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Recht und politische Macht in der postmodernen Rechts-Staats-Form   Heft 1/2003
Szenen einer Ehe
Zum Verhältnis von Recht und Macht

Seite 9-12
Anmerkungen zu politischen Koordinaten der Postmoderne  
 

Die fortschreitende rechtliche Regulierung der internationalen ökonomischen Strukturen, die Verlagerung der Entscheidungsmacht der Parlamente zugunsten technokratischer Administration, die Entformalisierung der Rechtsstruktur und eine Ausweitung privater Machtstrukturen mittels Rechtsstruktur sind Prozesse, die sich auf unterschiedlicher Weise gegenseitig bedingen. Der Beitrag versucht zu zeigen, dass diese Prozesse in ihrem Zusammenwirken die Koordinaten der politischen Ordnung der Moderne - Staat, Recht, Politik - in Frage stellen und im Ergebnis dazu führen, dass die Rechtsordnung die von ihr normierte partikulare (nationalstaatliche) Gesellschaft nicht zu repräsentieren vermag. Die Folge ist, so die zentrale These, eine Umstrukturierung des Verhältnisses politische Macht und Recht in der postmodernen Rechts-Staats-Form.

Globale Rechtsordnung

Die Entwicklung des Weltmarkts und dessen rechtliche Regulierung kennzeichnen einen Prozess, der gewöhnlich als Globalisierung bezeichnet wird. Infolge dieses Prozesses hat sich ein Recht herausgebildet, das über nationalstaatliche, partikulare Rechtsgesellschaften hinausgehend sich zu einem global umspannenden Weltrecht entwickelt hat. Die abstrakte Bezeichnung "Weltrecht"1 ist gerade deshalb passend, da es als eine rechtssetzende Instanz - unabhängig von staatlichen und völkerrechtlichen Rechtssystemen und somit ohne politische Legitimation und Kontrolle - Rechtsnormen produziert, die einen globalen Geltungsanspruch innehaben. Genauer und konkreter ist jedoch der Fachterminus "Lex Mercatoria", mit dem in der Fachliteratur versucht wird, die Rechtsordnung der Strukturen des Weltmarkts zu erfassen. Wie kein anderes Rechtsgebilde zuvor bringt er folgerichtig die global-kapitalistischen Machtstrukturen zum Ausdruck. Es hat sich also mit dem globalen Spätkapitalismus ebenfalls eine globale Rechtsordnung etabliert, die die nationalstaatlichen Rechtssysteme erheblich beeinflusst.

Diese dezentral strukturierte Rechtsordnung ist keineswegs eine Art Durchgangsstadium, sie stellt vielmehr die Normalität der ökonomischen Strukturen in internationalen Netzwerken, des Weltmarkts dar. Denn ihre Praxis ist den Erfordernissen der kapitalistischen Dynamik vollständig adäquat, in ihrem Funktionieren lässt sie keine politische Vermittlung zu. Dies zeigt sich zum einen darin, dass die innerhalb der internationalen Netzwerk-Strukturen produzierten Rechtsnormen aus den jeweiligen Anforderungen der dominierenden Wirtschaftsinteressen, anstatt des Willensakts eines politischen Gesetzgebers hervorgehen.2 Zum anderen hat der kapitalistische Globalisierungsprozess das Konzept der Staatssouveränität der Moderne beendet. Zwar wird die Weltgesellschaft nicht durch einzelne Staaten regiert, aber es hat sich in Folge der "Neuen Weltordnung" eine global dominierende Regierungsform der "imperialen Souveränität"3 durchgesetzt, die transnationale Instanzen wie z.B. die Weltbank und WTO einschliesst, die global dominierende ökonomische Normen setzen und die global-kapitalistische Entwicklung gestalten.4

