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Die "Anwaltsschwemme"
In Reaktion auf die so genannte "Anwaltsschwemme" hat der Deutsche Anwalt
Verein (DAV) 2004 einen Vorschlag zur Spartenausbildung vorgelegt.1 Der
Begriff "Anwaltsschwemme" beschreibt plakativ die gegenwärtige Situation:
jährlich schließen etwa 10.000 Referendare und Referendarinnen erfolgreich
ihr zweites Staatsexamen ab. 60 - 80 % von ihnen entscheiden sich für
den Anwaltsberuf.2 Dies bedeutet einen Zuwachs von über 5.000 Anwälten
und Anwältinnen pro Jahr. Innerhalb der letzten zehn Jahre hat sich ihre
Zahl fast verdoppelt: waren 1994 erst 74.291 zugelassen, so waren es 2003
bereits 126.793.3 Zum Teil war dieser Anstieg durch die Wiedervereinigung
noch gerechtfertigt, heute werden die Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt
für Juristen und Juristinnen jedoch immer schlechter. Ca. 17 % der neuen
Berufsanfänger und Berufsanfängerinnen geben ihre Anwaltszulassung innerhalb
des ersten Jahres zurück. Der Konkurrenzkampf wird härter. Dabei wird
auch eine "Aufspaltung" der Anwaltschaft beklagt:4 auf der einen Seite
steht das "Anwaltsproletariat", bestehend aus Einzelanwälten und Einzelanwältinnen.
Im Schnitt wird hier ein Gehalt von 29.000 Euro brutto jährlich verdient.5
Auf der anderen Seite stehen Anwälte und Anwältinnen, die in großen Sozietäten
arbeiten: sie verdienen im Schnitt mit 59.000 Euro brutto doppelt so viel.6
In internationalen Großkanzleien können Berufsanfänger und Anfängerinnen
gar mit Einstiegsgehältern von mindestens 60.000 Euro brutto rechnen.
Das Gehalt hängt stark von der jeweiligen Mandantenschicht ab: während
sich etwa mit Ausländerrecht in der Regel kaum Geld verdienen lässt, sind
international agierende Unternehmen fähig und bereit, mehrere hundert
Euro pro Anwaltsstunde zu bezahlen.
Eine Entspannung dieser Situation ist nicht absehbar. Im Gegenteil: die
Studienanfängerzahlen steigen weiter und befanden sich 2003 auf dem höchsten
Stand der Geschichte (21.631 Studienanfänger und Anfängerinnen).7 Die
Einführung der Zwischenprüfung in einigen Bundesländern hat das Studium
stärker verschult. Die Studierenden werden schon frühzeitig zum konstanten
Lernen angehalten, eine Entwicklung, die wahrscheinlich dazu führen wird,
dass es weniger Studienabbrecher und Abbrecherrinnen als bisher geben
wird. Abschließendes dazu wird man jedoch erst sagen können, wenn die
ersten Jahrgänge nach der neuen Studienordnung ihr Examen abgeschlossen
haben. Wurde bisher beklagt, "der große Schrecken" käme mit dem Examen
am Ende des Studiums, so werden die Studierenden mittlerweile längerfristig
an die Herausforderung herangeführt. Auch die Aufspaltung des ersten Examens
in einen Universitäts- und einen Staatsteil mag seinen Beitrag ausmachen.
So ist z.B. in Niedersachsen 30 % des Examens an der Universität zu absolvieren,
die Prüfungen im Universitätsteil strecken sich über mindestens ein Jahr
und sind nicht in wenigen Wochen geballt.
Der Reformvorschlag des DAV
Neben dem Problem der "Masse" der Berufsanfänger und Berufsanfängerinnen
wird vom DAV deren mangelnde Qualifikation beklagt. Die Juristenausbildung
ist am Richterberuf ausgerichtet; wie man sich als Unternehmer am Rechtsdienstleistungsmarkt
behauptet, ist kaum Thema. Der DAV schlägt deswegen die sog. Spartenausbildung
vor: nach dem ersten Staatsexamen soll die Ausbildung der Justizberufe
und der Anwaltschaft getrennt erfolgen.8 Das klassische Referendariat
wird es dann nur noch für diejenigen Kandidaten und Kandidatinnen geben,
die eine Laufbahn in der Justiz oder Verwaltung anstreben. Die Ausbildung
der zukünftigen Anwälte und Anwältinnen soll der Anwaltschaft überlassen
bleiben. Für diesen Vorschlag spricht laut dem DAV so einiges: die neuen
Kandidaten und Kandidatinnen sollen besser auf ihren Beruf als Anwalt
oder Anwältin vorbereitet werden.9 Sie würden gezielt lernen, als Anwalt
zu arbeiten. Im Gegenzug wäre ihnen die Qualifikation zum Richteramt verwehrt.
