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Bachelor- und Master in Deutschland   Heft 2/2004
freie Leere
Bildung für den Wettbewerb

Seite 49-51
Qualitative Hochschulreform oder Mittel zu Wettbewerbsorientierung und Bildungsabbau?  
 

Seit Ende der 1990er wird im Rahmen des so genannten Bologna-Prozesses über die Schaffung eines "Europäischen Hochschulraumes" diskutiert. Gemeint ist damit vor allem ein stärkerer Austausch zwischen den europäischen Universitäten sowie höhere Mobilität von Studierenden, Lehrenden, Forschern und Arbeitskräften. Wichtigste Folge für das deutsche Hochschulwesen ist die Umstellung auf ein zweistufiges Studiensystem mit den Abschlüssen Bachelor und Master. Die gegenwärtigen Umstrukturierungen werfen die Frage auf, ob hierdurch die Bologna-Ziele erreicht werden oder ob unter Berufung auf den Europäischen Hochschulraum nicht lediglich weiterer Bildungsabbau betrieben wird.

Der Europäische Hochschulraum

Begonnen hat der Prozess zur Schaffung des Europäischen Hochschulraumes mit der im Mai 1998 von Frankreich, Großbritannien, Italien und Deutschland unterzeichneten Sorbonne-Erklärung. An der Bologna-Erklärung vom Juni 1999, die dem Vorhaben den Namen "Bologna-Prozess" gab, waren bereits 29 europäische Staaten beteiligt. Folgekonferenzen fanden 2001 und 2003 statt, die nächste ist für 2005 geplant. Seit 2003 umfasst der Bologna-Prozess 40 europäische Staaten.
Erhöhter Austausch und Mobilität erfordern insbesondere Kompatibilität und Vergleichbarkeit der Hochschulsysteme, -prüfungen und -abschlüsse der unterschiedlichen Staaten. Ein wesentliches Ziel des Bologna-Prozesses ist deshalb die Einrichtung eines Systems leicht verständlicher und vergleichbarer Abschlüsse. Hierfür sollen die teilnehmenden Staaten bis zum Jahr 2005 mit der Einführung eines im wesentlichen zweistufigen Studiensystems beginnen, wobei bereits die erste, mindestens dreijährige Stufe zu einem berufsqualifizierenden Abschluss (dem Bachelor) führen soll und der Zugang zur zweiten Stufe (die mit dem Master abschließt) nur denjenigen gewährt wird, die die erste Stufe erfolgreich abgeschlossen haben.
Das Bemühen um eine verstärkte Zusammenarbeit innerhalb Europas, die zu einer verbesserten wechselseitigen Anerkennung von Studienleistungen und -abschlüssen und damit zu größerer Mobilität der Studierenden führt, ist grundsätzlich zu begrüßen. Gleiches gilt für die stärkere Betonung, die Bildung hierdurch in einem Europa erfährt, dessen Schwerpunkt immer noch auf wirtschaftlichen Aspekten liegt. Eine Auseinandersetzung mit dem Bologna-Prozess darf sich jedoch nicht auf diese allgemeinen Ziele beschränken. Vielmehr ist auch zu untersuchen, welche konkreten Änderungen im Hochschulsystem unter Berufung auf diesen Prozess vorgenommen werden. Für die deutsche Hochschullandschaft ist insbesondere die Einführung des Bachelor-/Mastersystems von Bedeutung.

Bachelor und Master in Deutschland

Studiengänge in Deutschland sind bislang einstufig und führen zu unterschiedlichen Abschlüssen (Magister, Diplom, Staatsexamen). Das dem Bologna-Prozess zugrunde liegende und insbesondere aus dem angelsächsischen Raum bekannte System sieht demgegenüber auf einer ersten Stufe einen drei- bis vierjährigen Studiengang vor, der einheitlich zu einem berufsqualifizierenden Bachelorabschluss führt. Der Zugang zur zweiten Stufe, einem Masterstudiengang, setzt einen Bachelorabschluss voraus. Der hier erwobene Masterabschluss soll ebenfalls berufsqualifizierend sein. Die Einführung dieses zweistufigen Studiensystems in Deutschland geschah 1998 mit der vierten Novelle des Hochschulrahmengesetzes (HRG) zunächst zu Erprobungszwecken. Vor dem Hintergrund des Bologna-Prozesses wurden diese Studiengänge mit der sechsten HRG-Novelle 2002 in das Regelangebot der Hochschulen überführt. Seitdem sind zahlreiche Bachelor-/Masterstudiengänge eingeführt worden - die Mehrzahl zurzeit noch zusätzlich zu den weiter bestehenden Diplom- oder Magisterstudiengängen. Langfristig steht allerdings eine komplette Umstellung aller Studiengänge auf die zweistufige Struktur bevor, die herkömmlichen einstufigen Studiengänge soll es dann gar nicht mehr geben.

