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Politische Justiz   Heft 3/2003
nachhaltig gestört
Das ökologisch-ökonomische Gleichgewicht

Seite 106
 
 

Globalisierungskritik

Noch heute wird in Italien von der "chilenischen Nacht" gesprochen, um ein Szenario zu beschreiben, das sich im Juli 2001 bei dem G8-Gipfel in Genua abgespielt hatte. Seinerzeit führten italienische Sonderheiten der Polizei eine nächtliche Razzia in der Diaz-Schule durch. Dutzende Menschen wurden von den polizeilichen Spezialtrupps verprügelt und zum Teil schwer verletzt. Viele wurden festgenommen, in auswärtige Gefängnisse verschleppt und dort tagelang festgehalten und teilweise misshandelt. Die Schule diente als Pressezentrum und Übernachtungsplatz. Die Polizei machte daraus eine Art Krawallzentrale und leitete in der Folge Strafverfahren gegen 93 Betroffene ein. Als Beweise dienten den StrafverfolgerInnen Molotowcocktails und vermeintlich waffenartige Gegenstände. Diese Verfahren sind nun nach zwei Jahren eingestellt worden. Die mit dem Fall betraute Richterin hatte "keinerlei Aggression" bei den Verhafteten feststellen können. Tatsächlich war bei dem Ermittlungen herausgekommen, dass die präsentierten Molotowcocktails von der Polizei selbst mitgebracht worden waren.
Derweil ist auch das Strafverfahren gegen den polizeilichen Todesschützen von Carlo Giuliani eingestellt worden. Nach Ansicht des Gerichts habe der Carabinieri in Notwehr gehandelt.

Sächsischer Scheiß

Irgendwann hört der Spaß auf. Zum Anfang des Jahres betrachteten es noch viele als vergnüglichen Spott, die NPD aufgrund der personellen Verflechtung mit Verfassungsschutzleuten als eine Vorfeld- oder Unterorganisation des Geheimdienstes zu bezeichnen. Mittlerweile trifft das aber den eigentlichen Kern des Problems. Die seit Mitte der neunziger Jahre in der Umgebung von Dresden agierenden "Skinheads Sächsische Schweiz" (SSS) verfolgten und überfielen in lebensbedrohlicher Regelmäßigkeit MigrantInnen, Andersaussehende und Linke, deren Personendaten sie einer "Feindesliste" zusammengetragen hatten, und versuchten so, die in neonazistischen Kreisen weit verbreitete Strategie der "national befreiten Zone" systematisch umzusetzen. Ende Mai wurden fünf Angehörige der SSS wegen der "Bildung einer kriminellen Vereinigung" nach §129 Strafgesetzbuch zu Bewährungsstrafen verurteilt. Strafmildernd, so die Staatsschutzkammer des LG Dresden, habe sich neben Geständnissen ausgewirkt, dass unklar blieb, ob das Landesamt für Verfassungsschutz innerhalb der SSS Einfluss hatte und ob nicht sogar V-Leute an deren Gründung beteiligt waren. Dafür hatte es in den Verhandlungen immer wieder konkrete Hinweise gegeben, denen aber durch eine Sperr-erklärung des sächsischen Innenministeriums nicht nachgegangen werden konnte.

Kommando: freilassen

In Sachsen-Anhalt werden mehrere Brandanschläge auf einige Fahrzeuge als Taten einer "terroristischen Vereinigung" nach § 129a Strafgesetzbuch bewertet. Seit November letzten Jahres sitzen deswegen Marco H. und Daniel W. als vermeintliche Mitglieder der Gruppe mit dem sinnstiftenden Namen "kommando freilassung aller politischen gefangenen" in Untersuchungshaft. Um aber eine Anklage nach § 129a StGB einreichen zu können, bedarf es dreier Beschuldigter. Und so wurde im März mit Carsten S. ein angebliches drittes Mitglied dingfest gemacht. [Näheres unter: www.rote-hilfe.de/magdeburg und www.soligruppe.de]

Gebirgsjagd

Die deutschen Gebirgsjäger blicken auf eine lange Tradition zurück. Sie reicht von den kaiserlichen Truppen des Ersten Weltkrieges über die nationalsozialistische Wehrmacht bis hin zu den Spezialeinheiten der Bundeswehr, die heute bei den Mandaten der SFOR und KFOR ihren Auftrag erfüllen. Das Andenken an die Einsätze der Gebirgstruppe wird jährlich bei der größten Soldatenfeier in Deutschland gewahrt. 8000 Mitglieder zählt der Traditionsverband, darunter Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber, bis zu 5000 sind über Pfingsten bei der Feier im bayerischen Mittenwald zugegen.
Was die Herrschaften dort im Einzelnen gedenken, beschreiben HistorikerInnen als eines der "abscheulichsten Kriegsverbrechen in der Geschichte des Zweiten Weltkrieges". Am 13. September 1943 richteten Truppen einer Gebirgsjägerdivision auf der griechischen Insel Kephallonia ein grauenhaftes Massaker an. Nachdem Italien als einstiger Verbündeter Deutschlands am 8. September 1943 einen separaten Waffenstillstand mit den Alliierten geschlossen hatte, sollten die Italiener von den Gebirgsjägern entwaffnet werden. Als diese sich zunächst weigerten, dann aber ergaben, eröffneten die Deutschen das Feuer. Mindestes 4000, wenn nicht fast 5000 italienische Kriegsgefangene fielen der deutschen Rache zum Opfer. Knapp einen Monat zuvor hatten Gebirgsjäger bereits das nordgriechische Dorf Kommeno dem Erdboden gleich gemacht. Als "Sühnemaßnahme" für einen PartisanInnenangriff schossen sie 317 wehrlose ZivilistInnen nieder und vergingen sich anschließend an den Leichen. Durch das Europa des Zweiten Weltkrieges zieht sich eine regelrechte Blutspur von derartigen Verbrechen, begangen durch deutsche Gebirgsjägereinheiten.
Als einziges Mitglied des Gebirgskorps wurde bislang allein der seinerzeit kommandierende General Hubert Lanz, späterer wehrpolitischer Sprecher der F.D.P., strafrechtlich belangt. In den Nürnberger Nachfolgeprozessen der Alliierten wurde er wegen anderer Kriegsverbrechen zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt und schon 1951 von der Bundesrepublik wieder begnadigt. Als 1964 auf Anzeige von Simon Wiesenthal die Staatsanwaltschaft Dortmund Verfahren wegen des Massakers von Kephallonia einleitete, wurden sie nach vier Jahren wieder eingestellt. Vierzig Jahre später und zu einer Zeit, in der die Gebirgssoldaten wieder zu alten Wirkungsstätten zurück kehren, haben die StaatsanwältInnen in Dortmund die Ermittlungen wieder aufgenommen - mit einer altersbeschränkten Auswahl. Von den rund 4000 Wehrmachtssoldaten dürften nach Einschätzung des zuständigen Oberstaatsanwalts Ulrich Maaß allenfalls noch 400 bis 800 am Leben sein. Viele davon seien aber nicht mehr vernehmungs- oder schuldfähig.
Trotzdem werden die alten Herren auf Anforderung sehr agil und finden zumindest geistig wieder zu einstiger Kampfstärke zurück. Als vergangenes Pfingsten AntifaschistInnen um den Arbeitskreis "Angreifbare Traditionspflege" und die Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes (VVN) das Traditionstreffen der Gebirgsjäger mit Protesten begleiteten, reagierten die Veteranen mit wüsten Beschimpfungen und wurden stellenweise sogar handgreiflich. (str)