Folgen für die Verfassungstheorie

Die folgenden Ausführungen versuchen das Verhältnis der sich etablierenden internationalen Rechtsordnung zum innerstaatlichen Recht näher zu bestimmen. Es wird aus den bisher beschriebenen Prozessen ersichtlich, dass die Rechtsexpansion auf internationaler bzw. globaler Ebene keineswegs eine einfache Ausdehnung oder ein Aufdrängen des westlichen Rechts - etwa auf die nicht liberal-demokratischen Systeme - bedeutet. Vielmehr funktioniert die globale Rechtsordnung auch gegenüber den liberalen Staaten als eine regulative Kraft.
Die folgenreichen Auswirkungen auf das innerstaatliche Recht lassen sich zunächst in Gesetzgebungsprozessen beobachten: nämlich in der zunehmenden Einengung der Gesetzgebungskompetenz der Parlamente. D.h. trotz der verfassungsrechtlich vorgegebenen und praktizierten Gesetzgebungsprozesse werden wichtige Entscheidungen gemäss den Erfordernissen der internationalen Ordnung (Effizienz, strukturelle Anpassung an die Bedingungen des Weltmarkts usw.) gefällt.5 Als Beispiel aus jüngerer Zeit sei der Beschluss des Bundestags über das Akzeptieren der Beschlüsse der WTO erwähnt. Der Zweck der Richtlinien der WTO besteht darin, Staaten dazu zu zwingen, bestehende Handelsbeschränkungen abzuschaffen.6

Zum anderen hat die zu beobachtende "Entmachtung des staatlichen Gesetzgebers"7, d.h. dass Staaten nicht mehr die alleinige Quelle für die Rechtserzeugung bilden, zur Folge, dass ohne politische Legitimation produzierte Normen und Standards des globalen Rechts (z.B. aus den Rechtsstrukturen der multinationalen Konzerne) im innerstaatlichen Recht dennoch Gültigkeit erlangen.8 Die Folgen hinsichtlich der Legitimation des Rechts sind sehr bedeutend, wenn dadurch die verfassungsrechtlich aufrechterhaltene Normenhierarchie und somit die Einheit des Rechtssystems unterminiert, sogar ausser Kraft gesetzt wird.9

Das Grundelement der liberal-demokratischen Rechtsstaatstheorie, wonach die Rechtsnorm Gültigkeit neben den natürlichen unveräusserlichen Rechten des Individuums nur aus einem von der Verfassung vorgeschriebenen Gesetzgebungsverfahren erhalten kann10, verliert an Plausibilität. Selbst die zumindest scheinbare demokratische Legitimation erscheint angesichts der oben beschriebenen Prozesse als nicht mehr plausibel. Das bekannte Konzept der "ununterbrochenen demokratischen Legitimationskette", womit Böckenförde11 die demokratische Rechtsordnung definierte, ist von der globalen Rechtspraxis suspendiert worden.12 Der Volkssouverän als Gesetzgeber nimmt bei dem gesamten Prozess der Veränderung der Rechtsform eine passive, beobachtende Rolle ein.

Konsequenzen für die liberale Rechtsstaatstheorie und Pespektiven kritischer Rechtstheorie

Die Veränderungen in der Rechtsordnung lassen sicherlich das Selbstverständnis der kritischen Analyseperspektive nicht unberührt. Es ist an dieser Stelle nützlich, die theoretischen Konsequenzen für die liberale Rechtstheorie etwas genauer zu erläutern. Denn die Tradition der kritischen Rechtstheorie hat sich in einem engen Verhältnis zu den Aspekten der liberalen Rechtsauffassung entwickelt. Die reale Rechtsentwicklung (Krise der Legitimation von Rechtsstaatlichkeit, Rechtsgeltung und politischer Repräsentation) hat folgenreiche Konsequenzen für die Rechtstheorie, die für eine kritische Perspektive ebenfalls relevant sind.

Es ist das Prinzip der Allgemeinheit, in dem das Gesetz in der Rechtsphilosophie der Aufklärung und Moderne vernunftrechtlich begründet worden ist. Auf diesem Gesetzesbegriff basiert die liberale Ideologie von der Herrschaft des Gesetzes und der Neutralität der politischen Macht. Beide Aspekte ermöglichen dem Liberalismus zufolge die Trennung von Politik und Recht. Nun ist aber die Allgemeinheit des Gesetzes im Verlauf des Entformalisierungsprozesses und der "Dekonstruktion" der Normenhierarchie durch das "Weltrecht" beseitigt worden, so dass auch das traditionelle, liberale Verständnis staatlicher und politischer Neutralität gegenüber Gesellschaftsmitglieder nicht mehr aufrechterhalten werden kann.

