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       "Der Pass ist der edelste Teil des Menschen. er kommt auch nicht auf 
        so einfache Weise zustande wie ein Mensch. Ein Mensch kann überall zustande 
        kommen, auf die leichtsinnigste Art und ohne gescheiten Grund, aber ein 
        Pass niemals. Dafür wird er auch anerkannt, wenn er gut ist, während ein 
        Mensch noch so gut sein kann und doch nicht anerkannt wird." (Berthold 
        Brecht, Flüchtlingsgespräche) 
      Der "Ausländer" - eine moderne Erfindung 
      Ohne den Staat gibt es kein Ein- oder Auswandern. Wer einst von Göttingen 
        nach Kassel umzog wanderte vom Königreich Hannover in den Staat Hessen-Kassel 
        ein. Als etwa die Gebrüder Grimm 1837 in Göttingen gegen die willkürliche 
        Aufhebung der Landesverfassung durch den König von Hannover rebellierten, 
        wurden sie nicht nur der Ämter enthoben. Jacob wurde vielmehr als einer 
        der Wortführer des Landes verwiesen und musste zurück ins hessische Heimatland 
        nach Kassel, wohin ihm Wilhelm ein Jahr später folgte. 
        Heute hingegen verspricht die Verfassung in Art. 11 ihres Grundrechtskataloges 
        allen Deutschen Freizügigkeit. Göttinger Abgeschobene in Kassel gibt es 
        da nicht mehr. Die eine Republik, in der die Untertanen unterschiedlicher 
        Fürsten und Könige über den Umweg des Kaiserreiches zu freien und gleichen 
        StaatsbürgerInnen avancierten, zunächst ja eine erfreuliche Entwicklung. 
        Nun, Vehikel und Ergebnis dieser Entwicklung war und ist die Erfindung 
        der deutschen Nation. Auch die wackeren Grimms trugen mit ihrem "Deutschen 
        Wörterbuch" das ihrige dazu bei. Doch den/die NationalistIn treibt etwas 
        anderes als ein philologisches Interesse. Die erbauliche Lektüre der Dichterin 
        und der ganz beachtliche Gedanke des Denkers stehen dem/der NationalistIn 
        Pate für ein völkisches Kollektiv. Denn sie werden zum symbolischen Bezugspunkt 
        einer nationalen Kultur, die im Politischen nur dem/der dieser Kultur 
        affirmativ Zugewandten die Staatsbürgerschaft gewährt. 
        Dazuzugehören erfolgt im Nationalstaat damit nicht durch einen Akt untertänigster 
        Unterwerfung, wie etwa zu Zeiten des preußischen Kurfürsten. Ende des 
        siebzehnten Jahrhunderts nahm dieser Tausende von Hugenotten auf, die 
        dann einigen Pep ins rückständige Berlin brachten. Die Mitgliedschaft 
        in der Nation e.V. verlangt hingegen ein viel totalitäreres Bekenntnis, 
        eine kulturelle Anpassungsleistung, wenn nicht gar "deutsches Blut". Die 
        Einschließung der Eigenen und die Ausschließung der Anderen, die klare 
        Trennung von In- und Ausländern, gilt damit als für den Nationalstaat 
        konstitutiv. 
      Zu Besuch im Bundesgebiet 
      Mit den Eigenen befasst sich das Staatsangehörigkeitsrecht, mit den Anderen 
        das Ausländerrecht. Das Ausländerrecht regelt den Aufenthalt von Nichtstaatsangehörigen 
        im Bundesgebiet. Wer einreisen will, muss in der Regel schon im Ausland 
        dort, wo er oder sie herkommt, ein Visum bei einer deutschen Bundesbehörde 
        - der Botschaft - beantragen. Das Verfahren ist dann zunächst schwer zu 
        durchschauen, da an der Entscheidung eine Ausländerbehörde im Inland beteiligt 
        wird. 
        Beim Besuchsvisum wird insbesondere geprüft, ob Gefahr besteht, dass der/die 
        BesucherIn nach Einreise sich entscheiden könnte, dauerhafter im Bundesgebiet 
        zu verweilen. Dieses widerspräche dem im Ausländerrecht zentralen "öffentlichen 
        Interesse der Zuwanderungsbegrenzung". Zudem wird bei vielen Ländern eine 
        Bürgschaft eines/r InländerIn verlangt, die im antizipierten Bedarfsfalle 
        die Kosten der Abschiebung des Gastes decken soll. So manch eineR macht 
        sich etwa beim Kurzurlaub in Tunesien nicht bewusst, dass ein Gegenbesuch 
        solchen (und anderen) Schwierigkeiten begegnet. Nur wer aus einen der 
        knapp 60 visumsfreien Länder kommt (gemäß Anlage I zur Durchführungsverordnung 
        zum Ausländergesetz), reist in Deutschland ohne vorherigen Behördengang 
        ein - eben wie Deutsche in Tunesien. Nicht ganz überraschend gehören afrikanischen 
        Staaten nicht dazu. 
