Heft 2 / 1999:
Zensur Macht Meinung
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Tillmann Schmidt
EU: Riesen-Lauschangriff
 

"Mit ENFOPOL wird den Sicherheitsbehörden prinzipiell die Möglichkeit jeglicher Manipulation elektronischer Kommunikation eröffnet", kritisiert Ute Bernhardt vom Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF). Gemeint sind Beschlußvorlagen der Arbeitsgruppe "ENFOPOL" der europäischen Innen- und Justizminister zur EU-weit einheitlichen Überwachung elektronischer Kommunikation aller Art.
Diese internen Papiere wurden in den letzten Wochen vom Internet-Magazin Telepolis veröffentlicht. Sie sehen unter anderem einen Zugriff der Sicherheitsbehörden auf Paßwörter, PINs und andere Zugangscodes sowie auf Kontoverbindungs- und Gebührendaten vor. Diese Daten sind laut FIfF für die reine Überwachung nicht erforderlich, ermöglichen aber die Manipulation der Kommunikation. Die Begehrlichkeit der LauscherInnen gilt darüber hinaus allen Kommunikationsschnittstellen, sie fordern den technisch extrem aufwendigen sekundenschnellen Zugriff auf alle Internetknoten und (Mobil-)Telefonvermittlungen.
Der SPD-Internetexperte Jörg Tauss spricht von "Lauschangriff hoch zehn" und bezeichnet den Entwurf als rechtsstaatlich und wirtschaftlich fahrlässig. Den zuständigen Beamten attestiert er teilweise "ein Steinzeitverständnis neuer Technologie", man wolle ohne genaue Kenntnisse die Überwachungsmöglichkeiten herkömmlicher Telefonverbindungen einfach auf Datennetze übertragen. Englische Provider warnen vor "astronomischen Kosten" der Pläne, die dann auf die Kunden zurückfielen. Ein Beschluß des Entschließungsentwurfs durch den Rat der Innen- und JustizministerInnen wäre zwar nur eine nicht rechtsverbindliche "politische Willenserklärung", beruhigen PressesprecherInnen bei EU-Kommission und Innenministerium. Faktisch folgte ähnlichen Entschließungen in den letzten Jahren aber häufig sofort die zügige Umsetzung in nationales Recht.
Anders als bei den klassisch für den EU-Ministerrat vorgesehenen Entscheidungsformen entfällt so die Beteiligung des EU-Parlaments und - sofern die nationalen Regierungen per Verordnung handeln können - auch die der nationalen Legislative. Telepolis vermutet, daß der Entwurf noch im Frühjahr verabschiedet wird, ebenso deuten die Pressemitteilungen der Europäischen Kommission auf eine zügige Verabschiedung. Die nächste Sitzung fand nach Redaktionsschluß, wahrscheinlich am 12. März, in Brüssel statt. Die Initiative "Freedom for Links" ruft zu Protestschreiben an Innenministerium und EU-Stellen auf.

Tillmann Schmidt, Bremen

Quellen:

www.telepolis.de; www.fiff.de; www.freedomforlinks.de/Pages/enfopol.html; www.poptel.org.uk/statewatch.