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  Biographien ohne Brüche  

Sonderausgabe
Wozu Jura studieren?
2002/2003

Seite 28-29

  Personelle Kontinuitäten im Übergang vom Dritten Reich zur Bundesrepublik  
 

Warum hat das BGB im "Schönfelder" die Nummer 20?

Wenngleich auch heutzutage noch das Ende des zweiten Weltkriegs und der Untergang des Dritten Reiches am 8. Mai 1945 als Stunde Null des Nachkriegsdeutschlands dargestellt werden, so ist dies doch schon lange als eine Fiktion entlarvt. Dass der Übergang vom alten zum neuen Staat in vielen gesellschaftlichen Bereichen und Positionen von personeller Kontinuität geprägt war, ist inzwischen weithin bekannt. Ein besonders trauriges Beispiel dieses Phänomens stellt die deutsche Rechtswissenschaft dar. Ein großer Teil derjenigen, die nach 1945 an den juristischen Fakultäten unterrichteten und die Rechtsordnung des neuen, demokratischen Staates mit entwickeln sollten, hatten ihre Lehrstühle schon vorher inne und leisteten in Lehre und Forschung dem Nationalsozialismus wertvolle Dienste. Unter diesen "furchtbaren Juristen" 1 des Dritten Reichs sind einige, deren Namen auch heute noch den Studierenden bereits im ersten Semester begegnen. Auf drei von ihnen soll hier kurz eingegangen werden.

Edmund Mezger

Das Strafrecht gehörte zu den Rechtsgebieten, die zuerst Gegenstand nationalsozialistischer Unrechtsgesetzgebung wurden. Der Strafrechtler Edmund Mezger (1883-1962), der als Professor in München von 1934-36 der Kommission des Reichsjustizministers zur Reform des Strafrechts angehörte, wirkte hieran mit. 1935 wurde der Grundsatz "nulla poena sine lege" (keine Strafe ohne Gesetz), der Schutz vor willkürlicher Strafverfolgung gewährt, durch eine Formel ersetzt, die auch für Taten, die nach dem Gesetz nicht strafbar waren, eine Bestrafung nach dem Grundgedanken eines Tatbestands und nach dem "gesunden Volksempfinden" ermöglichte. Hierzu schrieb Mezger: "Die neue Bestimmung des § 2 StGB (...) verhindert klar und scharf jede uferlose Freiheit und jede verderbliche richterliche Willkür." 2. 1948 erhielt Mezger seinen drei Jahre zuvor verlorenen Lehrstuhl wieder zurück, war von 1954-59 Mitglied der Großen Strafrechtsreformkommission des Bundesjustizministers und wirkte dort erneut an einer Strafrechtsreform mit. Mezgers wohl nicht unbekannte Vergangenheit stellte in der frühen Bundesrepublik offensichtlich keinen Hinderungsgrund für die wissenschaftliche Mitwirkung an der Gesetzgebung dar.

Theodor Maunz

Mit der rechtlichen Stellung der Polizei im nationalsozialistischen Staat befasste sich Theodor Maunz (1901-1993), der seine Karriere 1935 mit einer Professur in Freiburg begann. Noch 1943, nach Jahren der Verfolgung von Oppositionellen durch die Geheime Staatspolizei (Gestapo) lobte Maunz den Führererlass von 1936 und die durch die Nazis geleistete Arbeit beim Umbau der Polizei, die nun endlich eine "machtvoll gewordene Einheit" sei, "deren Mannschaft überdies durch das Charisma eines persönlichen Führers und durch das Band unverbrüchlicher Treue zusammengeschlossen wird" und die so "eigenes verfassungsrechtliches Gewicht" gewonnen habe. 3

Theodor Maunz war nach 1945 Mitglied des Verfassungskonvents in Herrenchiemsee, auf dem das Grundgesetz vorbereitet wurde. Seit 1952 war er Professor in München und begründete den Grundgesetzkommentar "Maunz-Dürig", ein Standardwerk. Als einer der wenigen Juristen des Dritten Reichs wurde Maunz noch zu Lebzeiten von seiner Vergangenheit eingeholt. Im Jahre 1964 zwangen ihn die Veröffentlichung einiger seiner vor 1945 getätigten Äußerungen in der Neuen Juristischen Wochenschrift (NJW) 4 zum Rücktritt vom Amte des bayrischen Kultusministers. Auf seine Stellung als Professor hatte dies allerdings keine Auswirkungen. Nach seinem Tod im Jahre 1993 wurde schließlich bekannt, dass Maunz der rechtsradikalen DVU juristischen und parteitaktischen Rat erteilt, und in der "Nationalzeitung" unter einem Pseudonym Artikel veröffentlicht hatte. 5