        Besuche bis maximal drei Monate sind in den meisten Fällen zumindest mit 
        Geld, Beziehungen und Beharrlichkeit möglich. Ein Daueraufenthalt ist 
        hingegen problematisch. Das jetzt noch gültige Ausländergesetz von 1990 
        mit den Änderungen der Folgezeit lehnt entsprechend dem kulturdeutschen 
        Wunschdenken, dass Deutschland kein Einwanderungsland sei, Einwanderung 
        ab. Und dennoch ist Deutschland ein Einwanderungsland. Wie kommt das? 
        Die Gründe sind zum einen wirtschaftlicher Natur. Zum anderen sind sie 
        bei den Menschenrechten zu finden. 
      "Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen" 
      In den Anfangsjahren der Bundesrepublik war die schnelle Wiederherstellung 
        der westdeutschen Wirtschaftskraft aus unterschiedlichen Gründen und Interessen 
        Priorität. Die deutsche Industrie, noch in den Nürnberger Prozessen als 
        einer der Hauptverantwortlichen des Nationalsozialismus identifiziert, 
        sollte durch die Europäische Einbindung mit Gründung der Montanunion 1951 
        gezähmt werden. Die Westintegration der Bundesrepublik folgte aus der 
        antikommunistischen Frontstellung. 
        Für die Produktion wurden in den Nachkriegsjahren zwischen 1955 und '73 
        vierzehn Millionen Arbeitskräfte angeworben. Rechtliche Grundlage waren 
        bilaterale Anwerbeabkommen: mit Italien 1955, Spanien und Griechenland 
        1960, der Türkei 1961, Portugal 1964, Marokko und Tunesien 1965 und Jugoslawien 
        1968. ArbeitsmigrantInnen gehören damit unwiderruflich zum Gründungsmythos 
        der Bundesrepublik, dem "Wirtschaftwunder". 
        Dem nationalen Selbstverständnis entsprach die Bemühung, Arbeitsmigration 
        nicht zur Einwanderung werden zu lassen. Eine Integration wurde verhindert, 
        die Rückkehr mit Prämien gefördert. Elf Millionen, circa 80 Prozent, kehrten 
        in Ihre Herkunftsländer zurück. Gleichwohl standen denjenigen, die entschieden 
        zu bleiben, eine Verfestigung des Aufenthalts auf Dauer wenigstens rechtlich 
        keine Hindernisse entgegen. Erst nach dem bis heute geltenden Anwerbestopp 
        von 1973 sind die verbleibenden Möglichkeiten des Arbeitsaufenthalts so 
        ausgestattet worden, dass während der Beschäftigungszeit keine Verfestigung 
        des Aufenthalts entsteht. 
        Geregelt wurde dies in der aufgrund von § 10 Ausländergesetz (AuslG) erlassenen 
        Arbeitsaufenthalteverordnung und zuletzt in der IT-Aufenthalteverordnung 
        - Stichwort: "Computerinder". Das Ausländer- und Asylrecht kennt sieben 
        unterschiedliche Aufenthaltstitel, an die z. T. weitgehende Einschränkungen 
        anknüpfen. ArbeitsmigrantInnen wird entweder eine befristete Aufenthaltserlaubnis 
        mit der Besonderheit erteilt, dass nach drei bzw. fünf Jahren ein Verlängerung 
        ausgeschlossen ist. Oder sie erhalten eine am Aufenthaltszweck gebundene 
        Aufenthaltsbewilligung, die auch nach vielen Jahren bei Verlust oder Wechsel 
        der Arbeit die Ausreise verlangt. 
        Dieser Fehler der früheren "Gastarbeiterpolitik", mit befristeter Anwerbung 
        Integration zu verhindern statt eine langfristig angelegte dauerhafte 
        Einwanderung zu ermöglichen, wird im Zuwanderungsgesetz - sollte dieses 
        in der derzeitigen Fassung auch in Kraft treten - teilweise fortgeführt. 
        Nur besonders Qualifizierten im Sinne der §§ 19, 20 Aufenthaltsgesetz 
        (AufenthG-neu) wird eine unbefristete Niederlassungserlaubnis erteilt. 
        Ansonsten soll eine Verfestigung erstmalig nach fünf Jahren möglich sein, 
        falls der/die Betreffende weiterhin beschäftigt ist. 
      Flucht und Migration als Wahrnehmung von Menschenrechten 
      Während zum Zwecke der Bereicherung Deutscher auch ein Ausländer gut 
        sein kann, ist ein allein auf Menschenrechte gestütztes Aufenthaltsbegehren 
        vor dem Hintergrund des nationalen Selbstverständnisses und ökonomischer 
        Rationalität schon fast systemwidrig. Folglich wurde durch ein immer restriktiveres 
        Ausländer- und Asylrecht die Wahrnehmung von Menschenrechten weiter eingeschränkt. 