Auch würde der Staat durch die Spartenausbildung einiges an Kosten sparen,
denn er müsste deutlich weniger Referendare ausbilden als bisher.10
Was aber ist das Problem an diesem Vorschlag, der zunächst einmal sehr
einleuchtend klingt? Wenn die Ausbildung der Anwälte in der Hand der Anwaltschaft
liegt, so hat diese auch die Kontrolle über die Zahl der auszubildenden,
zukünftigen Anwälte und Anwältinnen: denn eine Anwaltsausbildung soll
nur derjenige absolvieren dürfen, der einen Anwaltsausbildungsplatz findet.11
Und hier hat der DAV auch schon konkrete Vorstellungen: etwa 3.000 - 4.000
Ausbildungsplätze sollen pro Jahr geschaffen werden.12 Dies sind etwa
halb so viele, wie heute jährlich den Anwaltsberuf aufnehmen.
Hinter der vermeintlich selbstlosen Übernahme der Kosten und dem Besorgnis
um Qualität steht das Verlangen, selbst entscheiden zu können wer, und
vor allen wie viele Juristen und Juristinnen Anwalt oder Anwältinnen werden.
Wohin so etwas führt ist leicht ersichtlich: den DAV treibt die gleiche
Motivation, die früher zur Gründung der Zünfte führte und auch heute in
den Handwerksinnungen fortbesteht. Der im DAV organisierte Teil der Anwaltschaft
will die Zahl der Konkurrenten klein halten, um dadurch höhere Gewinne
zu erzielen.
Einheitsjurist kontra Spartenjurist
Aber auch neben diesem Argument gibt es erhebliche Bedenken: möchte man
die Einheitsausbildung - und damit den Einheitsjuristen - wirklich aufgeben?
Wer möchte nach dem ersten Staatsexamen wirklich schon entscheiden müssen,
ob er Richter oder Richterin werden möchte? Das Referendariat erlaubt
ein Reinschnuppern in die verschiedenen Berufe, im Studium wird derartiges
nicht angeboten. Die wenigen Pflichtpraktika erlauben kaum einen auch
nur oberflächlichen Einblick. Das Einheitsreferendariat macht die Berufswahl
deutlich fundierter, indem es den Absolventen und Absolventinnen erst
einmal die Möglichkeiten aufzeigt, die ihnen offen stehen.
Der Einheitsjurist - so wird argumentiert - soll sicherstellen, dass alle
Beteiligten auf gleicher Augenhöhe miteinander reden. Es darf aber bezweifelt
werden, dass sich hier durch die Spartenausbildung große Änderungen zur
heutigen Situation ergeben werden. Zum einen ist fraglich, ob die drei
Monate Richterstation im Referendariat tatsächlich den entscheidenden
Unterschied machen werden. Zum anderen besteht auch heute bereits ein
faktisches Ungleichgewicht: während für den Anwaltsberuf im wesentlichen
ein bestandenes zweites Staatsexamen ausreicht, sind die Anforderungen
im Staatsdienst in der Regel wesentlich höher.13 Das Referendariat zeigt
die verschiedenen Perspektiven in der Justiz auf und soll sie leichter
verständlich machen. Dies ist insbesondere wichtig, weil der Anwalt oder
die Anwältin später nicht als reine Interessenvertretung sondern als Organ
der Rechtspflege tätig wird.
Kosten der Ausbildung
Auch die Frage, ob die Anwaltschaft tatsächlich alle Kosten der Ausbildung
tragen wird,14 muss kritisch hinterfragt werden: bereits heute bietet
der DAV ein referendariatsbegleitendes Anwaltsausbildungsprogramm an,
bei dem die Referendare oder Referendarinnen über die Referendariatsausbildung
hinaus eine gründliche Vorbereitung auf den Anwaltsberuf erhalten sollen.15
Dies ist sicherlich keine schlechte Einrichtung, schlägt jedoch bereits
heute mit 2.250 Euro für den Auszubildenden oder die Auszubildende zu
Buche.16
Ein Pessimist oder eine Pessimistin würde für zukünftige Juristen und
Juristinnen wohl folgendes Szenario erblicken: nach einem gebührenpflichtigen
Studium wird das teuer bezahlte Repetitorium aufgesucht, um anschließend
eine mehrjährige Anwaltsausbildung aus eigener Tasche zu bezahlen. Vorausgesetzt
man strandet nicht nach dem ersten Staatsexamen, weil die Zahl der Ausbildungsplätze
künstlich knapp gehalten wird - ein Problem, das vom DAV durchaus gesehen
wird, die Verantwortung hierfür soll jedoch allein der Staat tragen.17
Ein Argument, das durchaus etwas Wahres hat: natürlich ist hier der Staat
in der Verantwortung. Eine andere Frage ist jedoch, ob - entgegen dem
Vorschlag des DAV - dann nicht auch der Staat die Kontrolle über die Zahl
der Ausbildungsplätze haben sollte (zugegen wohl kaum praktikabel), oder
das Problem nicht anders - etwa durch eine weitere Änderung der Inhalte
des Referendariats oder im Studium - gelöst werden kann.
