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Meinung für Millionen   Heft 1/2006
Medien und Meinungsmacht

Seite 4-5
Politische Strategien in der Mediendemokratie  
 

"Der Diskurs ist nicht bloß das, was die Kämpfe
oder die Systeme der Beherrschung in Sprache übersetzt:
er ist dasjenige, worum und womit man kämpft;
er ist die Macht, derer man sich zu bemächtigen sucht."

Foucault, Die Ordnung des Diskurses, 1977.

In einer Mediendemokratie findet die politische Willensbildung immer weniger innerhalb von Parteistrukturen, als durch die Medien statt. Wähler/innen und Politiker/innen orientieren sich an dem, was durch die Medien transportiert wird. Mediale Diskurse dürfen allerdings nicht als Spiegelbild der gesellschaftlichen Diskurse missverstanden werden. Das Verhältnis von Öffentlichkeit, Medien, Politik und mehrheitsfähigen Anschauungen ist ein komplexes, vermachtetes Geflecht gegenseitiger Beeinflussung. Moderne Lobbyorganisationen, am erfolgreichsten die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, spielen immer professioneller auf dieser Klaviatur; Meinungen und Interessen werden durch geschickte Aufbereitung und Präsentation zu allgemein anerkannten Wahrheiten. Durch die gezielte Nutzung der Medien für die Vermittlung der eigenen Standpunkte ist es so möglich, alternative Betrachtungsweisen verschwinden zu lassen. Wenn es den Meinungsmacher/innen gelingt, in der öffentlichen Wahrnehmung eine "Notwendigkeitskonstruktion" durchzusetzen, werden andere Politikoptionen zunehmend verblassen. Mit der politischen Steuerung von Diskursen wird das Denken in eine besondere Richtung gelenkt und ganz spezifische Wahrnehmungen und Bewertungen provoziert. Im Folgenden sollen politische Ziele der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft verknüpft mit den spezifischen Methoden ihrer Vermittlung skizziert werden.

Ziel und Arbeitsweise der Initiative

Auf der Homepage der "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft"1 können Hauptschullehrer/innen fertige Unterrichtsmaterialien zum Thema "Krise des Sozialstaats" abrufen. Dort liest man solche Thesen: "In der Hängematte ruht man sich in der Regel aus. Das Soziale Netz ist scheinbar eng geknüpft, es verleitet deshalb vielleicht zu gewisser Inaktivität." Die Botschaft für die Schüler/innen ist so klar wie simpel: faule Arbeitslose ruhen in der Hängematte Sozialstaat, die überbelastete Unternehmen schultern müssen. Die Lösung: weniger Sozialstaat, weniger Lohnnebenkosten, mehr Arbeit! Das dem nicht alle zustimmen würden und es durchaus andere sozial - beziehungsweise wirtschaftspolitische Auffassungen gibt, wird den Schüler/innen unbekannt bleiben. In den Lehrer/innenhinweisen steht vorsorglich, dass die Kids auf die Idee kommen könnten, den Anreiz für Erwerbsarbeit mit höheren Löhnen, statt niedrigeren Sozialleistungen zu beantworten. Dazu die Initiative: Eine einseitige Belastung der Unternehmen kann es aber nicht sein. Ein Schelm, der Böses dabei denkt! Mit diesem einfachen Beispiel sind Methoden und Auftrag der Initiative bereits umrissen: Neoliberale Inhalte plus wirksame Aufbereitung und Vermittlung.
Das Ziel der Initiative ist nach einer Analyse im Auftrag der gewerkschaftsfinanzierten Hans-Böckler-Stiftung klar: Wirtschafts-liberale Themen auf die Agenda zu setzen und für einen wirtschaftsfreundlichen Stimmungswechsel in der Gesellschaft zu sorgen.2 Dahinter steht die Arbeitgebervereinigung Gesamtmetall, die die Initiative im Jahr 2000 gründete und mit jährlich zehn Millionen Euro finanziert. Ein solches Budget für Public Relation (PR) hat keine Gewerkschaft. Stein des Anstoßes für die Gründung war das Ergebnis einer Allensbach Umfrage, dass eine Mehrheit der Deutschen von der Marktwirtschaft nicht überzeugt ist. 40 % hielten sogar einen dritten Weg zwischen Kapitalismus und Kommunismus für notwendig. Der Auftrag der Initiative lautet also: Deutschland muss wirtschaftsfreundlicher werden! Wie? Durch den Glauben an mehr Flexibilität, weniger Staat, keine "lähmende Regulierung" und geringere Lohnnebenkosten. Die Initiative betont ihren überparteilichen Charakter, erweckt den Anschein von Neutralität und Wissenschaftlichkeit. Was eigentlich PR ist, erscheint in den Medien als normale Nachricht: So kürt die Initiative zusammen mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung den "Reformer des Jahres". Obwohl dieser "Titel" keine inhaltliche Information, sondern medienwirksame PR für eine bestimmte politische Meinung darstellt, weckt er das Interesse der Menschen und prägt Meinungen. Um die Neugier zu befriedigen: Im Jahr 2005 wurde der konservative Verfassungsrichter Udo DiFabio für sein aktuelles Buch "Kultur der Freiheit" (wo er sich unter anderem zu einem traditionellen Ehe- und Familienbild bekennt) zum "Reformer des Jahres" ernannt. 2004 gab es auch den Titel "Blockierer des Jahres" für die SPD Politikerin Andrea Nahles.

