|  | Juristische Zeitgeschichte und Kritische Rechtswissenschaft Die Frage nach der Bedeutung von Recht in der Gesellschaft gehört zu 
        den grundsätzlichen Fragestellungen der Rechtswissenschaft. In der universitären 
        Ausbildung wird dieses Thema allerdings allenfalls gestreift. Ein Verständnis von Recht als eine Materialisierung gesellschaftlicher 
        und ökonomischer Kräfteverhältnisse macht zugleich ein wichtiges Spannungsverhältnis 
        deutlich: Recht und Herrschaft sind miteinander verbunden. Zugleich kann 
        Recht jedoch auch Spielraum und Aktionsfeld für fortschrittliches Handeln 
        sein.
 Daran schließen sich Fragen über die Rechtsanwenderinnen und Rechtsanwender 
        an. Wer wird JuristIn, wie sieht die Sozialisation aus? Welches Bild haben 
        Juristinnen und Juristen von sich, von der Gesellschaft, von der Funktion 
        des Rechts, von ihrer eigenen Funktion? Wie reflektieren sie die gesellschaftlichen 
        Einflüsse auf das Recht? Welche Rolle spielen Methodik und Dogmatik für 
        die Rechtswirklichkeit?
 Kurz: Wie stellt sich das Bild einer demokratischen und sozialen Justiz, 
        die sich ihres Funktionsrahmens bewusst ist und ihr eigenes Verhalten 
        kritisch reflektiert, dar?
 Juristische Zeitgeschichte und Juristenausbildung Geprägt werden Menschen von vielfältigsten Einflüssen. Bei der Berufswahl, 
        vor allem aber bei den späteren Karrierechancen spielt in Deutschland 
        das Elternhaus nach wie vor eine entscheidende Rolle. Kinder von JuristInnen 
        entscheiden sich oft ebenfalls für den Beruf, an die Anwaltskarriere des 
        Vaters schließt sich die des Sohnes an. Damit fügen sich die JuristInnen 
        in das gängige Schema der Elitenreproduktion in Deutschland ein. Prägend für JuristInnen ist zudem die Phase der Ausbildung. Welches Berufsbild 
        wird in Universität und Referendariat vermittelt? Was wird ( vor allem 
        durch den Ort und das Ausmaß der Behandlung in der jeweiligen Stundentafel 
        ( als wichtig angesehen, was eher als Spielerei? Banal ist die Erkenntnis, 
        dass jene Fächer, die so gerne als die "Grundlagen" der Rechtswissenschaft 
        bezeichnet werden ( Rechtsgeschichte, Rechtsphilosophie, Rechtssoziologie, 
        usw. ( in der universitären Ausbildung so gut wie keine Rolle spielen. 
        Eigene Lehrstühle existieren für diesen Bereich kaum noch. Die Verankerung 
        im Pflichtfachstoff fehlt ebenfalls, so dass in Anbetracht der zunehmenden 
        Verdichtung des Studiums eine Entscheidung gegen die Wahl eines Grundlagenfachs 
        für den Studierenden durchaus rational ist. Hinzu kommt, dass die gängige 
        Rechtswissenschaft vor allem Methodik und Dogmatik der Jurisprudenz vermitteln 
        will. Die Einbettung des Faches in den gesamtgesellschaftlichen Kontext 
        findet nicht statt. Wirtschaftsrechtliche Sachverhalte werden kaum in 
        ihren Kontext gestellt, Entscheidungen bestimmter politischer Richtungen 
        hinter dem Handeln eines nur abstrakten Gesetzgebers verborgen.
 Eine Berücksichtigung der historischen und sozialen Hintergründe von Normen 
        findet ebenfalls kaum statt. Wer weiß schon um die Problematik mancher 
        noch heute vom Bundesgerichtshof in Strafsachen bemühten Doktrinen im 
        Zusammenhang mit der (Nicht-)Verfolgung von NS-Verbrechern?
 Die Situation im Referendariat ist ähnlich, auch wenn hier zum Teil in 
        den Fortbildungsangeboten der Länder interessante Angebote zu finden sind 
        ( oder zumindest vor der Regierungsübernahme konservativer Landesregierungen 
        zu finden waren.
 So wird Rechtswissenschaft ihres eigentlich Gesellschaftswissenschaftlichen 
        Zusammenhangs beraubt, mit entsprechender Folge für die Wahrnehmung durch 
        die Studierenden. Ein Interesse am Recht, an Rechtsetzungsprozessen und 
        ihren gesellschaftlichen Bedingungen kommt kaum vor, gewählt wird das 
        Fach im Gegenteil oft gerade wegen des vermeintlich "präzisen" Inhalts 
        ( also der Möglichkeit einer klaren Subsumtion, ohne sich mit unterschiedlichen 
        Ansichten auseinandersetzen zu müssen.
 Kurzum: Gerade an der Stelle, an der Berufsbild und Sozialisation von 
        JuristInnen sich noch beeinflussen ließe, wird die Gelegenheit verpasst. 
        Das Bild des "neutralen" Juristen wird reproduziert, ein Verständnis für 
        die gesellschaftliche Bedeutung von Justiz und Justizanwender kaum vermittelt. 
        Dabei könnte gerade die Beschäftigung mit der Juristischen Zeitgeschichte 
        des 20. Jahrhunderts innerhalb der Juristenausbildung den Studierenden 
        wichtige Kenntnisse über Bedeutung und Funktionsweise des Rechts in der 
        Gesellschaft vermitteln.
 Das Forum Justizgeschichte e.V. Das Forum Justizgeschichte e.V. wurde im Jahr 1998 gegründet. Zu den 
        Zielen gehört unter anderem die "Information der Öffentlichkeit über Bedeutung 
        und Funktion des Rechts und der Justiz im demokratischen Rechtsstaat vor 
        dem Hintergrund von Justizunrecht im 20. Jahrhundert", "die Erforschung 
        der neueren Rechts- und Justizgeschichte" und die Durchführung wissenschaftlicher 
        Veranstaltungen zum Thema. Die jährlichen wissenschaftlichen Fachtagungen des Forums haben sich als 
        spannender Ort für Diskussionen etabliert. Thema der kommenden Fachtagung 
        soll die JuristInnenausbildung sein. Fragestellungen sind unter anderem 
        die nach dem Stellenwert der Juristischen Zeitgeschichte in der Ausbildung 
        sowie in den Sozialisationsprozessen von Juristinnen und Juristen (siehe 
        den Programmhinweis in diesem Heft).
 Thilo Scholle studiert Jura in Münster Literatur: Kramer, Helmut, Plädoyer für ein Forum zur juristischen Zeitgeschichte, 
        1998.Kramer, Helmut, Nationalsozialistische Justiz ( überflüssiger Gegenstand 
        der Juristenausbildung? in: ÖTV in der Rechtspflege, Nr. 64 (April 
        1998), S. 9 ff.
 Internet: www.forumjustizgeschichte.de  |  |