Die Idee des allgemein gültigen Rechts, die eine Verbindlichkeit der Rechtsnormen für alle Gesellschaftsteile beinhaltet, ist innerhalb der kritischen Rechtsauffassung ebenso gewürdigt worden wie im Liberalismus. Daraus wurden innerhalb der kritischen Tradition Hoffnungen auf eventuelle Reformen entwickelt (paradigmatisch hierzu ist vielleicht Franz Neumanns Sympathie für die Theorie des Rechtsstaats, trotz der von ihm beschriebenen "Verfallsgeschichte" des liberalen Rechts im Verlaufe der kapitalistischen Entwicklung).13 Obwohl die wirtschaftliche und kulturelle Macht der bürgerlichen Klassen und Schichten gegenüber den von ihnen beherrschten gesellschaftlichen Gruppen sich erst im liberalen System im Rahmen festgelegter Regeln entfalten konnte, blieb die Anziehungskraft des allgemeinen Rechts für die kritische Tradition erhalten, da durch die allgemeine Verbindlichkeit des Gesetzes ein hergestellter Raum der Neutralität einen rechtlichen Schutz für die Schwächeren zu gewährleisten schien.

Dies ist deshalb bedeutsam, da teilweise behauptet wird, dass ein formales Rechtsverständnis zu einem Nachteil der sozial Schwachen führt, da die mächtigen Kreise ihre Interessen informell, ohne feste Regeln durchsetzen könnten.14 Diese Position, die dem von der liberalen Rechtstheorie überlieferten Verständnis von Recht und Politik verpflichtet ist, ist angesichts der aktuellen Entwicklung nicht einleuchtend. Ohne den allgemeinen Charakter des formalen Rechts sind Verfahren, die eine gleichberechtigte Teilnahme bei der Rechtssetzung ermöglichen sollen, schlicht und einfach unmöglich. Zum einen ist die politische Neutralität theoretisch, d. h. innerhalb der politischen Philosophie des Liberalismus nicht mehr begründbar. Zum anderen leitet - und dies scheint in folge der gegenwärtigen Entwicklung entscheidend zu sein - die Absonderung des Rechts von der gesellschaftlichen Mehrheit eine neue Ära ein. Dies bedeutet letztlich eine Neuordnung der sozialen und politischen Beziehungen und des Verhältnisses Recht und politische Macht, wenn die Ausübung politischer Macht neben staatlicher Hoheit auch von privaten Kreisen in Anspruch genommen wird. Diese Aspekte werden im folgenden näher erläutert.

Veränderung der Rechtsnorm: Entformalisierung und Interventionsrecht

Die Dekonstruktion der rechtlichen Normenhierarchie durch die globale Rechtspraxis überschneidet sich mit einer seit langem anhaltenden Tendenz der Entformalisierung, die letztlich einen "Formwandel des Rechtsstaats"15 zur Folge hat, da sie in erster Linie eine Abkehr von der "absoluten Suprematie der Gesetzgebung gegenüber allen anderen Staatsfunktionen" mit sich brachte. Das führt dazu, dass der souveräne Gesetzgeber die Gesetzgebung nicht mehr ausschließlich innehat, weil die einzelnen Staatsapparate Teile der Gesetzgebungsfunktion usurpiert haben.
Hinzu kommt noch, dass die politische Macht, die dem Staatsverständnis der Moderne zufolge ausschließlich in der Gestalt des Staates zentralisiert ist, sich auf weitere Akteure verteilt - neben administrativen Staatsapparaten und Justiz z.B. Kommissionen, Expertenrunden, oder Interessenvertretern der Wirtschaft. Die souveräne Gesetzgebung wird also in zweierlei Hinsicht unterlaufen.

Bereits bei Beginn des Wohlfahrtsstaats war unter der Vermittlung offener und unbestimmter Strukturen der Rechtsnormen die gesetzgeberische Programmierung der administrativen Staatsapparate eingeschränkt und somit diese in ihren Handlungen, die vorwiegend situative, einzelfallorientierte Interventionen sind, von der Gesetzesbindung, vom Zwangscharakter des Rechts weitgehend befreit. Die Forcierung kooperativer Arrangements - das Umweltrecht liefert hierfür das prominenteste Beispiel -, um überhaupt eine verwaltungsrechtliche Entscheidungssetzung vermeiden zu können, damit bei Konflikten subjektiv-öffentliche Rechte nicht geltend gemacht werden können, basiert auf dieser Flexibilisierung der positiven Rechtsstruktur.