Nachrichten schaffen

Die Platzierung von Meinungen im politischen und gesellschaftlichen Diskurs ist natürlich nichts Neues. Das Besondere an der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft ist die professionelle Art, wie sie die Themen kommuniziert. Basis sind wissenschaftliche Expertisen vom Institut der deutschen Wirtschaft oder Wissenschaftler/innen, die Mitglied der Initiative sind. Diese werden mit Hilfe professioneller Werbeagenturen auf allen Ebenen der Kommunikation platziert: Aufbereitung der Argumente für die Medien, Anzeigen, Plakataktionen, Beiträge in Zeitschriften, Internet. Die Aufbereitung der Inhalte geht so weit, dass fertige Interviews oder Artikel für Journalisten zur Verfügung stehen oder Gäste für Polit-Talkshows vermittelt werden. Kritisiert wurde auch die Beratungsleistung der Initiative für eine Geschichte in einer bekannten Jugend-Soap im Vorabendprogramm der ARD. Dort sollten am Beispiel der Lehrstellensuche eines Charakters Inhalte der Initiative platziert werden. Man nahm allerdings nach öffentlicher Kritik davon Abstand. Überhaupt ist die Initiative am erfolgreichsten in den Printmedien: Eine Untersuchung im Rahmen einer Magisterarbeit belegt, dass zwei Drittel aller Exklusivnachrichten in analysierten Tageszeitungen auf Studien und Ergebnissen der Initiative basierten. Der Verfasser Nuernbergk stellt einen sehr undifferenzierten Umgang mit dem Material fest. Alternative Positionen kamen oftmals in den Beiträgen gar nicht mehr vor.3

Meinungen mit Gesichtern verknüpfen

Die Initiative hat auch Prominente aus Politik, Wissenschaft und Kultur um sich geschart (sogenannte "Botschafter/innen"), die öffentliches Ansehen genießen und in den Medien Gehör finden. Zu ihnen zählen Menschen wie der konservative Steuerrechtler und Verfassungsrichter a.D. Paul Kirchhof, Professorin und Politikerin Dagmar Schipanski. Diese Botschafter/innen sind wiederum ihrerseits gut vernetzt und können sowohl die frohe Botschaft weiter tragen als auch eigene Inhalte in die Initiative einspeisen. Das funktioniert gut. Vor der Bundestagswahl im September fanden die Leser/innen von Tageszeitungen die Kampagne " 250 Professoren - 10 Thesen - 1 Meinung" vor. Dort war in großformatiger Anzeige das Bild des/der Professor/in und eine Meinung zu sehen, beispielsweise "Globalisierung steigert unseren Lebensstandard - durch größere Produktvielfalt und billigere Produkte.". Eine konkrete Wahlempfehlung war bei diesem Inhalt nicht mehr nötig.
In den inzwischen weitgehend neoliberalen Positionen folgenden Wirtschaftswissenschaften ist es keineswegs verwunderlich, 250 Professor/innen zu finden, die sich für eine solche Kampagne zur Verfügung stellen. In der Wirtschaftswissenschaft werden kritische Stimmen zunehmend leiser, weil Lehrstühle und Forschungseinrichtungen mit und von Anhänger/innen des neoliberalen Mainstream besetzt werden und kritische Wissenschaftler/innen allenfalls an Fachhochschulen noch Professuren erhalten.

