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  Ausländer- und Zuwanderungsrecht   Sonderausgabe
Wozu Jura studieren?
2002/2003

Seite 22-23
 
  Die nationale Ausgrenzung und ihre Verwaltung  
 

"Der Pass ist der edelste Teil des Menschen. er kommt auch nicht auf so einfache Weise zustande wie ein Mensch. Ein Mensch kann überall zustande kommen, auf die leichtsinnigste Art und ohne gescheiten Grund, aber ein Pass niemals. Dafür wird er auch anerkannt, wenn er gut ist, während ein Mensch noch so gut sein kann und doch nicht anerkannt wird." (Berthold Brecht, Flüchtlingsgespräche)

Der "Ausländer" - eine moderne Erfindung

Ohne den Staat gibt es kein Ein- oder Auswandern. Wer einst von Göttingen nach Kassel umzog wanderte vom Königreich Hannover in den Staat Hessen-Kassel ein. Als etwa die Gebrüder Grimm 1837 in Göttingen gegen die willkürliche Aufhebung der Landesverfassung durch den König von Hannover rebellierten, wurden sie nicht nur der Ämter enthoben. Jacob wurde vielmehr als einer der Wortführer des Landes verwiesen und musste zurück ins hessische Heimatland nach Kassel, wohin ihm Wilhelm ein Jahr später folgte.
Heute hingegen verspricht die Verfassung in Art. 11 ihres Grundrechtskataloges allen Deutschen Freizügigkeit. Göttinger Abgeschobene in Kassel gibt es da nicht mehr. Die eine Republik, in der die Untertanen unterschiedlicher Fürsten und Könige über den Umweg des Kaiserreiches zu freien und gleichen StaatsbürgerInnen avancierten, zunächst ja eine erfreuliche Entwicklung.
Nun, Vehikel und Ergebnis dieser Entwicklung war und ist die Erfindung der deutschen Nation. Auch die wackeren Grimms trugen mit ihrem "Deutschen Wörterbuch" das ihrige dazu bei. Doch den/die NationalistIn treibt etwas anderes als ein philologisches Interesse. Die erbauliche Lektüre der Dichterin und der ganz beachtliche Gedanke des Denkers stehen dem/der NationalistIn Pate für ein völkisches Kollektiv. Denn sie werden zum symbolischen Bezugspunkt einer nationalen Kultur, die im Politischen nur dem/der dieser Kultur affirmativ Zugewandten die Staatsbürgerschaft gewährt.
Dazuzugehören erfolgt im Nationalstaat damit nicht durch einen Akt untertänigster Unterwerfung, wie etwa zu Zeiten des preußischen Kurfürsten. Ende des siebzehnten Jahrhunderts nahm dieser Tausende von Hugenotten auf, die dann einigen Pep ins rückständige Berlin brachten. Die Mitgliedschaft in der Nation e.V. verlangt hingegen ein viel totalitäreres Bekenntnis, eine kulturelle Anpassungsleistung, wenn nicht gar "deutsches Blut". Die Einschließung der Eigenen und die Ausschließung der Anderen, die klare Trennung von In- und Ausländern, gilt damit als für den Nationalstaat konstitutiv.

Zu Besuch im Bundesgebiet

Mit den Eigenen befasst sich das Staatsangehörigkeitsrecht, mit den Anderen das Ausländerrecht. Das Ausländerrecht regelt den Aufenthalt von Nichtstaatsangehörigen im Bundesgebiet. Wer einreisen will, muss in der Regel schon im Ausland dort, wo er oder sie herkommt, ein Visum bei einer deutschen Bundesbehörde - der Botschaft - beantragen. Das Verfahren ist dann zunächst schwer zu durchschauen, da an der Entscheidung eine Ausländerbehörde im Inland beteiligt wird.
Beim Besuchsvisum wird insbesondere geprüft, ob Gefahr besteht, dass der/die BesucherIn nach Einreise sich entscheiden könnte, dauerhafter im Bundesgebiet zu verweilen. Dieses widerspräche dem im Ausländerrecht zentralen "öffentlichen Interesse der Zuwanderungsbegrenzung". Zudem wird bei vielen Ländern eine Bürgschaft eines/r InländerIn verlangt, die im antizipierten Bedarfsfalle die Kosten der Abschiebung des Gastes decken soll. So manch eineR macht sich etwa beim Kurzurlaub in Tunesien nicht bewusst, dass ein Gegenbesuch solchen (und anderen) Schwierigkeiten begegnet. Nur wer aus einen der knapp 60 visumsfreien Länder kommt (gemäß Anlage I zur Durchführungsverordnung zum Ausländergesetz), reist in Deutschland ohne vorherigen Behördengang ein - eben wie Deutsche in Tunesien. Nicht ganz überraschend gehören afrikanischen Staaten nicht dazu.
Besuche bis maximal drei Monate sind in den meisten Fällen zumindest mit Geld, Beziehungen und Beharrlichkeit möglich. Ein Daueraufenthalt ist hingegen problematisch. Das jetzt noch gültige Ausländergesetz von 1990 mit den Änderungen der Folgezeit lehnt entsprechend dem kulturdeutschen Wunschdenken, dass Deutschland kein Einwanderungsland sei, Einwanderung ab. Und dennoch ist Deutschland ein Einwanderungsland. Wie kommt das? Die Gründe sind zum einen wirtschaftlicher Natur. Zum anderen sind sie bei den Menschenrechten zu finden.

"Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen"

In den Anfangsjahren der Bundesrepublik war die schnelle Wiederherstellung der westdeutschen Wirtschaftskraft aus unterschiedlichen Gründen und Interessen Priorität. Die deutsche Industrie, noch in den Nürnberger Prozessen als einer der Hauptverantwortlichen des Nationalsozialismus identifiziert, sollte durch die Europäische Einbindung mit Gründung der Montanunion 1951 gezähmt werden. Die Westintegration der Bundesrepublik folgte aus der antikommunistischen Frontstellung.
Für die Produktion wurden in den Nachkriegsjahren zwischen 1955 und '73 vierzehn Millionen Arbeitskräfte angeworben. Rechtliche Grundlage waren bilaterale Anwerbeabkommen: mit Italien 1955, Spanien und Griechenland 1960, der Türkei 1961, Portugal 1964, Marokko und Tunesien 1965 und Jugoslawien 1968. ArbeitsmigrantInnen gehören damit unwiderruflich zum Gründungsmythos der Bundesrepublik, dem "Wirtschaftwunder".
Dem nationalen Selbstverständnis entsprach die Bemühung, Arbeitsmigration nicht zur Einwanderung werden zu lassen. Eine Integration wurde verhindert, die Rückkehr mit Prämien gefördert. Elf Millionen, circa 80 Prozent, kehrten in Ihre Herkunftsländer zurück. Gleichwohl standen denjenigen, die entschieden zu bleiben, eine Verfestigung des Aufenthalts auf Dauer wenigstens rechtlich keine Hindernisse entgegen. Erst nach dem bis heute geltenden Anwerbestopp von 1973 sind die verbleibenden Möglichkeiten des Arbeitsaufenthalts so ausgestattet worden, dass während der Beschäftigungszeit keine Verfestigung des Aufenthalts entsteht.
Geregelt wurde dies in der aufgrund von § 10 Ausländergesetz (AuslG) erlassenen Arbeitsaufenthalteverordnung und zuletzt in der IT-Aufenthalteverordnung - Stichwort: "Computerinder". Das Ausländer- und Asylrecht kennt sieben unterschiedliche Aufenthaltstitel, an die z. T. weitgehende Einschränkungen anknüpfen. ArbeitsmigrantInnen wird entweder eine befristete Aufenthaltserlaubnis mit der Besonderheit erteilt, dass nach drei bzw. fünf Jahren ein Verlängerung ausgeschlossen ist. Oder sie erhalten eine am Aufenthaltszweck gebundene Aufenthaltsbewilligung, die auch nach vielen Jahren bei Verlust oder Wechsel der Arbeit die Ausreise verlangt.
Dieser Fehler der früheren "Gastarbeiterpolitik", mit befristeter Anwerbung Integration zu verhindern statt eine langfristig angelegte dauerhafte Einwanderung zu ermöglichen, wird im Zuwanderungsgesetz - sollte dieses in der derzeitigen Fassung auch in Kraft treten - teilweise fortgeführt. Nur besonders Qualifizierten im Sinne der §§ 19, 20 Aufenthaltsgesetz (AufenthG-neu) wird eine unbefristete Niederlassungserlaubnis erteilt. Ansonsten soll eine Verfestigung erstmalig nach fünf Jahren möglich sein, falls der/die Betreffende weiterhin beschäftigt ist.