Hintergrund Wettbewerb

Mit der einheitlichen Einführung eines zweistufigen Studiensystems wird sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene erklärtermaßen vor allem das Ziel einer verstärkten Wettbewerbsorientierung der Hochschulen verfolgt. Hochschulen sollen um Studierende, WissenschaftlerInnen und Finanzmittel konkurrieren, wobei die Konkurrenz sowohl zwischen den einzelnen Hochschulen (national und international) als auch zwischen verschiedenen Hochschulsystemen bestehen soll. Nun lassen sich zwar durchaus auch positive Folgen eines Wettbewerbs der Hochschulen um Studierende und WissenschaftlerInnen denken: Wenn Studierende zwischen verschiedenen Hochschulen und Studiensystemen wählen können und umgekehrt die Hochschulen daran interessiert sind, Studierende möglichst für sich zu gewinnen, kann dies zu Verbesserungen der Studien-, Lehr- und Forschungsbedingungen führen.
Doch ist die Steigerung der Attraktivität für Studierende faktisch nicht primäres Ziel einer wettbewerbsorientierten Hochschule. Vielmehr dürfte der Wettbewerb wesentlich durch die Konkurrenz um Finanzmittel (staatlicherseits und/oder Drittmittel) geprägt sein. Und in diesem Wettbewerb sind andere Aspekte entscheidend als die Bedürfnisse der Studierenden: Hier geht es um eine Anpassung an die für die Ausschüttung der Mittel relevanten Kriterien. Ferner ist zu befürchten, dass Wettbewerb und Konkurrenz erhebliche Qualitätsunterschiede zwischen den einzelnen Hochschulen verursachen und somit nur einige wenige in den Genuss verbesserter Bedingungen kommen. Die ESIB, ein europäischer Zusammenschluss nationaler Studierendenschaften, befürchtet auch, dass Wettbewerb zu "brain drain" sowohl zwischen Teilnehmerländern des Bologna-Prozesses als auch im Verhältnis zu nicht teilnehmenden Ländern führen kann. Damit ist das Abwerben besonders qualifizierter und talentierter Studierender und WissenschaftlerInnen aus Ländern mit weniger entwickeltem Bildungssystem gemeint, das den Auf- und Ausbau der Hochschullandschaft in diesen Ländern gefährden würde.1
Vor dem Hintergrund dieser erheblichen Bedenken ist die Wettbewerbsorientierung des Hochschulsystems bereits an sich problematisch. Daneben fragt sich aber auch, ob wesentliche Voraussetzungen für einen sinnvollen Wettbewerb - Diversifizierung des Studienangebots und erhöhte Autonomie der Hochschulen - auf dem derzeit eingeschlagenen Weg überhaupt erreicht werden können.

Größere Autonomie für die Hochschulen

Wesentliche Voraussetzung für einen Wettbewerb zwischen den Hochschulen ist es, den Hochschulen eine Diversifizierung des Studienangebotes zu ermöglichen und ihnen zu diesem Zweck größere Autonomie bei der Gestaltung ihrer Studienangebote einzuräumen. Bislang waren sich Studiengänge unterschiedlicher Hochschulen bezüglich ihrer Inhalte und Abschlüsse relativ ähnlich. Im Bereich der Diplomstudiengänge wurde dies durch von der Kultusministerkonferenz (KMK) erlassene Rahmendiplomprüfungsordnungen sicher gestellt, die Grundlage der Diplomprüfungsordnungen der einzelnen Hochschulen waren. Außerdem bedurften die Einrichtung neuer Studiengänge sowie die Prüfungsordnungen in der Regel einer staatlichen Genehmigung.
Dies ist bei den neu zu errichtenden Bachelor- und Masterstudiengängen anders. Einige Länder haben die Genehmigung von Prüfungsordnungen bereits auf die Hochschulen selbst verlagert. Außerdem gibt es keine Rahmenprüfungsordnungen mit fachlich-inhaltlichen Vorgaben. Um dennoch die Qualität der Studiengänge und die Vergleichbarkeit gleich lautender Abschlüsse zu gewährleisten, müssen entsprechend eines KMK-Beschlusses alle Bachelor- und Masterstudiengänge durch private Agenturen akkreditiert werden. Hierbei werden die Studiengänge darauf überprüft, ob sie bestimmten Qualitätsanforderungen genügen und die Verleihung des Abschlusses Bachelor bzw. Master rechtfertigen.2