Das entformalisierte Recht, das die Regulationskrise des modernen Formalrechts überwindet, zeichnet sich im Gegensatz zu diesem dadurch aus, das es für die Zwecke des politischen Systems gezielt instrumentalisierbar ist - z.B. für demokratische, dezentrale und deregulierte Neuformierung der Kopplung der Rechtsnormen zu gesellschaftlichen und politischen Strukturen. Im Rahmen der neoliberalen Umstrukturierung lag jedoch die Instrumentalisierung darin, dass es zur Ausdehnung des Handlungsspielraums der kapitalistischen Aktivitäten beigetragen hat: z.B. durch die Flexibilisierung des Arbeitsrechts und die Deregulierung (d.h. Abbau) sozialstaatlicher Standards. Zum anderen haben sich die Staatsapparate durch den Abbau der Grundrechte - z.B. mit den Mitteln unbestimmter Rechtsbegriffe - ihre Handlungsspielräume ausgedehnt.

Angesichts der globalen Rechtsordnung zeigt sich der Entformalisierungsprozess der Rechtsstruktur noch dramatischer. Die Rechtssysteme können den straffen und autoritativen Strukturanforderungen der global-kapitalistischen Wirtschaft nicht "mit einer deduktiven, strengen Konzeption des Gesetzes begegnen".16 Abstrakt verbindliches Gesetz, bei dessen Entstehung der konkrete Fall, auf den es künftig Anwendung finden soll, nicht bekannt sein darf17, ist für eine instrumentelle Umstellung der Staatsapparate auf die Anforderungen der technokratischen Exportokratie und Standards und Vorgaben der international strukturierten Ökonomie nicht geeignet. Vielmehr richtet sich das auf Anpassung an technokratische Vorgaben gerichtete Staatshandeln auf konkrete Fälle von Konflikten ein - mit einer flexibel gestalteten, ergebnisoffenen, von Einzelfällen bestimmten Rechtsstruktur -, anstatt ihr Handeln von der demokratischen Gesetzgebung erzeugten klaren und allgemeinen Rechtsnormen leiten zu lassen.

Postmoderne Rechts-Staats-Form

Die Phänomenologie des Rechts dieser neuen Ära der postodernen Rechts-Staats-Form18, führt wie bereits gezeigt vor Augen, dass in ihm die demokratische Volkssouveränität nicht zu finden ist. In den entscheidenden Bereichen vollzieht sich die Rechtsentwicklung von demokratischer Einwirkung abgekoppelt.
Aufschlussreich für das Verständnis dieser Abstraktion des Rechts von der Gesellschaft sind Antonio Negri und Michael Hardts Analysen der Staats- und Gesellschaftsstrukturen der Postmoderne. Danach liegt die Veränderung der Rechtsordnung (bzw. des Rechtsbegriffs) darin, dass das Privatverhältnisse regelnde Recht die Veränderungsprozesse vorantreibt und beansprucht, das gesamte Recht zu repräsentieren.19 Auf widersinniger Weise interveniert der Staat in Marktaktivitäten mehr als jemals zuvor und wird - weit davon entfernt eine neutrale Macht zu repräsentieren - mit intensiver Regulierungsaktivität zunehmend zum zentralen Akteur bei der Konstituierung der sozialen Verhältnisse.20

Die "offizielle" Unterscheidung des Rechts in ein öffentliches und privates spielt hierbei keine Rolle. Öffentliches Recht stellt keinen Gegensatz zur Privatisierungstendenz dar. Im Gegenteil hat es sich bei der Ausweitung der privaten Rechtsordnung einprogrammiert, wenn es sich beispielsweise in gewichtigen Fragen zunehmend in Kooperation mit privatwirtschaftlichen Akteuren begibt.21 Daran ändert auch nichts, wenn die öffentliche Hand ihr Handeln als öffentliches Interesse ausgibt. Nicht nur das private Recht also sondern auch der öffentliche Bereich funktioniert nach den Prinzipien der privaten (Markt-)Ordnung. Die Marktlogik (Effizienz, Wettbewerb, Subsidiarität, Flexibilität, aber vor allem die Förderung innovativer privatwirtschaftlicher Engangements) bestimmt das juristische Funktionieren der staatlichen Regulierung in seiner Gesamtheit.

