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  Sozialreferat des AStA FU Berlin   Forum Recht Home

 

You had your chance ...   Heft 2/2004
freie Leere
Bildung für den Wettbewerb

Seite 52-55
 
 

Die einen schreiben sie sich in den Forderungskatalog, die anderen haben sie sowieso schon im (Partei)Programm: Sowohl bei Studierenden als auch bei PolitikerInnen wird Chancengleichheit als eine der wichtigsten Einrichtungen angesehen, die ein demokratischer Staat zu bieten bzw. zu gewährleisten hat. Im Zuge der aktuellen Proteste wird von Seiten der Studierenden Chancengleichheit beim Hochschulzugang eingefordert. So lässt sich z.B. in einer Erklärung des Studierendenparlaments der Uni Duisburg-Essen (und andere im selben Wortlaut) von der Forderung nach "Reformen zur Sicherung der Chancengleichheit beim Hochschulzugang"1 lesen oder in der Resolution einer Vollversammlung der Kölner Uni, dass "nur mit einer Garantie auf kostenfreie Bildung die Chancengleichheit im Bildungssystem"2 gewährleistet bleibe. Es scheint sich also um ein hohes Gut zu handeln.
Dabei missverstehen die Studierenden die Intention des Staates. Es wird angenommen, die prinzipielle Möglichkeit für alle, nach Absolvieren des Abiturs zu studieren, sei zu ihrem Wohl geschaffen worden. Das gleiche gilt in Bezug auf weitere vom Staat hergestellte Bedingungen wie die Subvention von weniger bemittelten AbiturientInnen durch Ausbildungsförderung oder umgekehrt durch Studiengebührenfreiheit. Was vor und nach dem Studium war und ist, welche Zwecke der Staat mit diesen Einrichtungen verfolgt und worum es sich bei der Forderung nach Chancengleichheit eigentlich handelt, soll hier geklärt werden.

Die studentische Forderung nach Chancengleichheit

Erst mal kann man sich über diese Forderung wundern: Grundsätzlich hat im Rechtsstaat BRD jede(r) die Chance, sich um einen Studienplatz zu bewerben. Es gibt ja kein Kastenwesen, in dem nur bestimmte Menschen aufgrund ihrer Abstammung o.ä. überhaupt etwas lernen dürfen. Das Recht hat hier jede(r) deutsche StaatsbürgerIn! Explizit von der Erlangung einer Hochschulzugangsberechtigung und anschließender Hochschulbildung ausgeschlossen ist also von vornherein niemand. Das hat der Staat so eingerichtet und hält sich dies zugute (es gibt schließlich Länder, in denen z.B. Frauen überhaupt keine institutionelle Bildung erfahren). Den FordererInnen der Chancengleichheit muss es also um etwas anderes gehen als um diese von allen konkret personalen Voraussetzungen abstrahierende Möglichkeit.
Chancengleichheit in Bezug auf den Hochschulzugang bedeutet bei den Studierenden, dass alle Menschen dieselbe Chance erhalten, sich unter gleichen äußeren Bedingungen an einer Hochschule bilden zu können - und dies dergestalt, dass sie nicht aufgrund ihres Geschlechts, körperlicher Behinderungen oder materieller Unterbemitteltheit Nachteile im Lehrbetrieb erfahren oder gar nicht erst zu ihm zugelassen werden. Sie sollen also nicht durch Umstände in ihren Chancen beeinträchtigt werden, für die sie persönlich gar nichts können.

Dass Frauen heute studieren, ist nichts Besonderes mehr und RollstuhlfahrerInnen gehören auch zum normalen Bild in Universitäten. Allein der Nachwuchs aus materiell weniger begüterten Familien lässt sich das von außen nicht ansehen; da ist er dennoch - und damit ihm das nicht zum Nachteil gereicht, soll beispielsweise das Studium nichts kosten, denn Studiengebühren gelten bei den Studierenden als "sozialer Numerus Clausus", der die weniger Begüterten vom Studieren abhält. Geschlechtliche, körperliche oder materielle Voraussetzungen sollen also keine Hürden sein, dafür habe der Staat Chancengleichheit zu garantieren. Anstandslos vorausgesetzt ist dabei freilich der Besitz einer Hochschulzugangsberechtigung, zumeist das Abitur. Diese Einschränkung wird nicht kritisiert, gilt sie doch als der Befähigungsbeweis, an höherer Bildung teilnehmen zu können.
Zusammenfassen lässt sich das, was Chancengleichheit beim Hochschulzugang aus Sicht der Studierenden leisten soll, folgendermaßen: "Jede, die will (und eine Hochschulzugangsberechtigung in der Tasche hat), soll studieren können." Diejenigen, die es bis zum Abitur geschafft haben, sollen nicht ausgerechnet wegen ihres leeren Portemonnaies vom Studieren abgehalten werden. Dass der Staat die Chancengleichheit von Zeit zu Zeit auch mal anders sieht und dass sie sowieso rein gar nichts mit einem Dienst für benachteiligte Menschen zu tun hat, sondern dass der Staat sich bei der Ausgestaltung und Finanzierung des Hochschulwesens etwas ganz anderes denkt, klärt sich im letzten Abschnitt. Die Zwecke des Staates lassen sich aber auch schon an der historischen Entwicklung ablesen.

