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"Sie sprechen aber gut deutsch!"   Heft 3/2005
Hartz fear

Seite 93-95
Auf den Spuren des "banalen" Rassismus  
 

"Woher kommen Sie?" und "Sie sprechen aber gut deutsch!" sind für Mark Terkessidis zwei Schlüsselsätze des "banalen" Rassismus unserer Gesellschaft, der sich unter anderem in der permanenten Verweisung des "Du gehörst nicht hierher" zeige. In seinem Buch "Die Banalität des Rassismus - Migranten zweiter Generation entwickeln eine neue Perspektive" untersucht Terkessidis, Diplom-Psychologe und selbst Migrant zweiter Generation, den alltäglichen Rassismus, der zumeist nicht in Form von gewalttätigen Übergriffen, sondern in scheinbar unwichtigen Alltagserlebnissen zum Vorschein kommt.
Motivation für die Studie war unter anderem, eine Rassismusforschung zu begründen, die sich nicht nur als Forschung über die TäterInnen darstellt, sondern die Opfer in den Blick nimmt und sie sprechen lässt. Dieses Anliegen verfolgt Terkessidis methodisch, in dem er MigrantInnen der zweiten Generation - also Personen, die in Deutschland geboren wurden, deren Eltern(teile) aber nach Deutschland eingewandert waren - in einer Mischung aus narrativem und problemzentriertem Interview befragt. Ihm geht es dabei darum, anknüpfend an die Wissenschaftskritik Foucaults das Wissen der MigrantInnen über Rassismus, das er als "unterdrücktes Wissen" klassifiziert, sichtbar zu machen und so dem "rassistischen Wissen" der Mehrheitsgesellschaft etwas entgegenzusetzen.

Defizite der Rassismusforschung

Terkessidis setzt sich zunächst mit der deutschen (theoretischen) Forschung über Rassismus auseinander, die er als lückenhaft und diskontinuierlich charakterisiert. Gewissermaßen konjunkturabhängig habe der jeweilige Boom nach den gewalttätigen Ausschreitungen zu Beginn der achtziger und neunziger Jahre gelegen. Dazwischen habe das Interesse jeweils merklich nachgelassen, in der nächsten Forschungsphase sei ein Anknüpfen an Erkenntnisse früherer Phasen unterblieben. Geprägt habe die Forschung jeweils vor allem eine Auseinandersetzung mit den TäterInnen, die Opfer seien kaum oder nur beschränkt auf "sozialtechnische Probleme", also z.B. die Lebenssituation oder "kulturelle Unterschiede" (Identität, Religion) der MigrantInnen in den Blick genommen worden.
Am den Anfang der Studie stellt der Autor zudem eine Begriffskritik. Für seine theoretische und strukturelle Analyse des Rassismus lehnt Terkessidis die Verwendung der Begriffe "Ausländerfeindlichkeit" und "Fremdenfeindlichkeit" ab. Denn es ergebe sich sonst unweigerlich das Dilemma, "den Ausländer" oder "die Fremde" immer wieder neu zu konstruieren. Der Begriff Fremdheit suggeriere, dass die Menschen, die sich mit Rassismus konfrontiert sehen, tatsächlich fremd in Deutschland seien. Tatsächlich handelt es sich aber um Menschen, die entweder ihr gesamtes oder doch einen erheblichen Teil ihres Lebens in Deutschland verbracht haben. Zudem werde so getan, als sei erst die Wertung des Unterschiedes zwischen "Einheimischen" und "Eingewanderten" das Problem. Terkessidis zeigt in seiner Untersuchung, dass schon der Akt der Unterscheidung selbst das Problem darstellt.
Er verwendet daher den Begriff "Rassismus", da dieser verdeutliche, dass es um ein spezifisches Ungleichheitsverhältnis geht. Rassismus besteht danach aus drei Komponenten: der Rassifizierung, der Ausgrenzungspraxis und differenzierender Macht.

Die so genannte "Rassifizierung"

"Rassifizierung" oder Rassenkonstruktion wird als Prozess verstanden, "in dem einerseits eine Gruppe von Menschen mittels bestimmter Merkmale als natürliche Gruppe festgelegt und gleichzeitig die Natur dieser Gruppe im Verhältnis zur eigenen Gruppe formuliert wird". Dabei beziehe sich der Ausdruck "Merkmal" nicht nur auf biologische Merkmale, wodurch die Reduktion auf den Begriff "Rasse" im klassischen Sinn vermieden werde. Erfasst würden z.B. auch soziologische (Sprache, Ernährung, Musik etc.), oder geistige Merkmale (z.B. Einstellungen, religiöse Verhaltensweisen). "Rasse" stehe hier letztlich für eine Art Urform der Naturalisierung von Unterschieden.
Wichtig ist nach Terkessidis also der Akt der Unterscheidung zwischen Menschen aufgrund der Betonung bestimmter Merkmale und die sich daran anschließende Einteilung der Menschen. Es ist also nicht erst die Bewertung der Unterscheidung relevant.

