Heft 3 / 2002:
Auf eigenes Risiko
Folgen der Privatisierung
xxx

Zum ersten Artikel des Schwerpunkts Zum ersten Artikel des Forums Zur Rubrik Ausbildung Zur Rubrik Recht kurz Zum Sammelsurium Zur Rubrik Politische Justiz Zur BAKJ-Seite
Politische Justiz
 

Entkriminalisiert

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Knapp 15 000 rechtsextrem motivierte Straftaten sind im vergangenen Jahr vom Bundesinnenministerium gezählt worden. Doch Innenminister Otto Schily zeigt sich frohen Mutes. Immerhin sei die Zahl der politisch ausgerichteten Straftaten der Nazis in den letzten Monaten stark zurückgegangen - monatlich seien es nur noch 800 Delikte. Dass man diese Zahl noch einmal gedrückt bekommt, scheint aufs leidenschaftlichste sächsische JuristInnen zu beschäftigen. Nachdem der Generalstaatsanwalt Jörg Schwalm noch mit einer Weisung an seine Staatsanwälte gescheitert war, die von Nazis so ausgiebig skandierte Parole "Ruhm und Ehre der Waffen-SS" nicht mehr als Volksverhetzung zu verfolgen (Forum Recht 1/2002), sprang ihm nun unversehens das Amtsgericht Leipzig mit einer neuen Interpretation zur Seite. Das Gericht lehnte es ab, den Mitveranstalter einer Nazi-Demo zu bestrafen, bei der diese Losung verkündet worden war. Die Ehrbekundung sei "den Leitlosungen der Waffen-SS und Hitlerjugend nicht zum Verwechseln ähnlich" und daher könne die Parole nicht unter den Tatbestand des Paragrafen 86a Strafgesetzbuch (StGB) subsumiert werden. Die Staatsanwaltschaft will nun die nächste Instanz anrufen. Schließlich müsse in dieser als Präzedenzfall gehandelten Angelegenheit grundsätzlich geklärt werden, ob die Parole nicht doch der historischen Losung der Waffen-SS "Unsere Ehre heißt Treue" entspreche.

Kurskorrektur

Offenbar bekamen die Bündnisgrünen im letzten Moment doch noch Muffensausen, dass ein durchgeknallter Generalbundesanwalt einige der unter ihnen als honorig geltenden Widerstandskämpfer wie einst Nelson Mandela, Talibangegner oder Jassir Arafat mit dem neuen Anti-Terrorparagrafen 129b StGB verfolgen und festnehmen würde. Der Paragraf nahm in seinem ursprünglichen Wortlaut direkten Bezug auf die Paragrafen 129, 129a StGB, die die so genannten "Kriminellen" und "Terroristischen Vereinigungen" zum Zielobjekt haben und erweiterte deren Tatbestandsbestimmungen einfach auf Organisationen, die im Ausland ihr politisches Betätigungsfeld haben (vgl. Forum Recht 1/2002). Ende April wurde nun eine etwas differenzierte Fassung verabschiedet. Danach sollen nicht schon bloße Sympathiekundgebungen, sondern erst das aktive Werben um Mitglieder und UnterstützerInnen strafbar sein. Ferner sollen nun doch die Aktivitäten der kriminalisierten Gruppen einen Bezug zum Inland haben. Am interessantesten für FreundInnen des Bestimmtheitsgrundsatzes und anderer rechtsstaatlicher Grundsätze dürfte allerdings die Regelung sein, dass die strafrechtlichen Ermittlungen nur mit ausdrücklicher Ermächtigung des Bundesjustizministeriums erfolgen dürfen - eine einmalige Bestimmung in der deutschen Rechtslandschaft. Damit wird wohl die Entscheidung, welche ausländischen Gruppen als terroristisch oder legitime Befreiungsbewegung gelten, in der Hand der jeweiligen Regierungsparteien liegen und im wesentlichen von ihrer auswärtigen Interessenspolitik abhängig sein.

Was lange wehrt...

Zehn Jahre benötigte das Schweriner Landgericht, um drei Männer des versuchten Mordes und der schweren Brandstiftung zu überführen. 1992 schleuderten sie trotz anwesender Polizeikräfte ungestört und unter tosendem Applaus eines johlenden Mobs mehrere Brandsätze auf das damalige Asylbewerberheim in Rostock-Lichtenhagen. Über 100 Menschen konnten sich seinerzeit nur knapp über eine Dachluke des sogenannten Sonnenblumenhauses vor den Flammen retten.
Die nun ausgesprochenen Jugendstrafen entsprechen dem Ermittlungseifer. Den Männern sind Freiheitsstrafen von zwölf bis 18 Monaten auferlegt worden - zur Bewährung.

Brechmittel

Mit gleicher Intensität wird offensichtlich auch die Aufklärung des ersten Todesopfers der Hamburger Brechmitteleinsätze betrieben. Bereits wenige Tage nach dem Tod des 19-jährigen Achidi John am 12. Dezember vergangenen Jahres wurde Strafanzeige wegen des Verdachts eines Tötungsdelikts und unterlassener Hilfeleistung gegen die beteiligte Ärztin und der ihr zur Hand gehenden Polizeibeamten gestellt. John musste im Hamburger Institut für Rechtsmedizin einen Cocktail mit dem Wirkungsstoff Ipecacuanha schlucken, das für seine erheblichen gesundheitsgefährdenden Nebenwirkungen bekannt ist. Der junge Afrikaner erlitt daraufhin einen Herzstillstand, wurde aber erst drei Minuten von den beteiligten BeamtInnen beobachtet bis diese Rettungsmaßnahmen einleiteten. Bis heute, also sechs Monate nach dem Vorfall in der Hamburger Gerichtsmedizin gibt es nicht einmal ein offizielles Ermittlungsverfahren. Und obgleich mittlerweile auch die in Nigeria lebenden Eltern des Verstorbenen Strafanzeige erstattet haben, erhalten sie kein Recht auf Einsicht in die Akten und die darin befindlichen Obduktionsberichte. Diese könnten Aufschluss über die Umstände und Ursachen des Todes ihres Sohnes geben. Die Staatsanwaltschaft bestreitet bisher noch das mittels DNA-Analyse belegte Verwandtschaftsverhältnis der Eltern und behauptet ferner, die Angelegenheit befände sich noch einem sogenannten Vorermittlungsverfahren. Bisher gebe es keine tatsächlichen Anhaltspunkte, die einen Anfangsverdacht rechtfertigen könnten.

Schwedische Gardinen

Derweil beschäftigt sich die schwedische Gerichtsbarkeit bereits mit diversen Revisionsanträgen von DemonstrantInnen, die während des EU-Gipfels in Göteborg festgenommen und allesamt zu erheblichen Freiheitsstrafen von durchschnittlich 19 Monaten verurteilt worden waren. Bis dato sprachen schwedische Gerichte in ähnlichen Fällen Strafen von allenfalls acht Monaten aus. Mittlerweile beginnen obere Instanzen diese Strafen wieder auf das übliche Maß zu senken - wenn die Revisionsanträge zugelassen werden. Das war bisher nur bei vier von 23 Anträgen der Fall. Andere Betroffenen haben ihren Rechtsweg schon ausgeschöpft und können nur noch auf einen Gnadenakt der Regierung hoffen. Um solcherlei Ungerechtigkeiten brauchen sich die von mehr als 500 Personen wegen Brutalität und Amtsmissbrauch angezeigten schwedischen PolizistInnen nicht zu scheren, gegen sie wurde bisher kein einziger Prozess eröffnet.