Man könnte sich weiter die verschiedensten (Folge-)Probleme ausmalen:
die guten Absolventen und Absolventinnen werden wohl auch in Zukunft immer
einen Ausbildungsplatz bekommen. Die weniger Guten müssten eventuell schon
auf ihre Vergütung verzichten, und die Schlechten werden vielleicht doch
noch einen Ausbildungsanwalt finden, der ihnen gegen entsprechende finanzielle
Zuwendungen die Anwaltzulassung verschafft. Ob sich das Problem der "Anwaltsschwemme"
so wirklich lösen lässt, ist zu bezweifeln. Auf jeden Fall ist ein ernsthaftes
Gerechtigkeitsproblem zu befürchten.18 Im düstersten Fall werden zukünftige
Anwälte und Anwältinnen gezwungen sein, sich eine Anwaltszulassung (den
Ausbildungsplatz) geradezu zu "erkaufen".
Die Spartenausbildung: Eine Hydra?
Die Spartenausbildung bereitet eine Vielzahl von Problemen. Der Vorschlag
des DAV würde die Situation wohl nur schwieriger machen als sie es sowieso
schon ist. Die Anwaltsausbildung allein in die Hände der Anwaltschaft
zu geben erscheint absurd, eine staatliche Regelung der Ausbildungsplätze
kaum praktikabel: der Einfluss des Staates auf Ausbildungsplätze war immer
ein eher zweitrangiger. Warum die Ausbildungsplatzfrage beim Anwaltsberuf
besser regelbar sein sollte als in anderen Branchen, ist allerdings nicht
ersichtlich. Eine Anwaltsausbildung ohne die direkte Beteiligung der Anwaltschaft
als Ausbilder wird hingegen kaum Sinn machen.
Ob das Ideal des Einheitsjuristen tatsächlich für einen derartigen Berg
von Problemen aufgegeben werden sollte, erscheint mir höchst fraglich.
Natürlich muss das Bildungssystem reformiert und die Inhalte des Referendariats
den Bedürfnissen angepasst werden, aber das ist ein anderes Thema. Die
Einheitsausbildung muss dafür jedoch nicht aufgegeben werden. Zudem ist
die Situation nicht unbedingt so schlecht wie behauptet. Bereits jetzt
stehen dem Referendar oder der Referendarin, der oder die sich für den
Anwaltsberuf entschieden haben, Möglichkeiten und Wege offen, sich darauf
gezielt vorzubereiten.
Eliu Schmitt promoviert in Göttingen
Anmerkungen:
1 Vorschläge des DAV zur Reform der Juristenausbildung (Spartenausbildungsmodell).
Vom Vorstand des DAV am 22./23. Sept. 2004 verabschiedete Fassung. Vgl.:
www.anwaltverein.de/anwaltausbildung/modell.pdf (Im Folgenden: DAV Vorschlag).
2 DAV Vorschlag, 17; dort wird die Zahl von 75 % genannt.
3 Quelle: www.brak.de.
4 Siehe etwa: Graf von Westphalen, Friedrich, Droht die Spaltung der Anwaltschaft?,
Anwaltsblatt (AnwBl) 2005, 681.
5 Spiegel online v. 05.01.2006.
6 Ebenda.
7 Quelle: www.brak.de.
8 DAV Vorschlag, 8; eine Kurzfassung des Vorschlages findet sich im AnwBl
2005, 35.
9 DAV Vorschlag, 24; Kilger, Hartmut, Juristenausbildung 2006 - nur Qualität
sichert den Anwaltsberuf, AnwBl 2006, 1 (2).
10 DAV Vorschlag, 25.
11 DAV Vorschlag, 5.
12 DAV Vorschlag, 27 und insges.; Kilger, AnwBl 2006, 1 (3), spricht
sogar nur von 2.000 - 3.000 notwendigen jungen Kollegen und Kolleginnen
pro Jahr. Gleichwohl soll es sich nach Kilgers Auffassung nur um einen
Nebeneffekt handeln (S. 4). RA Hartmut Kilger ist Präsident des DAV.
13 Eingehend zu dieser Frage (und zu anderen): Wesel, Uwe, Risiko Rechtsanwalt,
2001.
14 DAV Vorschlag, 9.
15 Details: www.dav-anwaltsausbildung.de.
16 Vgl. Stichwort: DAV-Anwaltsausbildung, AnwBl 2005, 630.
17 DAV Vorschlag, 29.
18 Siehe auch den Debattenbeitrag von Jeep, Jens, AnwBl 2005, 632.
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