Arbeitsmarkt

Das zweite Element von Terkessidis Rassismusdefinition, die Ausgrenzungspraxis, betont die Praxis des "Ausschlusses durch Einbeziehung", also den Vorgang, dass eine bestimmte Gruppe bei der Zuteilung von Ressourcen und Dienstleistungen nachweislich ungleich behandelt wird. Dies verdeutlicht Terkessidis u.a. am Beispiel des Arbeitsmarktes und des Staatsangehörigkeitsrechts.
In den fünfziger und sechziger Jahren sei Anlass für Migration nach Deutschland der Arbeitskräftemangel gewesen. Allerdings habe es sich um eine spezifische Form der Einbeziehung in den deutschen Arbeitsmarkt gehandelt: Die MigrantInnen wurden von Anfang an für schlecht bezahlte, unqualifizierte und unsichere Jobs rekrutiert. Sie wurden "unterschichtet". Diese Form der Einordnung in den Arbeitsmarkt habe sich gewissermaßen "tradiert", ein breit gefächerter sozialer Aufstieg haben bei den ArbeitsmigrantInnen und ihren Nachkommen nicht stattgefunden.
Terkessidis zeigt auf, dass diese soziale Zuweisung in einen bestimmten Bereich des Arbeitsmarktes später gewissermaßen gegen die MigrantInnen verwendet wird: Den "Ausländern" werde aufgrund der Jobs, die sie ausüben, ein hohes Maß an innerer Homogenität insbesondere hinsichtlich ihrer Fähigkeiten zugeschrieben. Hieraus folgten wiederum Unterstellungen (etwa kollektive Dummheit oder Faulheit bzw. kulturelle Unterschiede), die dann wiederum als Erklärung und Legitimation für die strukturell bedingte soziale Schließung, hinsichtlich besserer Jobs, dienten. So sind die "AusländerInnen" am Arbeitsmarkt beteiligt (einbezogen), verfügen aber nicht über reelle Aufstiegschancen (Ausschluss). In diesem Zusammenhang verweist Terkessidis auch auf das sog. Inländerprimat bei der Arbeitsplatzvergabe, wodurch der Ausschluss weiter zementiert werde.

Staatsangehörigkeit und Ausländerrecht

Ein weiteres Beispiel ist das Staatsangehörigkeitsrecht. Wie später auch bei der Auswertung der Interviews deutlich wird, sorgt dieses - trotz seiner Reform im Jahre 2000 - durch das immer noch vorherrschende Anknüpfen an "ethnisches Deutschsein" sowie das grundsätzliche Verbot von Mehrstaatigkeit eher für eine Verhinderung der Einbürgerung von MigrantInnen. Dies habe zur Folge, dass MigrantInnen auf lange Zeit bzw. für immer in das Sonderrechtsregime des Ausländerrechts verwiesen seien. Dieses akzeptiere paradoxerweise die dauerhafte Anwesenheit von "Einwanderern" (Einbeziehung) und verhindere gleichzeitig ihre volle rechtliche Integration. Hierdurch würden die MigrantInnen als "AusländerInnen" institutionalisiert (Ausschluss).
Diese Institutionalisierung ermögliche es, jegliche Benachteiligungen zu legitimieren, da die betroffenen Personen nicht als volles Mitglied des Nationalstaates gesehen würden, sondern als zu lange gebliebene "Gäste", und somit augenscheinlich ein sachlicher Grund für Diskriminierung bestehe.
Die "differenzierende Macht", das dritte Element der Definition, soll nach Terkessidis den Aspekt der Gewalt thematisieren, verstanden als die Macht und die Mittel einer Gruppe, eine andere Gruppe sichtbar zu machen bzw. zu unterdrücken. Als Beispiel führt der Autor die Möglichkeit an, eine Ausweisung zu verfügen oder die Abschiebung durchzusetzen.

Strukturelle Mechanismen

Nach der theoretischen Vorarbeit stellt Terkessidis die Ergebnisse seiner Studie vor. Er ordnet sie in mehrere Themenbereiche ein, die wiederum an seine oben gezeigte Rassismusdefinition anknüpfen. Zunächst wendet er sich der "Zugehörigkeit" zu, die die Elemente der "Rassifizierung" und der Ausgrenzungspraxis veranschaulicht. Zugehörigkeit wird für den Autor vor allem durch drei Praxen hergestellt: durch Institutionen (v.a. das Staatsangehörigkeits- und Ausländerrecht), durch kulturelle Hegemonie, die Terkessidis am Beispiel der Familie und der Schule darstellt, und durch den Arbeitsmarkt. In einem weiteren Themenbereich behandelt er die strukturellen Mechanismen des Rassismus. Diese kommen für ihn besonders durch die Akte der "Entfremdung", der "Verweisung", der "Entantwortung" und der "Entgleichung" zum Tragen.

