Heft 3 / 2002:
Auf eigenes Risiko
Folgen der Privatisierung
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Späte Ehre - NS-Urteile gegen Wehrmachtsdeserteure und Homosexuelle aufgehoben
 

Besser spät als nie: Im Mai hat der Bundestag ein Gesetz verabschiedet, mit dem Urteile aufgehoben werden , die in der NS-Zeit gegen Wehrmachtsangehörige wegen Desertion, Fahnenflucht und "Wehrkraftzersetzung" sowie gegen Homosexuelle aufgrund ihrer sexuellen Ausrichtung ergangen sind. Damit schloss der Bundestag mehr als ein halbes Jahrhundert nach Ende des zweiten Weltkrieges eine Lücke im Gesetz zur Aufhebung von NS-Unrechtsurteilen. Gleichzeitig gab er eine Ehrenerklärung für die Betroffenen ab. Das besondere hieran ist, dass sämtliche Urteile pauschal aufgehoben wurden. Damit wird das bisher geltende Prinzip der Einzelfallprüfung aufgegeben, bei der die Beweislast, dass eine Person zu Unrecht verurteilt worden ist, bei ihr selbst lag, was von den Opfern immer wieder als Verhöhnung und Missachtung des erlittenen Unrechts beklagt worden war.
Das Gesetz wurde mit den Stimmen von SPD, Bündnis90/Grüne und PDS verabschiedet. FDP und CDU stimmten dagegen. Dies wurde unter anderem damit begründet, dass Desertion auch in demokratischen Staaten verboten ist. Zusätzlich gaben die beiden Parteien noch weitere Stellungnahmen ab: Während ein Sprecher der FDP sich lediglich von "Aktionismus und Symbolik" irritiert sah, kämpfte die Union ein weiteres mal gegen Nestbeschmutzung. Sie widersetzte sich einer "Verklärung der Fahnenflucht" und beklagte, dass die Pauschalisierung verschiedene Gefahren in sich berge. Erstens könnten auch mögliche Kriminelle rehabilitiert werden. Zweitens werde neues Unrecht geschaffen, da sich nun Soldaten, die bis zum Ende des Krieges bei der Wehrmacht geblieben seien, pauschal an den Pranger gestellt fühlen müssten. Was ausgerechnet bei einer ganz normalen Armee, in der, wie wir alle wissen, jeder nur seine Pflicht getan hat, mehr als empörend ist.
Grundsätzlich ist der Beschluss zu begrüßen, doch bleiben Fragen offen. Einerseits hat sich der Bundestag nicht zur bis 1969 anhaltenden Strafverfolgung von Homosexuellen geäußert, die im Strafmaß weniger drakonisch gewesen sein mag, im Kern jedoch dieselbe "Straftat" betraf. Zusätzlich betonen Überlebende beider Opfergruppen, dass für sie zwar ein Traum in Erfüllung gegangen sei - gleichzeitig beklagen sie jedoch zu Recht, dass dies so lange gedauert hat, dass fast alle ihre Leidensgenossen vorbestraft gestorben sind.

Tillmann Löhr, Göttingen