Das war ja nicht immer so ...

Tatsächlich gab es in der Bundesrepublik Deutschland eine Zeit nach dem zweiten Weltkrieg, in der nur wenige Menschen studierten. So machten in der Regel weniger als 10 % eines Jahrgangs Abitur, weniger als 10 % durften also überhaupt studieren. Diese Menschen rekrutierten sich damals fast ausschließlich aus den besser bemittelten Teilen der Bevölkerung. ArbeiterInnenkinder waren kaum an Universitäten zu finden, sei es, dass sowieso klar war, dass sie eine bodenständige Ausbildung machen sollten, sei es, dass ihnen beziehungsweise ihren Eltern das nötige Kleingeld fehlte, um überhaupt ans Abitur oder gar an ein Studium denken zu können, wenn die Lehrlingsvergütung der Kinder im Familienhaushalt schon fest einberechnet war.
10 % waren eindeutig zu wenig, so dass 1964 ein Herr namens Georg Picht, seines Zeichens Philologe und Philosoph, der sich im "Deutschen Ausschuss für Bildungs- und Erziehungswesen" engagierte, eine "Bildungskatastrophe" ausrief.3 Der Grund, warum dies auf einmal zu wenig waren - und dem Aufschrei voraus gegangen - war die Angst, dass Deutschland in der internationalen Konkurrenz ins Hintertreffen geraten könne. Dieser Vorgang zeigt, dass es nicht darum ging, ob SchülerInnen prinzipiell ihr eigenes Interesse an bestimmtem Wissen befriedigen konnten, etwa ob sie den Satz des Pythagoras verstanden hätten und falls dies nicht der Fall gewesen wäre, zu überlegen, wie er ihnen besser zu erklären wäre. Vielmehr waren die Leistungen der SchülerInnen konkurrierender Nationen der Maßstab und es wurde allein verglichen, ob der Lernstoff in anderen Staaten besser oder schlechter verstanden wurde.4 Der Sputnik-Schock versetzte 1957 die gesamte westliche Welt in die Furcht, gegenüber dem Ostblock auf dem Gebiet der technologischen Entwicklung zurückzufallen. Aber nicht nur Blockkonkurrenz, sondern v.a. das Abfallen der deutschen gegenüber anderen Nationen war oberstes Staatsproblem, das es in jedem Fall zu verhindern galt. Dies war denn auch der Grund für die Ausrufung eines Bildungsnotstands.

Der Bildungsnotstand

Picht malte dabei das Schreckensbild eines von Frankreich angeführten Europas der 70er Jahre. Deutschland würde seine führende Rolle in Europa verlieren, da sein geistiges Potential (nach Picht die AbiturientInnen) gegenüber dem Frankreichs aufgrund der Rückständigkeit des deutschen Bildungswesens schwer ins Hintertreffen geraten würde. Denn, so wusste Picht, an diesem geistigen Potential hängt die wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit und politische Stellung des Staates. Mit dieser Schreckensvision vor Augen machte sich die deutsche Politik daran, Instrumente zu schaffen, die es ermöglichen sollten, die AbiturientInnenquote (und damit die Zahl der potentiellen Studierenden) zu erhöhen.
Dieser behauptete, direkte Zusammenhang von wirtschaftlichem Wachstum und einer großen Anzahl studierter Menschen existiert in dieser Form allerdings nicht. AkademikerInnen sind nie der Grund für wirtschaftliches Wachstum, ihre Anwesenheit stellt lediglich eine günstige Bedingung für Investitionen und damit Wachstum dar. Der ausschließliche Grund für wirtschaftliches Wachstum im Kapitalismus ist die Investition von Kapital. Dies wird eher investiert, wenn der Standort die passend ausgebildeten Arbeitskräfte vorweisen kann - es wird aber nie investiert, nur weil es am Standort studierte Arbeitskräfte gibt, sie stellen lediglich einen Faktor in den Kalkulationen der KapitalistInnen dar.