Leitbegriffe neu besetzen

Beispiellos ist auch der Erfolg der Kampagne "Sozial ist, was Arbeit schafft". 2002 wurde sie von der Initiative mit einer Reihe von Anzeigen und Werbeplakaten gestartet. 2005 stand "Sozial ist, was Arbeit schafft" auf Seite neun des Regierungsprogramms der Union. So wurde ein Begriff, der einmal mit Umverteilung zwischen Arm und Reich assoziiert wurde zu einem Begriff, der Unternehmensinteressen in den Vordergrund rückt. Die Neubesetzung von symbolhaften Begriffen ist nicht lediglich ein kleiner werbewirksamer Erfolg, sondern eine Möglichkeit der Neuordnung von gesellschaftlicher "Wahrheit". Dabei kommt es dann nicht darauf an, ob eine Nachricht oder Ansicht richtig oder falsch ist. Wie das Foucault Zitat eingangs bereits andeutet, geht es im Diskurs nicht darum. Es geht vielmehr um das Erzeugen von gesellschaftlicher Wahrheit und der Ordnung von Wissen auf eine bestimmte Weise. Ein Beispiel: Die Assoziation "Sozial gleich Schaffung von Arbeitsplätzen durch Wirtschaftswachstum" führt dazu, dass Einschnitte in Arbeitnehmer/innenrechte, Lohnkürzungen und längere Arbeitszeiten plötzlich unter dem Label sozial firmieren, obwohl sie der ursprünglichen Bedeutung im Sinne einer Umverteilung zugunsten der Arbeitnehmer/innen widersprechen. Neoliberale Strategien werden als "sozial" verkauft. Um mit der Sprache der Werbung zu sprechen: Die Marke "Sozial" ist unverwechselbar platziert. Darin liegt die Bedeutung der Diskurse: Sie sind nicht nur Ausdruck von Gedanken, sondern prägen sie. Foucault nennt das die "Politik der Wahrheit". So wird festgelegt, was als Wahrheit gilt, die Welt auf bestimmte reguläre und regulierbare Weise geordnet, die wir schließlich als gegeben hinnehmen. Foucault hätte wohl die Frage nach dem "Wer" in Bezug auf diese Macht so nicht gestellt. Die oben aufgezeigten Strategien der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft machen die Dringlichkeit der Frage nach dem/der Urheber/in bestimmter Nachrichten und seiner/ihrer Interessenlage aber deutlich. Nur so wird verhindert, dass bestimmte Meinungen als die Wahrheit hingenommen werden. Mit den Methoden der Werbung auf allen Wahrnehmungsebenen mit bestimmten Inhalten bombardiert zu werden, mag vielen auch neu sein. Aber wie das Beispiel der Initiative zeigt, ist der Unterschied zwischen "Neu? Nein, mit ... gewaschen!" und "Wir können uns den Sozialstaat einfach nicht mehr leisten" nicht mehr groß.

Manipulation statt Information

Durch das Verteilen von Meinungen in den Medien werden Meinungen gemacht, die Wahl- oder andere politische Entscheidungen beeinflussen. Lobbyisten, wie die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft wissen und nutzen dies weitgehend ungehindert. Auch eine fortschreitende Ökonomisierung der Medienlandschaft befördert diese Entwicklung: Journalist/inn/en haben unter Erfolgsdruck und selbst in prekären Arbeitsverhältnissen oft keine Zeit mehr, umfassend zu recherchieren und freuen sich über vorgefertigte Nachrichten, ohne sie zu hinterfragen. Bürger/innen reflektieren zu wenig, dass die ihnen vorgesetzten Themen nicht die Wahrheit darstellen sondern ideologisch eingefärbt sind. Der mediale Diskurs wird zunehmend zur Arena der politischen Kämpfe - allerdings mit ungleichen Budgets und subtilen Techniken der Beeinflussung. Statt Menschen zu informieren und sie durch gute Argumente von einer Position zu überzeugen, ist das Ziel die Manipulation.

Maria Wersig lebt und arbeitet in Berlin. Ihr Interesse gilt dem Verhältnis von Recht und Politik und dem Recht der Geschlechterverhältnisse.

Anmerkungen:

1 www.chancenfueralle.de
2 Speth 2004, 3.
3 Nuernbergk, 2005.

Literatur:

Speth, Rudolf, Die politischen Strategien der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, 2004.
Nuernbergk, Christian, Die Mutmacher. Eine explorative Studie über die Öffentlichkeitsarbeit der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. Magisterarbeit, Westfälische Wilhelms- Universität Münster, 2005.