Entfremdung

Mit Entfremdung benennt Terkessidis den Akt, der nach einer ersten "Urszene" immer wiederkehrend die Differenz zwischen "Einheimischen" und "AusländerInnen" konstruiert und die AusländerInnen aus der deutschen Gesellschaft ausschließt. Alle von ihm Befragten konnten ein Schlüsselerlebnis beschreiben, das ihnen verdeutlichte, dass sie "offiziell" nicht dazu gehören und als AusländerInnen behandelt werden, obwohl sie in Deutschland geboren sind. Für viele war das der Moment, als sie mit 16 Jahren das erste Mal zur Ausländerbehörde mussten, um eine eigene Aufenthaltsgenehmigung zu erwerben. Bis dahin haben sie sich nie "als AusländerInnen gefühlt". Erst für die Zeit nach der "Urszene", analysiert Terkessidis, beginnen seine GesprächspartnerInnen von Erlebnissen zu berichten, in denen sie sich selbst als "ausländisch" und nicht deutsch zu identifizieren beginnen.

Verweisung

Der Akt der Verweisung schließt sich unmittelbar an die Entfremdung an: "Du gehörst nicht hierher" meint auch immer "Du gehörst eigentlich woanders hin". Exemplarisch verdeutlicht Terkessidis die Verweisung am sog. Herkunftsdialog. Die Frage: "Woher kommst Du?" sei in der Regel rhetorisch, da eine bestimmte Antwort erwartet werde. Der/die einheimische FragerIn erwarte, dass das "ausländische" Gegenüber einen ausländischen Ort als Ursprung angibt. Die Antwort von in Deutschland geborenen MigrantInnen-Kindern, dass sie aus Deutschland bzw. einer bestimmten deutschen Stadt kämen, befriedige nicht. Es werde so lange nachgefragt, bis der/die vermeintliche AusländerIn diese Erwartungshaltung bestätige, z.B. durch Fragen nach der Herkunft der Eltern. Bei binationalen Eltern werde dann die herkunftsmäßige Verbindung zum ausländischen Elternteil hergestellt. Wenn die Frage nach der "eigentlichen" Herkunft zufriedenstellend beantwortet wurde, folge die "logische" Anschlussfrage nach einer geplanten Rückkehr in die "Heimat". Hierdurch impliziere der/die Fragende, dass durch die Rückkehr die "natürliche Ordnung" wiederhergestellt werden könne.
Ähnliche Verweisungsakte schildert Terkessidis in Zusammenhang mit Namen ("diesen Namen kann sich ja keiner merken" = er gehört hier nicht hin) und Sprache ("Sie sprechen aber gut deutsch."). Schärfere Varianten der Verweisung sind Beschimpfungen, die in irgendeiner Weise eine Verbindung zur vermeintlichen Herkunft des Gegenübers herstellen und auffordern, dahin zurückzukehren, wo die Person vermeintlich herkommt ("Türken raus"). Auch Gewalt gehört hierher.
Terkessidis hält die Prozesse der Entfremdung und Verweisung in Deutschland für schärfer als in anderen Ländern. Er stellt dies wiederum in einen Kontext zu der Absurdität des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts und der mit der Möglichkeit von Ausweisungen verbundenen institutionellen Macht, die exemplarisch am Fall "Mehmet" zum Ausdruck kamen.

