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Politische Justiz   Heft 1/2005
Genethik -
Welches Wissen verträgt der Mensch?

Seite 34
 
 

Schrank der Schande

--> Nationalsozialismus. Die Art des Verbrechens kommt einen hinlänglich bekannt vor. Die Opfer mussten sich ihre Massengräber selbst schaufeln, ehe sie durch Kopf- oder Genickschüsse oder gar durch Sprengladungen getötet wurden. Zuvor wurden einige von ihnen gefoltert und vergewaltigt. Innerhalb weniger Stunden massakrierte am 14. Juli 1944 eine Wehrmachtseinheit in der toskanischen Ortschaft San Polo 61 Menschen. Die Opfer, überwiegend ZivilistInnen, starben aus Vergeltung für die Gefangennahme einiger deutscher Soldaten durch italienische PartisanInnen.
Wegen einer ähnlichen Vergeltungsaktion in Genua wurde der Chef des SD Friedrich Engel vor Gericht gestellt. Aktuell wird ein Verfahren gegen die ehemaligen SS-Offiziere Gerhard Sommer, Ludwig Sonntag und Alfred Schönenberg wegen des Massenmords von Sant'Anna di Stazzema geführt. Vor allem in der Toskana und in angrenzenden Regionen sind von Wehrmachtseinheiten insgesamt etwa 10.000 italienische ZivilistInnen getötet wurden (Forum Recht 4/2004).
Die verspätete Strafverfolgung der Täter geht auf die Öffnung des so genannten "Schrankes der Schande" zurück. In den fünfziger Jahren wurden 695 von den Westalliierten angelegte Ermittlungsakten über deutsche Kriegsverbrechen in Italien mit Rücksicht auf die Belange des westlichen Bündnispartners in einen Aktenschrank auf unbestimmte Zeit verstaut. Erst 1994 entdeckten Justizbeamte auf der Suche nach Beweismitteln gegen den NS-Täter Erich Priebke die Aktenbündel. Die Auswertung macht es den Staatsanwaltschaften möglich, diverse Verfahren gegen die noch lebenden Täter einzuleiten.
Für das Massaker in San Polo war das 274. Grenadierregiment verantwortlich. Die Staatsanwaltschaft von La Spezia wirft den heute 90-jährigen und in Ostholstein lebenden Klaus Konrad vor, als einer von drei Offizieren die Exekutionen angeführt zu haben. Nachher soll er befördert und mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet worden sein. Auch in der Bundesrepublik machte der Mann Karriere. Von 1962 bis 1980 war Konrad Landtags- und später Bundestagsabgeordneter der SPD sowie zwischenzeitlich juristischer Berater von Willy Brandt. Unbeschadet überstand Konrad dabei Ermittlungen, die bereits Ende der sechziger Jahre im Zusammenhang mit dem Massaker gegen ihn eingeleitet worden waren. Die Gießener Staatsanwaltschaft, die nach den Ermittlungsergebnissen den Fall nun an sich ziehen will, stellte das Verfahren damals wegen Verjährung ein. Ein Umstand, der Konrad wiederholt zugute kommen könnte.
So blieb selbst Engel, der "Henker von Genua", nach einer Revisionsentscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH) auf freiem Fuß. Danach hätte der SS-Mann bei der blutigen Vergeltungsaktion nicht grausam gehandelt und somit kein Mordmerkmal erfüllt. Unterstützt wird der BGH dabei vom emeritierten Professor für Staats- und Völkerrecht Ingo von Münch, der in seinem Buch "Geschichte vor Gericht. Der Fall Engel" zugleich den politischen Hintergrund dieser Rechtsprechung deutlich werden lässt. Von Münch spricht sich dagegen aus, Kriegsverbrechen mit nationalsozialistischen Gewalttaten gleichzusetzen. Es ginge nicht um die in der Geschichte einmalige, weil industriell betriebene Ausrottung von Menschen, sondern es handele sich um Kriegsverbrechen, die von den verjährbaren ungeheuerlichen Mordtaten der Nazis strikt zu unterscheiden seien. In einem Strafverfahren, warnt von Münch, bedeute der Vorwurf eines NS-Verbrechens, dass der Angeklagte immer auch als Akteur der NS-Schreckensherrschaft verdammt werde. Die Tat Engels aber sei kein NS-Verbrechen gewesen.
Tatsächlich dokumentieren gerade die Strafverfahren gegen die deutschen Offiziere, wie eng die Wehrmacht in die Vernichtungsmaschinerie der nationalsozialistischen Führung eingebunden war und diese auch ideologisch mittrug. Die erste Wehrmachtsausstellung hatte seinerzeit aufgezeigt, dass die Truppen nicht nur das Hinterland absicherten, in welchem die Vernichtungslager die Ausrottung der europäischen Jüdinnen und Juden und der GegnerInnen des NS-Regimes betrieben, sondern selbst mit traditionellen Kriegsmethoden mehr als ein Drittel der Opfer des Nationalsozialismus ermordeten. Hannes Herr, der ehemalige Leiter der Ausstellung über den Vernichtungskrieg, hat den Diskurs, in welchem diese Zusammenhänge ausgeblendet oder bestritten werden, als "Verschwinden der Täter" bezeichnet. Dieser Revisionismus droht nun gerichtsfest gemacht zu werden. (str)

Germania

--> Neonazis. Die Enkel tragen ihre Schlachten vorerst vor den Verwaltungsgerichten aus und verschaffen sich einstweilen ideologische Grundlagen. So versucht die Kasseler Burschenschaft Germania ihre Gegnerinnen und Gegner auf dem Campus per Gerichtsbeschluss mundtot zu machen. Auf die Klage eines Korporierten hin verbot der Hessische Verwaltungsgerichtshof dem AStA der Uni Kassel, weiterhin einen aufklärerischen Artikel über das rechte Treiben deutscher Studentenverbindungen zu verbreiten. Danach sei es "diffamierend", den Burschenschaften eine Nähe zum Rechtsextremismus zu unterstellen.
Wie distanzlos das tatsächliche Verhältnis zwischen der Germania und den Nazis ist, zeigte sich Ende November auf einen "burschenschaftlichen Abend" im Verbindungshaus der als gemeinnützig anerkannten Korporation. Zu einem Vortrag über den "Germanischen Glauben in unserer Zeit" war der Hamburger Anwalt Jürgen Rieger geladen, der als Strafverteidiger militanter Neonazis und Organisator des alljährlichen "Gedenkmarsches" für den Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß bundesweit bekannt ist. Eine solche Veranstaltung, in der Rieger NS-Verbrechen geleugnet und zur Gewalt gegen MigrantInnen aufgerufen haben soll, wird keine Ausnahme gewesen sein. So gab bereits der neonazistische Liedermacher Frank Rennicke seine völkischen Schmonzetten vor den Burschen zum Besten. Und regelmäßig wirbt die Germania in Publikationen wie Junge Freiheit und Nation und Europa mit Anzeigen um neue Mitglieder. Fraglich bleibt also am Ende, ob es als diffamierend empfunden wurde, dass der AStA nur vor eine Nähe und nicht vor einer Eingebundenheit der Burschenhaft in rechtsextreme Kreise gewarnt hat.