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Juristische Zeitgeschichte und Juristenausbildung   Heft 3/2005
Hartz fear

Seite 101
 
 

Juristische Zeitgeschichte und Kritische Rechtswissenschaft

Die Frage nach der Bedeutung von Recht in der Gesellschaft gehört zu den grundsätzlichen Fragestellungen der Rechtswissenschaft. In der universitären Ausbildung wird dieses Thema allerdings allenfalls gestreift.
Ein Verständnis von Recht als eine Materialisierung gesellschaftlicher und ökonomischer Kräfteverhältnisse macht zugleich ein wichtiges Spannungsverhältnis deutlich: Recht und Herrschaft sind miteinander verbunden. Zugleich kann Recht jedoch auch Spielraum und Aktionsfeld für fortschrittliches Handeln sein.
Daran schließen sich Fragen über die Rechtsanwenderinnen und Rechtsanwender an. Wer wird JuristIn, wie sieht die Sozialisation aus? Welches Bild haben Juristinnen und Juristen von sich, von der Gesellschaft, von der Funktion des Rechts, von ihrer eigenen Funktion? Wie reflektieren sie die gesellschaftlichen Einflüsse auf das Recht? Welche Rolle spielen Methodik und Dogmatik für die Rechtswirklichkeit?
Kurz: Wie stellt sich das Bild einer demokratischen und sozialen Justiz, die sich ihres Funktionsrahmens bewusst ist und ihr eigenes Verhalten kritisch reflektiert, dar?

Juristische Zeitgeschichte und Juristenausbildung

Geprägt werden Menschen von vielfältigsten Einflüssen. Bei der Berufswahl, vor allem aber bei den späteren Karrierechancen spielt in Deutschland das Elternhaus nach wie vor eine entscheidende Rolle. Kinder von JuristInnen entscheiden sich oft ebenfalls für den Beruf, an die Anwaltskarriere des Vaters schließt sich die des Sohnes an. Damit fügen sich die JuristInnen in das gängige Schema der Elitenreproduktion in Deutschland ein.
Prägend für JuristInnen ist zudem die Phase der Ausbildung. Welches Berufsbild wird in Universität und Referendariat vermittelt? Was wird ( vor allem durch den Ort und das Ausmaß der Behandlung in der jeweiligen Stundentafel ( als wichtig angesehen, was eher als Spielerei? Banal ist die Erkenntnis, dass jene Fächer, die so gerne als die "Grundlagen" der Rechtswissenschaft bezeichnet werden ( Rechtsgeschichte, Rechtsphilosophie, Rechtssoziologie, usw. ( in der universitären Ausbildung so gut wie keine Rolle spielen. Eigene Lehrstühle existieren für diesen Bereich kaum noch. Die Verankerung im Pflichtfachstoff fehlt ebenfalls, so dass in Anbetracht der zunehmenden Verdichtung des Studiums eine Entscheidung gegen die Wahl eines Grundlagenfachs für den Studierenden durchaus rational ist. Hinzu kommt, dass die gängige Rechtswissenschaft vor allem Methodik und Dogmatik der Jurisprudenz vermitteln will. Die Einbettung des Faches in den gesamtgesellschaftlichen Kontext findet nicht statt. Wirtschaftsrechtliche Sachverhalte werden kaum in ihren Kontext gestellt, Entscheidungen bestimmter politischer Richtungen hinter dem Handeln eines nur abstrakten Gesetzgebers verborgen.
Eine Berücksichtigung der historischen und sozialen Hintergründe von Normen findet ebenfalls kaum statt. Wer weiß schon um die Problematik mancher noch heute vom Bundesgerichtshof in Strafsachen bemühten Doktrinen im Zusammenhang mit der (Nicht-)Verfolgung von NS-Verbrechern?
Die Situation im Referendariat ist ähnlich, auch wenn hier zum Teil in den Fortbildungsangeboten der Länder interessante Angebote zu finden sind ( oder zumindest vor der Regierungsübernahme konservativer Landesregierungen zu finden waren.
So wird Rechtswissenschaft ihres eigentlich Gesellschaftswissenschaftlichen Zusammenhangs beraubt, mit entsprechender Folge für die Wahrnehmung durch die Studierenden. Ein Interesse am Recht, an Rechtsetzungsprozessen und ihren gesellschaftlichen Bedingungen kommt kaum vor, gewählt wird das Fach im Gegenteil oft gerade wegen des vermeintlich "präzisen" Inhalts ( also der Möglichkeit einer klaren Subsumtion, ohne sich mit unterschiedlichen Ansichten auseinandersetzen zu müssen.
Kurzum: Gerade an der Stelle, an der Berufsbild und Sozialisation von JuristInnen sich noch beeinflussen ließe, wird die Gelegenheit verpasst. Das Bild des "neutralen" Juristen wird reproduziert, ein Verständnis für die gesellschaftliche Bedeutung von Justiz und Justizanwender kaum vermittelt. Dabei könnte gerade die Beschäftigung mit der Juristischen Zeitgeschichte des 20. Jahrhunderts innerhalb der Juristenausbildung den Studierenden wichtige Kenntnisse über Bedeutung und Funktionsweise des Rechts in der Gesellschaft vermitteln.

Das Forum Justizgeschichte e.V.

Das Forum Justizgeschichte e.V. wurde im Jahr 1998 gegründet. Zu den Zielen gehört unter anderem die "Information der Öffentlichkeit über Bedeutung und Funktion des Rechts und der Justiz im demokratischen Rechtsstaat vor dem Hintergrund von Justizunrecht im 20. Jahrhundert", "die Erforschung der neueren Rechts- und Justizgeschichte" und die Durchführung wissenschaftlicher Veranstaltungen zum Thema.
Die jährlichen wissenschaftlichen Fachtagungen des Forums haben sich als spannender Ort für Diskussionen etabliert. Thema der kommenden Fachtagung soll die JuristInnenausbildung sein. Fragestellungen sind unter anderem die nach dem Stellenwert der Juristischen Zeitgeschichte in der Ausbildung sowie in den Sozialisationsprozessen von Juristinnen und Juristen (siehe den Programmhinweis in diesem Heft).

Thilo Scholle studiert Jura in Münster

Literatur:

Kramer, Helmut, Plädoyer für ein Forum zur juristischen Zeitgeschichte, 1998.
Kramer, Helmut, Nationalsozialistische Justiz ( überflüssiger Gegenstand der Juristenausbildung? in: ÖTV in der Rechtspflege, Nr. 64 (April 1998), S. 9 ff.

Internet:

www.forumjustizgeschichte.de