Um dafür zu sorgen, dass mehr Eltern ihre Kinder auf Gymnasien schickten, wurde z.B. das SchülerInnen-BAföG eingeführt. Auch die Werbetrommel wurde für die Bildung gerührt, um den Menschen die Vorteile einer universitären Ausbildung nahe zu bringen. Denn das eigene Kind "sollte es ja mal besser haben" als man selber. Die Hochschulbildung sollte also der Schlüssel sein, der nicht nur geistigen Reichtum herbei-, sondern auch aus materieller Misere herausführen sollte. Ergebnis der Bemühungen war ein Anstieg der AbiturientInnenquote auf ca. 35 %, das Ziel war also erreicht. Endlich, so die Kalkulation der Politik, sei Deutschland wieder in der Lage, den anderen Nationen in der Staatenkonkurrenz Paroli zu bieten.
Diese Instrumente stellten eine Ergänzung des deutschen Bildungssystems dar, mit der sich je nach staatlicher und wirtschaftlicher Bedarfsprognose eine einigermaßen bestimmte Verteilung der Kinder auf die verschiedenen Schultypen bewerkstelligen ließ. Es ging also bei der damaligen Bildungsreform nicht darum, die Menschen besser auszubilden, Wissen zu vermitteln, damit das gemeinsame Zusammenleben qua effektiverer Beherrschung der Natur durch gut ausgebildete Individuen angenehmer und luxuriöser für alle wird. Der Zweck bestand, wie gezeigt, vielmehr darin, einem befürchteten Versagen Deutschlands in der Staatenkonkurrenz entgegen zu wirken - das Mittel, mit dem dies erreicht werden sollte, war, eine größere Zahl von HochschulabsolventInnen zu schaffen, die sich dann für Staat und Kapital nützlich machen bzw. selbst Führungsaufgaben übernehmen konnten. Der entscheidende Witz, auf den später noch näher einzugehen ist: Chance bedeutet nicht Sicherheit! Man ist vollständig davon abhängig, dass die eigenen Fähigkeiten von KapitalbesitzerInnen nachgefragt werden.
Bildungspolitisch firmieren diese staatlichen Maßnahmen nun unter dem Label "Chancengleichheit", die, schaut man genauer hin, noch einiges an Überraschungen bereithält.

Was es mit der Chancengleichheit auf sich hat ...

Wer über Chancengleichheit spricht, muss sich erst einmal klar machen, worin die Chance besteht, die da für alle gleich sein soll. Erst dann lohnt es sich, darüber nachzudenken, ob die Forderung danach überhaupt ein sinnvolles Unterfangen ist (und dann vielleicht noch, ob Forderungen an den Staat allgemein sinnvoll sind).
Es gibt in diesem Staat zu einem bestimmten Zeitpunkt ein bestimmtes Quantum an zu besetzenden Arbeitsplätzen. Auf die Art und Anzahl hat man keinen Einfluss, denn Arbeitsplätze werden vom Kapital ausschließlich je nach Nutzen für den Profit geschaffen, erhalten, aber auch gestrichen; klar ist nur: Einen dieser Arbeitsplätze will man haben. Dass man das will, weiß auch der Staat, schließlich hat er die Verhältnisse so eingerichtet, dass das Leben ohne Lohnarbeit ziemlich mies aussieht - womit nicht gesagt sein soll, dass es mit Lohnarbeit unbedingt viel rosiger wäre. Denn um die eigenen Bedürfnisse zu befriedigen, braucht man bekanntlich Geld, und das gibt es nur gegen Lohnarbeit. Dabei sind die gut bezahlten Jobs etwas rarer und an mehr Voraussetzungen geknüpft. Ein Haupt- oder Realschulabschluss zählt hier nicht, es muss schon ein höherer Abschluss her. In der Regel fängt man u.a. deswegen auch ein Studium an: Am Ende soll auf dem Gehaltsscheck mehr drauf stehen als bei normalen ArbeiterInnen, sei es als besser bezahlte LohnarbeiterIn, als Führungsperson in einem Unternehmen oder im Staatsapparat.

Die Menschen stehen also gegenüber den verschiedenen Lohnarbeiten (der Quelle ihres Lebensunterhalts) in Konkurrenz zueinander. Es wird nun aber nicht gewürfelt, wer den Job bekommt, sondern der/die am besten dafür geeignete BewerberIn soll ihn bekommen. Um herauszufinden, wer der/die Beste ist, wird beginnend mit der Grundschule ein Konkurrenzverhältnis eingerichtet, durch das sich Leistungshierarchien ergeben sollen. In der Schule sieht dies so aus, dass anhand eines für alle gültigen Maßstabs, den Noten, die Leistungen "objektiv" verglichen werden können. Auch so genannte Alternativschulen bilden hier keine Ausnahme, da auch dort spätestens beim Abitur Noten vergeben werden.