Flucht und Migration als Wahrnehmung von Menschenrechten

Während zum Zwecke der Bereicherung Deutscher auch ein Ausländer gut sein kann, ist ein allein auf Menschenrechte gestütztes Aufenthaltsbegehren vor dem Hintergrund des nationalen Selbstverständnisses und ökonomischer Rationalität schon fast systemwidrig. Folglich wurde durch ein immer restriktiveres Ausländer- und Asylrecht die Wahrnehmung von Menschenrechten weiter eingeschränkt. Andererseits sind die Menschenrechte das wichtigste argumentative Kampfmittel für eine menschlichere Flüchtlings- und Migrationpolitik. Denn die Verfassung macht in Art. 1 Abs. 3 und Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG) die Menschenrechte zum Maß aller Dinge.
Die Menschenrechte geben dem Ausländer- und Asylrecht vor, den Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 GG), die Menschenwürde (Art. 1 GG), die Freiheit der Art. 2 und 104 GG, das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 1, 2 GG), das Asylrecht (Art. 16 a GG) und durch das Asylrecht die Glaubens-, Gewissens- und Meinungsfreiheit (Art. 4, 5 GG) zu gewährleisten. Internationale Abkommen wie die Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) oder der Kinderrechtskonvention (KRK) ergänzen diese Vorgaben des Grundrechtskatalogs. Dementsprechend orientiert sich das Zuwanderungsgesetz an unterschiedlichen Aufenthaltszwecken: Den Aufenthaltszwecken der Ausbildung (Abschnitt 3 AufenthG-neu) und der Erwerbstätigkeit (Abschnitt 4) folgen der Aufenthalt aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen (Abschnitt 5) sowie der aus familiären Gründen (Abschnitt 6).
Jedoch greift etwa die Regelung zum Nachzugsalter von Kindern zu kurz: Aus Art. 6 GG, Art. 5 und 9 KRK folgt das Recht des Kindes, bis zum achtzehnten Lebensjahr bei den Eltern aufzuwachsen und mit beiden Elternteilen Umgang zu haben. Dementsprechend hatte ein Kind früher noch das Recht, bis zur Volljährigkeit zu den im Bundesgebiet lebenden ausländischen Eltern nachzuziehen. Bereits die sozial-liberale Koalition senkte aber das Nachzugsalter 1981 auf sechzehn ab. Im § 32 AufenthG-neu erlischt nunmehr mit Ablauf des zwölften (!) Lebensjahres das Recht, zu den Eltern nachzuziehen.
Das Asylrecht, dessen Anerkennungsverfahren im Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) ausgestaltet ist, hat im Juni 1993 eine besonders folgenreiche Verkürzung erfahren. Mit Einführung des Art. 16 a Abs. 1 GG wurde das Asylrecht denjenigen entzogen, die über den Landweg nach Deutschland einreisen. Die entsprechenden Rechte aus Art. 51 GFK konnte der Gesetzgeber dem Flüchtling zwar nicht nehmen. Zur Anerkennung als GFK-Flüchtling wird dieser aber auf das Verfahren im jeweiligen "sicheren Drittstaat" verwiesen, dem Anrainerstaat, aus dem er einreisen will. Im Ergebnis kann sich nur auf die Rechte als Flüchtling berufen, wer illegal einreist und den Fluchtweg verschleiert. Die Flucht via See- oder Luftweg stehen andere Hindernisse entgegen. Nach den Gefahren im Verfolgerstaat wird so auch die Flucht zu einem nicht selten tödlichen Wagnis.
Mit dem Ziel, Flüchtlinge abzuschrecken und das restriktive Recht durchzusetzen sind in den neunziger Jahren die Rechte von AsylbewerberInnen und Geduldeten stark beschnitten worden: Die Sozialhilfe wurde gekürzt, das sogenannte Sachleistungsprinzip eingeführt, das Recht zu arbeiten mit Sperrzeiten belegt und die Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Eine zynische Ergänzung zu diesen Maßnahmen stellte etwa der Fall des algerischen Flüchtlings Khaled B. dar, der nach dem Gubener Neonaziübergriff von 1999 traumatisiert war. Die Ausländerbehörde Potsdam verweigerte ihm eine Aufenthaltsbefugnis, denn er werde aufgrund der Traumatisierung "nur bedingt in der Lage sein", "sein Leben eigenständig zu meistern". (vgl. Berliner Zeitung v. 15.09.2000; Frankfurter Rundschau v. 05.07.2002).

Ausblick

Das Studium der Rechtswissenschaft, der Herrschaftswissenschaft par Excellenze, ist in vielen Bereichen eine Auseinandersetzung mit etwas, was man ablehnt. Jedenfalls gehört das Ausländer- und Asylrecht mit seinem Selbstverständnis und seiner oft furchtbaren Behördenpraxis dazu. Das kritische Jurastudium ist hier ein Ansatz, über ein Verständnis der Hintergründe - gerade auch in Hinblick auf die europäische Entwicklung - der gesetzlichen Diskriminierung und gesellschaftlichen Marginalisierung entgegen zu treten.

Lars Kroidl, Rechtsanwalt in Berlin.