Die nach dem Ende des wohlfahrtsstaatlichen Modells begonnene Umstrukturierung des Spätkapitalismus hat die unternehmerischen Aktivitäten wieder zum zentralen Element der Entwicklung werden lassen. Und zwar haben diese verstärkten unternehmerischen Aktivitäten die nationalstaatlichen Grenzen hinter sich gelassen und eine private Macht in Netzwerken international bzw. global organisiert. Im Kontext der neoliberalen Entwicklung lässt sich konstatieren, dass nach dem Ende des wohlfahrtsstaatlichen Modells die Marktideologie das wirtschaftliche und gesellschaftliche Geschehen dominiert - sowohl ideologisch als auch real (neben der Ausweitung des Marktes und unternehmerischer Aktivitäten durch Einstellung der Institutionen nach Marktkriterien). Die Essenz der neoliberalen Entwicklung liegt in der Freilegung der Märkte, die sich unter anderem in verstärkter Verflochtenheit der internationalen privatrechtlichen Beziehungen entfalten. Zum einen werden also unternehmerische Engangements mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln gefördert und zum anderen vergrössert sich der Aktionsradius der staatlichen Interventionen in ökonomischen und gesellschaftlichen Fragen.22 Es bleibt daher in der Terminologie der politischen Soziologie festzuhalten, dass die gesellschaftliche Steuerung im Markt und im flexiblem Recht verortet ist. Während sich also die private Macht in beschleunigten Marktaktivitäten äussert, zeigt sich die Staatsmacht in einer zunehmenden Regulierungsaktivität.

Beendet ist desweiteren die liberale Unterscheidung zwischen privat und öffentlich: während die Räume der privatrechtlichen Ordnung sich ausweiten, hat die staatliche Politik die Räume des Öffentlichen zugunsten der Privatisierung auf ein Minimum reduziert, beinahe abgeschafft. Die Folge ist, dass die gesamtgesellschaftliche Wirklichkeit nun mehr im erheblichem Maße von der Macht der privatrechtlichen Netzwerke bestimmt wird. Deshalb ist es nicht überraschend, wenn die Entwicklung des Rechts nicht von demokratischen Impulsen aus der Gesellschaft oder gesamtgesellschaftlichen Erfordernissen bestimmt wird, und eine Trennung der Rechtsordnung von der gesellschaftlichen Mehrheit das zentrale Problem des gegenwärtigen Rechts ausmacht.

Das alles macht deutlich, dass demokratische Projekte angesichts der postmodernen Rechtsordnung sich nicht in Rechtsform entfalten können. Denn eine nach den Prinzipien der privatrechtlichen Ansprüche verfasste und nach der Unternehmenslogik geleitete Rechtsordnung ist sicherlich vor demokratischer Einwirkung abgeschottet. Vielmehr ist die gegenwärtige Rechtsordnung von einer technokratischen Normativität gekennzeichnet, die jeder "Dynamik demokratischer Legitimation vorausgeht und sie ausschliesst".23 Wie bereits gezeigt bedeutet die Ausweitung privater Macht, deren über die nationalstaatlichen, partikularen Rechtsgesellschaften hinausgehende Ordnung sich in der Form des globalen Rechts äussert, eine Zunahme von Staatsaktivitäten. Die letztere ist vielmehr durch eine intensive Aktivität für die Gestaltung der privaten Macht innerhalb der nationalstaatlichen Grenzen zuständig.

