Heft 3 / 2001:
Datenspuren
Überwachung in der digitalen Welt
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Die neue Videoüberwachungsregelung im BDSG
 

Mit dem am 23. Mai 2001 in Kraft getretenen, neuen Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) hat erstmals eine Norm zur Regelung von Videoüberwachungen Eingang in bundesgesetzliche Datenschutzbestimmungen gefunden (BGBl. 2001 Teil 1, 904).
AdressatInnen des § 6b BDSG sind öffentliche (Bundesbehörden) sowie private BetreiberInnen von Videoüberwachungsanlagen.
Unklar bleibt der äußert wichtige Anwendungsbereich der Norm. Eine klare Regelung wäre hier angesichts des völligen Wildwuchses von Videoüberwachungen in fast allen Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens besonders wichtig gewesen. Umfasst sind nach dem Wortlaut der Norm "Beobachtungen öffentlich zugänglicher Räume". Der im juristischen Gebrauch unübliche Begriff "Räume" dürfte aber denkbar weit auszulegen sein, denn Ziel der Regelung ist die umfassende Gewährleistung des grundrechtlich gewährleisteten Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. Daher dürften "öffentlich zugängliche Räume" sowohl die für den öffentlichen Verkehr als auch die für die Nutzung durch eine unbestimmte Anzahl von Personen vorgesehenen, privaten Räume wie Shopping Malls, Kaufhäuser o.ä. sein.
Zu kritisieren ist zudem die Regelung der Zweckbindung für Überwachungen: In der Konsequenz bedeutet der gewählte Zweckbindungsumfang der Vorschrift die faktische Absicherung des Status Quo ausufernder (vor allem) privater Videoüberwachungen in Deutschland.
Theoretisch das Kernstück modernen Datenschutzrechts ist die Umsetzung des Transparenzgedankens: der Umstand der Beobachtung sowie die verantwortliche Stelle sind durch geeignete Maßnahmen den davon Betroffenen kenntlich zu machen, vgl. § 6b Abs.2 BDSG. Die Regelung greift aber ersichtlich zu kurz, da zumindest die Information über den konkreten Zweck einer Überwachung erfolgen müsste. So aber bleibt es Aufgabe der betroffenen BürgerInnen, Aufklärung über die Umstände und die Art der Überwachung (Dauer, Aufzeichnung, Speicherfristen, Auswertung) zu erlangen. Dies ist als eine unzulässige Verkehrung der Informationslast für die als Grundrechtseingriff einzuordnenden Videoüberwachungen zu bewerten.
§ 6b Abs. 3 regelt die Zulässigkeit der datenschutzsensiblen Verarbeitungsstufen (Aufzeichnen, Bearbeiten, Weitergabe u.a.). Er lässt eine klare Trennung und Gewichtung der Verarbeitungsschritte vermissen: alternative Regelungsvorschläge, die an dieser Stelle eine deutliche Hürde für die Anfertigung von Bildaufzeichnungen erreichen wollten (etwa nur bei "Unerlässlichkeit"), konnten sich nicht durchsetzen.
§6b Abs. 5 statuiert die denkbar unkonkreteste Gestaltung aller Löschungsfristen für einmal aufgezeichnete Bilder: Die Vorgabe der Löschung "unverzüglich mit Zweckerreichung" stellt die Auslegung weitestgehend in das Ermessen der ÜberwacherInnen, ohne konkrete und zwingende Anhaltspunkte vorzugeben.
Völlig unberücksichtigt blieben Vorschläge zur Meldung von Videoüberwachungen zu behördlichen Registern, um die drohende Gefahr flächendeckender Totalüberwachungen im Auge behalten und evaluieren zu können.
Die Regelung ist damit enttäuschend regelungslos und kann nur als "symbolische Gesetzgebung" bezeichnet werden. Es ist davon auszugehen, dass auf der Grundlage dieser Vorschrift nicht eine einzige bereits installierte Kamera wieder abgehängt werden wird. Die durch die Bundesregierung angekündigte zweite Stufe der Modernisierung des Datenschutzrechts sollte daher unbedingt eine verbesserte und wesentlich strengere Regelung der Videoüberwachung anstreben, um die Bedingungen der Möglichkeit von unbeobachtetem (Zusammen-)leben der BürgerInnen überhaupt noch gewährleisten zu können.

Nils Leopold, Berlin.

Literatur:

Weichert, Thilo, Rechtsfragen der Videoüberwachung, in: Datenschutz und Datensicherheit 2000, 662.