Heft 3 / 1999:
Globalize it!
Beiträge zu einer grenzenlosen Debatte
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Politische Justiz
 

Erstes Urteil gegen kurdischen Konsulatsbesetzer

Am 05. Mai 1999 verurteilte das Jugendschöffengericht Berlin einen 19jährigen Kurden wegen Hausfriedensbruchs zu vier Wochen Jugendarrest. Der Angeklagte gehörte zu einer Gruppe KurdInnen, die sich am 17. Februar 1999 am Versuch der Besetzung des israelischen Generalkonsulats beteiligten, um gegen die Verhaftung und Verschleppung des Vorsitzenden der kurdischen Arbeiterpartei PKK, Abdullah Öcalan, in die Türkei zu protestieren. Bei der Besetzung erschossen israelische Sicherheitsbeamte unter noch nicht geklärten Umständen 4 KurdInnen und verletzten 15 weitere zum Teil schwer.
Die ursprüngliche Anklage lautete auf besonders schweren Landfriedensbruch, besonders schwerer Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte sowie gefährliche Körperverletzung. Bei einer Verurteilung wegen dieser Anklagepunkte hätte eine Ausweisung des in Deutschland geborenen und hier aufgewachsenen Angeklagten in die für ihn völlig fremde Türkei mit anschließender politischer Verfolgung gedroht, da nach der Neufassung des § 47 Abs. 1 Ausländergesetz (AuslG) einE AusländerIn u. a. bei Verurteilung wegen besonders schwerem Landfriedensbruchs ausgewiesen wird. Durch das milde Urteil haben sich seine Chancen, trotz der Ausweisungsbemühungen der Ausländerbehörde in Deutschland zu bleiben wesentlich erhöht.
Nach Vernehmung der Polizeizeugen wurde deutlich, daß diese nichts zu den ursprünglichen Tatvorwürfen sagen konnten, sondern nur bestätigten, daß sich der Angeklagte beim Verlassen des Konsulatsgeländes widerstandslos festnehmen ließ. Selbst der Staatsanwalt plädierte nach der Beweisaufnahme nur noch auf schweren Hausfriedensbruch.
Der vierwöchige Jugendarrest ist mit der fast dreimonatigen Untersuchungshaft abgegolten. Strafverteidiger Wolfgang Kaleck wies in seinem Plädoyer darauf hin, daß bei diesem Tatvorwurf Untersuchungshaft völlig unüblich sei und die Staatsanwaltschaft die Aufhebung des Haftbefehls aus generalpräventiven Gründen abgelehnt habe.
Mittlerweile versucht ein Untersuchungsausschuß des Berliner Abgeordnetenhauses die Vorgänge rund um das israelische Generalkonsulat aufzuklären. Ein Ende Mai öffentlich gewordenes Polizeivideo erschüttert die offizielle Version der angeblichen Notwehrsituation in der sich die israelischen Sicherheitsleute befanden. Nach bekannt gewordenen Äußerungen des Berliner Polizeipräsidenten Saberschinsky stellt sich die Frage, ob die Polizei die Gefahrenlage trotz vorheriger Hinweise falsch eingeschätzt hat. Die sich mehrenden Zweifel an der bisherigen offiziellen Version der Ereignisse erklären das Interesse der Staatsanwaltschaft, auch ohne den nötigen hinreichenden Tatverdacht Anklage zu erheben und Untersuchungshaft zu beantragen. Gegen diverse andere KurdInnen wird noch ermittelt.

Quellen:

die tageszeitung v. 06.05.1999 (berlin) & v. 28.05.1999, 6; Presseerklärung des Strafverteidigers W. Kaleck, Mai 1999.

Kein Asyl für PKK-Kader

Der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) hat am 30.03.1999 in drei Urteilen (Az.: 9 C 22/98, 23/98 & 31/98) entschieden, daß FunktionärInnen der in Deutschland verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK keinen Anspruch auf Asyl haben und keinen Abschiebeschutz gemäß § 51 Abs. 1 AuslG trotz drohender Verfolgung in der Türkei genießen. Das Asylrecht könne nicht in Anspruch nehmen, wer den in seinem Heimatland mit terroristischen Mitteln geführten politischen Kampf vom Boden der Bundesrepublik aus fortsetze oder unterstütze. Die PKK verfolge ihre politischen Ziele in der Türkei, darüber hinaus im europäischen Ausland und in Deutschland, mit terroristischen Mitteln. Wer in die Struktur der PKK eingebunden ist, auch wenn er sich nicht unmittelbar an Straftaten der PKK in der Bundesrepublik beteiligt hat, sei eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik und könne sich daher nicht auf den Schutz des Asylrechts berufen. Die Flüchtlingsorgansation "Pro Asyl" kritisierte diese Argumentation, da eine Gleichsetzung des kurdischen Befreiungskampfes mit Terrorismus zu simpel sei, selbst wenn vereinzelt zu terroristischen Aktivitäten der PKK gekommen sei. Es ist zweifelhaft, ob die PKK die Kriterien einer "terroristischen Vereinigung" in der Bundesrepublik erfüllt, da dieses staatliche Verbot vor allem dem guten Verhältnis zum NATO-Partner Türkei geschuldet ist.
Eine Abschiebung ist allerdings weiterhin dann nicht möglich, wenn dem Flüchtling bei der Abschiebung Folter oder die Todesstrafe droht (§ 53 AuslG). Dies ist nach Ansicht des Gerichts eine Frage des Einzelfalles. Die Gerichte und Ausländerbehörden stützen sich bei der Klärung dieser Frage maßgeblich auf die Lageberichte des Auswärtigen Amtes. Der jüngste ad-hoc-Bericht des Auswärtigen Amtes warnt nach der Festnahme des PKK-Chefs Öcalan vor einer Abschiebung in die Türkei. Die Lageberichte sind allerdings eine unsichere Grundlage, da sich die Einschätzung je nach Lage der diplomatischen Interessen schnell wieder ändern kann.

Quellen:

Berliner Zeitung v. 31.03.1999, 1, 4, 7; Pressemitteilungen des BVerwG v. 30.03.1999 & 08.03.1999.

Durchsuchung wegen Ordnungswidrigkeit unverhältnismäßig

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat mit Entscheidung vom 22. März 1999 (Az.: 2 BvR 2158/98) festgestellt, daß eine wegen des Verdachts einer ausländerrechtlichen Ordnungswidrigkeit richterlich angeordnete Wohnungsdurchsuchung wegen des damit verbundenen Eingriffes in die Unverletzlichkeit der Wohnung unverhältnismäßig und damit verfassungswidrig war. Der Ausländer hatte beim Standesamt nicht die zum Nachweis seiner Identität notwendigen Unterlagen vorgelegt. Der daraufhin ergangene Durchsuchungsbeschluß des zuständigen Amtsgerichts, den das Landgerichts im Ergebnis bestätigte, enthielt ohne rechtfertigende Gründe keine Angaben zu einem hinreichend bestimmten Tatvorwurf, sondern nur den Hinweis auf den "Verdacht des Ordnungswidrigkeitenverstoßes nach dem Ausländergesetz". Im übrigen rechtfertigt nicht allein die Vermutung einer Ordnungswidrigkeit ohne weitere tatsächliche Anhaltspunkte die Anordnung der Durchsuchung, da der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht gewahrt sei.

Quelle:

Pressemitteilung des BVerfG v. 07.04.1999.