        Andererseits sind die Menschenrechte das wichtigste argumentative Kampfmittel 
        für eine menschlichere Flüchtlings- und Migrationpolitik. Denn die Verfassung 
        macht in Art. 1 Abs. 3 und Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG) die Menschenrechte 
        zum Maß aller Dinge. 
        Die Menschenrechte geben dem Ausländer- und Asylrecht vor, den Schutz 
        von Ehe und Familie (Art. 6 GG), die Menschenwürde (Art. 1 GG), die Freiheit 
        der Art. 2 und 104 GG, das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 1, 2 
        GG), das Asylrecht (Art. 16 a GG) und durch das Asylrecht die Glaubens-, 
        Gewissens- und Meinungsfreiheit (Art. 4, 5 GG) zu gewährleisten. Internationale 
        Abkommen wie die Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), der Genfer 
        Flüchtlingskonvention (GFK) oder der Kinderrechtskonvention (KRK) ergänzen 
        diese Vorgaben des Grundrechtskatalogs. Dementsprechend orientiert sich 
        das Zuwanderungsgesetz an unterschiedlichen Aufenthaltszwecken: Den Aufenthaltszwecken 
        der Ausbildung (Abschnitt 3 AufenthG-neu) und der Erwerbstätigkeit (Abschnitt 
        4) folgen der Aufenthalt aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen 
        Gründen (Abschnitt 5) sowie der aus familiären Gründen (Abschnitt 6). 
        Jedoch greift etwa die Regelung zum Nachzugsalter von Kindern zu kurz: 
        Aus Art. 6 GG, Art. 5 und 9 KRK folgt das Recht des Kindes, bis zum achtzehnten 
        Lebensjahr bei den Eltern aufzuwachsen und mit beiden Elternteilen Umgang 
        zu haben. Dementsprechend hatte ein Kind früher noch das Recht, bis zur 
        Volljährigkeit zu den im Bundesgebiet lebenden ausländischen Eltern nachzuziehen. 
        Bereits die sozial-liberale Koalition senkte aber das Nachzugsalter 1981 
        auf sechzehn ab. Im § 32 AufenthG-neu erlischt nunmehr mit Ablauf des 
        zwölften (!) Lebensjahres das Recht, zu den Eltern nachzuziehen. 
        Das Asylrecht, dessen Anerkennungsverfahren im Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) 
        ausgestaltet ist, hat im Juni 1993 eine besonders folgenreiche Verkürzung 
        erfahren. Mit Einführung des Art. 16 a Abs. 1 GG wurde das Asylrecht denjenigen 
        entzogen, die über den Landweg nach Deutschland einreisen. Die entsprechenden 
        Rechte aus Art. 51 GFK konnte der Gesetzgeber dem Flüchtling zwar nicht 
        nehmen. Zur Anerkennung als GFK-Flüchtling wird dieser aber auf das Verfahren 
        im jeweiligen "sicheren Drittstaat" verwiesen, dem Anrainerstaat, aus 
        dem er einreisen will. Im Ergebnis kann sich nur auf die Rechte als Flüchtling 
        berufen, wer illegal einreist und den Fluchtweg verschleiert. Die Flucht 
        via See- oder Luftweg stehen andere Hindernisse entgegen. Nach den Gefahren 
        im Verfolgerstaat wird so auch die Flucht zu einem nicht selten tödlichen 
        Wagnis. 
        Mit dem Ziel, Flüchtlinge abzuschrecken und das restriktive Recht durchzusetzen 
        sind in den neunziger Jahren die Rechte von AsylbewerberInnen und Geduldeten 
        stark beschnitten worden: Die Sozialhilfe wurde gekürzt, das sogenannte 
        Sachleistungsprinzip eingeführt, das Recht zu arbeiten mit Sperrzeiten 
        belegt und die Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Eine zynische Ergänzung 
        zu diesen Maßnahmen stellte etwa der Fall des algerischen Flüchtlings 
        Khaled B. dar, der nach dem Gubener Neonaziübergriff von 1999 traumatisiert 
        war. Die Ausländerbehörde Potsdam verweigerte ihm eine Aufenthaltsbefugnis, 
        denn er werde aufgrund der Traumatisierung "nur bedingt in der Lage sein", 
        "sein Leben eigenständig zu meistern". (vgl. Berliner Zeitung v. 15.09.2000; 
        Frankfurter Rundschau v. 05.07.2002). 
      Ausblick 
       Das Studium der Rechtswissenschaft, der Herrschaftswissenschaft par 
        Excellenze, ist in vielen Bereichen eine Auseinandersetzung mit etwas, 
        was man ablehnt. Jedenfalls gehört das Ausländer- und Asylrecht mit seinem 
        Selbstverständnis und seiner oft furchtbaren Behördenpraxis dazu. Das 
        kritische Jurastudium ist hier ein Ansatz, über ein Verständnis der Hintergründe 
        - gerade auch in Hinblick auf die europäische Entwicklung - der gesetzlichen 
        Diskriminierung und gesellschaftlichen Marginalisierung entgegen zu treten. 
       
      Lars Kroidl, Rechtsanwalt in Berlin.  
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