerkungen:

1 S. auch Alexandre Ho J.-Cl., Forum Recht (FoR) 2002, 25.
2 S. dazu Habbe, FoR 2004, 114, in diesem Heft.