Karl Larenz

Zu einer grundlegenden gesetzgeberischen Neuordnung des Zivilrechts mangelte es den Nationalsozialisten an Zeit und Interesse. Deshalb verließ man sich abgesehen von einigen Bereichen des Erb- und Familienrechts darauf, dass die Juristen das alte Recht schon im Geiste des nationalsozialistischen Denkens auslegen würden. Eine besondere Bedeutung erlangte hier der Zivilrechtler und Rechtsphilosoph Karl Larenz (1903-1993). Er übernahm 1933 in Kiel den Lehrstuhl von Gerhart Husserl, der als Jude aufgrund des "Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" vertrieben worden war.
Larenz äußerte sich zur Rechtsfähigkeit des Menschen, § 1 Bürgerliches Gesetzbuch: "(Die bisherige Dogmatik( betrachtet es als selbstverständlich, dass jeder Mensch als solcher ohne Rücksicht auf Volkszugehörigkeit oder sonstige Voraussetzungen, Person und damit rechtsfähig ist. (...) Damit verrät sich bereits der Gleichheitsgedanke als das weltanschauliche Apriori des abstrakten Personenbegriffs. (...) Nicht als Individuum, als Mensch schlechthin oder als Träger einer abstrakt-allgemeinen Vernunft habe ich Rechte und Pflichten und die Möglichkeit, Rechtsverhältnisse zu gestalten, sondern als Glied einer sich im Recht ihre Lebensform gebenden Gemeinschaft, der Volksgemeinschaft. (...) Rechtsgenosse zu sein, das heißt, im Recht zu leben und eine bestimmte Gliedstellung auszufüllen, ist also ein Vorrecht des Volksgenossen. (...) Rechtsgenosse ist nur, wer Volksgenosse ist; Volksgenosse ist, wer deutschen Blutes ist..." 6
Larenz lehrte in Kiel bis zum Wintersemester 1946/47, wurde dann auf Verlangen der britischen Militärregierung in den dauernden Ruhestand versetzt, erhielt im Dezember 1949 seinen Lehrstuhl jedoch zurück und blieb in Kiel, bis er 1960 nach München wechselte, wo er 1971 emeritierte. Seine Lehrbücher zum Bürgerlichen Recht sowie zur Methodenlehre gehören noch heute zu den Standardwerken der Lehrbuchliteratur. Eine Debatte über Larenz` Vergangenheit entstand erst nach seinem Tod. 7 Eine veränderte Betrachtung seines wissenschaftlichen Werks war damit aber nicht verbunden. Dabei zeigen sich gerade in Larenz` Lehrbuch zur Methodenlehre durchaus Parallelen zu seinen Aufsätzen aus dem Dritten Reich. Eine genauere Analyse könnte hier für die Missbrauchsgefahren sensibilisieren, die wohl zwangsläufig mit jeder juristischen Methodenlehre verbunden sind.

Die Wehrlosigkeitsthese

Bis in die 70er Jahre hinein beantwortete man die Frage, warum Justiz und Rechtswissenschaft sich dem Nationalsozialismus ohne nennenswerten Widerstand unterworfen haben, meist im Sinne der sogenannten Wehrlosigkeitsthese, die bereits 1946 von dem Strafrechtler und Rechtsphilosoph Gustav Radbruch, selber 1933 von den Nationalsozialisten seines Lehrstuhls beraubt, formuliert worden war. Hier werden die Juristen als unschuldige Opfer des eigenen Berufsethos beschrieben. Mittlerweile ist aber anerkannt, dass dies unzutreffend ist. Zur Erreichung ihres Ziels, der "Erneuerung" Deutschlands im Lichte der völkischen Weltanschauung, brauchten die Nationalsozialisten notwendigerweise eine willfährige Justiz und Rechtswissenschaft, die die überkommenen Gesetze im Geiste der neuen Ideologie durchdringen und interpretatorisch umformen konnte. 8 Dieser Aufgabe sind die Juristen mit Eifer und Erfolg nachgekommen. Inwieweit sich die dabei entwickelten Prinzipien, Lehrmeinungen und Methoden auch in den Veröffentlichungen nach 1945 wiederfinden, die personelle also auch eine inhaltliche Kontinuität zur Folge hatte, ist noch weitgehend unerforscht.

Tobias Lieber hat Jura in Freiburg studiert.

Anmerkungen:

1 So der Titel des Buches von Müller 1987. Im Folgenden wird angesichts der historischen Tatsachen bewusst ausschließlich die männliche Form benutzt.
2 Mezger, Edmund, Deutsches Strafrecht. Ein Leitfaden, Berlin 1936, 35.
3 Maunz, Theodor, Gestalt und Recht der Polizei, 1943, 6 f.
4 Redeker, Konrad, Bewältigung der Vergangenheit als Aufgabe der Justiz, in: Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 1964, 1097.
5 Vgl. Roellecke, Gerd, Theodor Maunz und die Verantwortung des Öffentlichrechtlers, in: Kritische Justiz (KJ) 1994, 344 ff.
6 Larenz, Karl, Rechtsperson und subjektives Recht, Berlin 1935, 7 ff.
7 Dazu Dreier, Ralf, Karl Larenz und seine Haltung im "Dritten Reich", in: Juristenzeitung (JZ) 1993, 454 ff.
8 Grimm, Dieter, Die "neue Rechtswissenschaft". Über Funktion und Formation nationalsozialistischer Jurisprudenz, in: Lundgreen, Peter (Hrsg.), Wissenschaft im Dritten Reich, Frankfurt a.M. 1985, 31 ff.

Literatur:

Müller, Ingo, Furchtbare Juristen, 1987.
Höpel, Stefan, Die "Säuberung" der deutschen Rechtswissenschaft, in: KJ 1993, 438 ff.
Wolff, Heiner/Lupus, Angela, BRD-Justiz: Kontinuität zur NS-Zeit, in: Forum Recht (FoR) 2/92, 45 ff.
Rath, Christian, Absurde Kontinuitätsthese, in: FoR 3/92, 104 ff.
Rüthers, Bernd, Die unbegrenzte Auslegung, 4. Aufl. 1991.