Entantwortung und Entgleichung

Ein weiterer Akt ist der von Terkessidis als Entantwortung bezeichnete Vorgang, in dem die einheimische Mehrheit durch Vorurteile bestimmte Zuschreibungen vornimmt, durch die die MigrantInnen nicht mehr als Individuen, sondern nur noch als Angehörige einer bestimmten, mit Klischees behafteten Gruppe betrachtet werden. Der "Einheimische" spricht nicht mit einer Person, sondern mit einem Klischee.
Als Beispiel führt Terkessidis ein eigenes Erlebnis an: Als er in einer Diskussion wütend und engagiert argumentierte, sei die Reaktion eines Diskussionsteilnehmers gewesen "ach, das ist sein südländisches Temperament". Terkessidis sah hierdurch sein Argument ausgelöscht, alles konzentrierte sich plötzlich nur noch auf sein Anderssein. Terkessidis formuliert: "Nicht ich sprach, sondern "es" sprach durch mich." Die "MigrantInnen" würden so sich selbst entantwortet, sie können nicht mehr als Individuum agieren, sondern seien Gefangene des Klischees.
Der Akt der Entgleichung folgt nach Terkessidis unmittelbar aus der Entantwortung: durch die projizierten Klischees und Vorurteile wird den MigrantInnen durch den im- oder expliziten Vergleich mit den "Einheimischen" häufig auch ein Defizit unterstellt, sie werden hierdurch gegenüber den Einheimischen aufgrund eines konstruierten Unterschiedes abgewertet.
Terkessidis bezeichnet diesen Vorgang - wiederum aus der Sicht der Betroffenen - als "Entgleichung". Den Betroffenen werde Gleichheit verweigert, zugleich werde die Vergleichsmöglichkeit verhindert. Die Person, die einer anderen ein Defizit unterstellt, schwinge sich so zur Richterin auf und brauche sich einer realen Konfrontation nicht zu stellen. Dies verdeutlicht er exemplarisch an dem vermeintlichen Lob für "gutes Deutsch".

Diskriminierung als strukturelles Problem

Das Buch zeichnet sich dadurch aus, dass Terkessidis die vielen in seinen Interviews zu Tage geförderten Einzelerlebnisse schildert und so systematisiert, dass ein zugrunde liegendes Schema sichtbar wird. Die Banalität des Rassismus liegt gerade in der Vielheit der Einzelerlebnisse begründet, die zu Ausgrenzung und Diskriminierung führen und so einen Alltagsrassismus fern von brennenden Asylbewerberheimen verkörpern. Die Analyse der Akte von Diskriminierung liefert wertvolle Erkenntnisse über ihre strukturellen Elemente. Diese Mechanismen liegen letztlich jeder Art von Diskriminierung zugrunde.
Durch den bewussten Perspektivenwechsel verdeutlicht Terkessidis etwas, was auch in der öffentlichen Debatte über Rassismus und Diskriminierung allgemein häufig vermischt wird: Entscheidend für die Bewertung bestimmter diskriminierender Handlungen ist nicht so sehr, welche Intentionen "DiskriminierungstäterInnen" verfolgen. Die Wirkung aus Sicht der Opfer ist entscheidend. Die Betroffenenperspektive macht es notwendig, auch die Definition und Benennung eines Phänomens als Diskriminierung nicht den TäterInnen bzw. der Mehrheitsgesellschaft zu überlassen, sondern bereits hier den Blick der Diskriminierten einzunehmen.
Schade ist, dass Terkessidis die gemeinsamen Strukturen von Diskriminierungen aufgrund anderer Merkmale (Geschlecht, Behinderung, soziale Schicht / Klasse...) nicht benennt und auch nicht auf die einschlägige Forschung eingeht. Auch wenn sicher jede Kategorie ihre Eigenheiten hat, so sind doch die grundsätzlichen Aussagen zu Unterdrückungsstrukturen, zur Konstruktion und Hierarchisierung des Unterschiedes oder den beschriebenen Ausschlussmechanismen beispielsweise auf den Sexismus und die Geschlechterdiskriminierung übertragbar. Die Einbeziehung der Arbeit der Geschlechterforschung in die Studie hätte sich insofern sicher angeboten.
Kritikwürdig ist außerdem, dass der Autor keine geschlechtergerechte Sprache verwendet. Obwohl er z.T. explizit geschlechtsspezifische Rassismen benennt, sollen sich die Frauen im restlichen Teil von den männlichen Bezeichnungen mitgemeint fühlen. Hier wendet Terkessidis - inkonsequent - im Hinblick auf das Geschlecht eine ähnliche Ignoranz an, die er im Hinblick auf die "MigrantInnen" gerade kritisiert.
Trotz dieser Kritik ist das Buch gerade für JuristInnen äußerst lesenswert. Nicht nur weil im Zuge der Antidiskriminierungsgesetzgebung das Wissen über die Mechanismen von Diskriminierung als Voraussetzung ihrer wirksamen Bekämpfung immer wichtiger wird. Gerade weil Recht - insbesondere in Form des Staatsangehörigkeits- oder Ausländerrechts - Teil des institutionellen Rassismus im Terkessidischen Sinne ist, müssen JuristInnen, die solche Gesetze anwenden, aber auch an ihrer Überarbeitung besonders beteiligt sind, sich deren Wirkungen genau vergegenwärtigen und besser gestern als heute deren Ausgrenzungswirkung beseitigen.

Claudia Perlitius promoviert in Dresden.

Mark Terkessidis, Die Banalität des Rassismus - Migranten zweiter Generation entwickeln eine neue Perspektive, Bielefeld 2004, transcript-Verlag, 224 Seiten, 23,80 €