Demokratisierungsbestrebungen haben immer eine stärkere Betonung einer am Gemeinwohl orientierten Politik beinhaltet. Ungerechten gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnissen sollten mit Hilfe des Rechts und staatlicher Eingriffe begegnet werden. Angesichts der beschriebenen Bedingungen darf mit gutem Grund bezweifelt werden, ob solche Bestrebungen, die eine gesamtgesellschaftliche Demokratisierung über Vermittlung des Rechts erreichen wollen, überhaupt sinnvoll sein können. Die Verflochtenheit der rechtlichen Regulierung mit privaten Machtansprüchen, die über die Grenzen der nationalstaatlichen Rechtsgesellschaft hinausgehen, und die zunehmende Trennung der Rechtsordnung von der Gesellschaft machen eine derartige Sichtweise vollständig illusorisch. Die gegenwärtige Ära der postmodernen Rechts-Staats-Form scheint tatsächlich durch eine Trennung von Demokratie und Recht charakterisiert zu sein.

Anmerkungen

1 Luhmann 1993, 573
2 Zur Beschreibung der Entwicklungsprozesse des globalen (Privat-)Rechts siehe die Analysen von G. Teubner (1997; 2000). Der US-amerikanische Politikwissenschaftler W. E. Scheuerman (2002) zeigt, dass die Rechtspraxis des Weltmarkts von den wirtschaftlichen Akteuren (überwiegend multinationale Konzerne) selbst gestaltet wird - und zu ihrem alleinigen Vorteil funktioniert.
3 Hardt/Negri 2000
4 Siehe hierzu weiter Negri/Hardt 2000, 3, 186, 325
5 Negri/Hardt 1997, 162
6 Vgl. Krajewski 2000, 40
7 Preuss 2000, 128
8 Vgl. weiter Sassen 1995
9 Vgl. Teubner 2000, 248
10 Hierzu grundlegend Albert V. Dicey 1964 [1885]
11 Böckenförde 1991, 299
12 Teubner 2000, 248
13 Vgl. Neumann 1967 [1937]
14 Ein Anti-Formalismus im Recht wird von den US-amerikanischen Critical Legal Studies und post-strukturalistischen Ansätzen befürwortet, vgl. hierzu Kelman (1987).
15 Zum Problem der Entformalisierung des Rechts und den damit verbundenen folgenreichen Konsequenzen für die Demokratietheorie siehe die detaillierten Analysen von Ingeborg Maus (1986b, 277, 393f.; 1986a, 45ff.).
16 Negri/Hardt 1997, 163
17 Maus 1986b, 394
18 Die Bezeichnung "Postmoderne" wird hier nach Fredric Jameson (1986) als der gegenwärtige historische Moment verwendet.
19 Außerhalb des innerstaatlichen wird das globale Recht, wie bereits erwähnt, vom "Lex Mercatoria", dem Privatrecht des Weltmarkts geformt.
20 Negri 2000; Negri/Hardt 1997, 98
21 Zum Zusammenspiel der öffentlichen Rechtsstrukturen mit privaten Aktivitäten am Beispiel der aktuellen Privatisierung der staatlichen Gesundheitssicherung und deren rechtlicher Regulierung siehe Neubert 2002.
22 Negri 2000, 249
23 Negri/Hardt 2000, 251; 1997, 162

Literatur

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Mark Kelman, 1987: A Guide to Critical Legal Studies, Cambridge/Mass.
Markus Krajewski, 2000: "Zwischen Seattle und Montreal. Krise des Welthandelsrechts", in: Forum Recht 2/2000, S. 40 ff.
Niklas Luhmann, 1993: Das Recht der Gesellschaft, Frankfurt/M..
Ingeborg Maus, 1986 a: Politische Theorie und Rechtstheorie im Industriekapitalismus, München.
Ingeborg Maus, 1986 b: "Perspektiven reflexiven Rechts im Kontext gegenwärtiger Deregulierungstendenzen", in: Kritische Justiz 1986, 390-405.
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Jens Neubert, 2002: "Staat oder Entstaatlichung - ist das hier die Frage?", in: Forum Recht 3/2002, 76 ff.
Franz Neumann, 1967 [1937]: "Der Funktionswandel des Gesetzes im Recht der bürgerlichen Gesellschaft", in: Demokratischer und Autoritärer Staat, Frankfurt/M.
Ulrich K. Preuss, 2000: "Krise des regulativen Rechts", in: Kritische Justiz 2000, S. 126-132.
Saskia Sassen, 1995: Losing Control? Sovereignty in an Age of Globalization, New York.
William E. Scheuerman, 2002: "Franz Neumann - Legal Theorist of Globalization?", in: Kritische Justiz 2002, 79-89.
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