Für die Entscheidung über die Akkreditierung sind gesetzlich in § 19 HRG lediglich Rahmenvorgaben für die Regelstudienzeit und der berufsqualifizierende Charakter der Abschlüsse geregelt. Daneben hat die KMK Strukturvorgaben beschlossen, die sich u.a. auf Studienstruktur und -dauer, Zugangsvoraussetzungen für Masterstudiengänge, Art und Bezeichnung der Abschlüsse sowie die Einführung von Modulen und Leistungspunkten beziehen.3 Daneben hat auch der Akkreditierungsrat einen Referenzrahmen verabschiedet,4 der die Kriterien benennt, die von den Akkreditierungsagenturen zu beachten sind - insofern gibt er jedoch keine inhaltlichen Vorgaben, sondern beschreibt nur allgemein, was zu berücksichtigen ist. Über diese allgemeinen Strukturvorgaben hinaus werden inhaltliche Mindestanforderungen z.B. hinsichtlich der zu vermittelnden Qualifikationen oder Lehrinhalte für die einzelnen Studiengänge anders als noch in den Rahmenprüfungsordnungen ausdrücklich nicht formuliert. Die Bewertung der fachlich-inhaltlichen Aspekte soll durch die Akkrediteure selbst erfolgen. Die Begutachtung im Rahmen der Akkreditierung erfolgt durch "peers", d.h. durch Angehörige der scientific community, vorzugsweise Fachleute desselben Sachgebietes. So sollen sich die Bewertungsstandards aus der scientific community selbst bilden.

Ziel verfehlt?

Es lässt sich zweifeln, ob diese neuen Strukturen wirklich die Autonomie der Hochschulen erhöhen. Zwar gelten für Bachelor-/Masterstudiengänge keine starren fachlich-inhaltlichen Vorgaben in Rahmenprüfungsordnungen und zieht sich der Staat aus der inhaltlichen Beurteilung der Studiengänge zurück. Dennoch nehmen die Strukturvorgaben in den Hochschulgesetzen, den Beschlüssen des Akkreditierungsrates und vor allem der KMK immer mehr zu und beschränken die Gestaltungsspielräume der Hochschulen. Außerhalb der Hochschulgesetze stellt sich hierbei vor allem die Frage nach der Legitimation der Gremien, die die Vorgaben definieren. Die KMK ist als solche nicht direkt den Parlamenten verantwortlich. Der Akkreditierungsrat ist zwar mit VertreterInnen von Hochschulen, Ländern, Berufspraxis und Studierenden pluralistisch besetzt. Bislang verfügt er jedoch über keine parlamentarisch legitimierte Grundlage, sondern beruht auf einem Beschluss der KMK.
Auch innerhalb der Spielräume, die die Strukturvorgaben belassen, und insbesondere hinsichtlich der näheren fachlich-inhaltlichen Ausgestaltung der Studiengänge sind die Hochschulen kaum so autonom, wie es scheint. Hier unterliegen sie der Beurteilung durch die Akkreditierungsagenturen. Das Ziel, die Standardbildung der Wissenschaft selbst zu überlassen, klingt auf den ersten Blick vernünftig. Doch begegnet die Beurteilung durch "peers" einigen Bedenken: Findet die Akkreditierung und damit letztlich die Zulassung eines Studiengangs innerhalb der "Fachgemeinde" statt, so besteht einmal das Risiko, dass kein "peer" seinen KollegInnen - die möglicherweise demnächst den eigenen Studiengang beurteilen werden - Steine in den Weg legen will. Umgekehrt kann eine Standardbildung innerhalb der scientific community aber auch dazu führen, dass nur die dort herrschende Meinung anerkannt wird, innovative und andersartige Methoden und Inhalte hingegen keine Chance erhalten. Insofern kann man durchaus anzweifeln, ob das Urteil der FachkollegInnen immer besser ist als eine staatliche Zulassungsentscheidung. Durch den Druck zur Teilnahme am Wettbewerb werden die Hochschulen - über die Pflicht zur Akkreditierung - gezwungen, sich den Vorgaben von KMK, Akkreditierungsrat und Agenturen anzupassen. Dies gefährdet eine umfassende inhaltliche Auseinandersetzung im Zusammenhang mit den Entscheidungen über Einführung und inhaltliche Ausgestaltung der Studiengänge.

Und die Ziele des Bologna Prozesses?

Daneben ist aber auch zweifelhaft, ob die Ziele des Bologna-Prozesses - vermehrter Austausch und wechselseitige Anerkennung der Abschlüsse - gegenwärtig erreicht werden. Schwierigkeiten scheint es hinsichtlich der internationalen Anerkennung der deutschen Bachelorabschlüsse zu geben. Allen Bekundungen des Willens zu europäischer Zusammenarbeit und wechselseitiger Anerkennung zum Trotz wird in Großbritannien z.B. nur ein vierjähriger Bachelorstudiengang, der dort durch den Titelzusatz "honours" besonders gekennzeichnet ist, als Zugangsberechtigung zum Masterstudium anerkannt. In Deutschland sind hingegen sowohl drei- als auch vierjährige Bachelorstudiengänge möglich, ohne dass der Unterschied aus dem Titel "Bachelor" erkennbar sein darf. Deshalb ist unklar, ob Großbritannien den deutschen vierjährigen Bachelor als Zugang zum Masterstudium anerkennen wird. Gravierender als diese Abstimmungsprobleme dürfte sein, dass internationale Standards für die Anforderungen an Studiengänge bislang kaum entwickelt sind. Hier sind weitere Aktivitäten dringend erforderlich, wenn europaweite Mobilität von Studierenden und AbsolventInnen wirklich erreicht werden soll.
Auch innerhalb Deutschlands ist unklar, ob der Bachelorabschluss von ArbeitgeberInnen und Wirtschaft akzeptiert wird und damit tatsächlich berufsqualifizierend ist. Zur Zeit besteht bei vielen Unternehmen wohl noch Skepsis gegenüber dem neuen Abschluss. So zitiert die Frankfurter Rundschau eine Umfrage, nach der die Personalchefs der 30 Dax-Unternehmen und von 13 großen Beraterfirmen alle eineN AbsolventIn mit Diplom gegenüber einem Bachelor oder Master bevorzugen.5

Deckmantel für Bildungsabbau?

Die bereits erwähnten Strukturvorgaben der KMK lassen schließlich befürchten, dass hier unter dem Vorwand der Internationalisierung ein erheblicher Abbau von Studienplätzen und damit von Bildungschancen betrieben wird. Nach diesen Vorgaben soll für den Zugang zum Masterstudium ein Bachelorabschluss allein nicht ausreichen, sondern zusätzliche Zugangsvoraussetzungen aufgestellt werden. Dies hat zur Folge, dass nur ein Teil der Bachelor-AbsolventInnen weiter studieren kann, für den Großteil der Studierenden jedoch ein dreijähriges Studium zur Regel wird. Hamburgs Hochschulsenator Dräger spricht sich für eine Beschränkung des Zugangs zum Masterstudium auf etwas 30% der Bachelor-AbsolventInnen aus.6 Die Selektion beim Masterzugang erhöht den Leistungsdruck im Bachelorstudium und es ist zu erwarten, dass sich der insgesamt zu beobachtende Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungschancen auch bezüglich der Chance auf ein weiter führendes Studium niederschlagen wird, es also auch zu einer sozialen Selektion der Studierenden kommt. Eine derartige Beschränkung des Zugangs zum Masterstudium steht zudem im eklatanten Widerspruch zur Betonung der erhöhten Bedeutung von Bildung für Europa.
Zusammenfassend können von dem Bologna-Prozess und der damit einhergehenden Umstellung des deutschen Hochschulsystems auf eine Bachelor-/Masterstruktur zwar grundsätzlich positive Impulse für eine höhere Mobilität und Flexibilität von Studierenden ausgehen. So, wie die Umstrukturierung momentan betrieben wird, verkommt sie jedoch zu einer bloßen Wettbewerbsorientierung der Hochschulen, einher gehend mit einem weiteren Bildungsabbau, ohne die Chancen für eine auch inhaltliche Reform zu nutzen.

Karin Bieback ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der TU Hamburg-Harburg.

Anmerkungen

1 ESIB Press portfolio, EISB and the Bologna Process - from Bologna and Prague to Berlin 2003, 19.
2 S. dazu Staack, Forum Recht 2004, 47 (in diesem Heft).
3 Beschluss der KMK vom 10.10.2003, http://www.kmk.org.
4 Verabschiedet im Rahmen der 18. Sitzung des Akkreditierungsrates am 20. Juni 2001, http://www.akkreditierungsrat.de.
5 Heinemann, Thema Hochschule, Frankfurter Rundschau (FR) vom 13.1.2004.
6 Zitiert bei Heinemann, Thema Hochschule, FR vom 13.1.2004.

Literatur und Internet

Website zum Bologna-Prozess: http://www.bologna-berlin2003.de
ESIB - The National Unions of Students in Europe: diverse Stellungnahmen zum Bologna-Prozess aus Sicht der Studierenden unter http://www.esib.org/
Jahn, Heidrun, Bachelor und Master in der Erprobungsphase, Arbeitsberichte 1/00, Institut für Hochschulforschung, 2000.
Welbers, Ulrich (Hrsg.), Studienreform mit Bachelor und Master, 2001.