Leistung statt Herkunft

In Deutschland unterliegen alle Menschen der Schulpflicht, kommen also um den Leistungsvergleich in der Schule nicht herum, der diese Hierarchie herstellen soll. Neben der Vermittlung einer grundlegenden Bildung ist also die Selektion von SchülerInnen Hauptzweck der Schule. Ein bestimmter (kleinerer) Teil verlässt die Grundschule mit einer Empfehlung für das Gymnasium, der Rest verteilt sich auf Haupt- und Realschule.
Und damit auch wirklich die Leistungsbesten herausgefunden werden, werden alle SchülerInnen denselben Bedingungen ausgesetzt. Söhne reicher Eltern bekommen keine besseren Noten, weil sie reiche Eltern haben, dass der Vater Minister ist, hat auf die Bewertung seiner Tochter durch den Lehrer keinen Einfluss, und dass jemand eine adelige "Abstammung" hat, verschafft ihm auch noch keinen Vorteil in der Schule. Zumindest sollte das aus Sicht des Staates so sein. Wenn dies in der Realität manchmal anders läuft, geht das den Interessen des Staates zuwider und er versucht beständig, solche Bevorzugung zu verhindern. Alle TeilnehmerInnen sollen einer formalen Gleichheit ausgesetzt werden, um dadurch ihre Ungleichheit in ihren schulischen Leistungen festzustellen - und danach zu sortieren.

Dass dabei regelmäßig ArbeiterInnenkinder schlechter abschneiden und sich die Leistungsbesseren doch in einem gewissen Rahmen aus der materiellen Oberschicht rekrutieren, ist dem Staat herzlich egal. Denn, wie schon gesagt, ist der Staat eben kein Kastenstaat, der den Kindern von Papis im Blaumann und Muttis mit Schürze verbieten will, sich dem Kapital auch in höheren Positionen zur Verfügung zu stellen: Wenn jemand dem Profit nützlich sein kann, dann soll er das natürlich auch dürfen. Umgekehrt hat der Staat kein besonderes Interesse daran, dies solchen Kindern zu ermöglichen, falls es bereits genug Arbeitskräfte gibt. Sein Interesse an der Chancengleichheit besteht nicht darin, eine planmäßige Verteilung der notwendig anfallenden Arbeiten zu gewährleisten, sondern einen Pool zu schaffen, der eine bestimmte Nachfrage von Arbeitskräften decken kann.
Das ist auch der Unterschied zwischen den IdealistInnen unter den FordererInnen von Chancengleichheit und dem Staat: Chancengleichheit ist eben kein Dienst für die Menschen, sondern das Mittel für ihre zahlenmäßige Sortierung in bestimmte Qualifikationsniveaus (z.B. über AbiturientInnenquoten). Die ungefähre Menge ergibt sich aus staatlichen Bedarfsprognosen und am Ende steht eine mal größere und mal kleinere Anzahl höher qualifizierter Menschen. Wenn der Staat merkt, dass es genug ausgebildetes Personal in einem bestimmten Bereich gibt, konstatiert er z.B. eine "Akademikerschwemme" und sorgt mit seinen Mitteln dafür, dass diese "Schwemme" wieder eingedämmt wird, z.B. durch die Verschärfung der Zugangsbeschränkungen oder die Kürzung seiner Ausbildungsförderung.
Die FordererInnen von Chancengleichheit unterliegen hier einer Verwechslung von Zweck und Mittel: Zweck ist es, einen bestimmten Bedarf an qualifiziertem Arbeitspersonal zu bedienen. Das Mittel dafür (- das die Fans der Chancengleichheit für den Zweck halten) ist, einen gewissen Ausgleich für die materiell Unterbemittelten zu schaffen. Wenn der Bedarf kleiner wird, werden auch diese Zuwendungen geringer, denn sie waren lediglich Mittel. Härter ausgedrückt: Menschenmaterial, bestimmt zur späteren Verwertung, sonst nichts. Daher machen auch Forderungen nach mehr Chancengleichheit nicht den geringsten Sinn, sondern zeugen eher vom Unverständnis der eingerichteten Verhältnisse. Chancengleichheit ist immer die Voraussetzung und das Mittel, um Ungleichheit in der Leistungsfähigkeit herauszufinden, die für die ständige Konkurrenz benötigt wird. Das ist das Interesse des Staates, und dessen BerufsnationalistInnen, die auch die derzeitigen bildungspolitischen Maßnahmen beschließen, wissen ganz genau, welche Härten sie den Studierenden aufbürden.

So muss jede Forderung in dieser Sache an den Staat notwendig ins Leere laufen: Er hat das so eingerichtet und gestaltet es den Zwecken entsprechend aus, die Staat und Kapital gerecht sind. Dass dabei den Studierenden (und derzeit nicht nur denen!) ordentlich durch Studienkonten o.ä. geschadet wird, ist kein Widerspruch, sondern notwendiges Resultat der Brutalität des Bildungswesens in der sozialen Marktwirtschaft. Wenn der prognostizierte Bedarf an universitär ausgebildeten Menschen größer ist, wird die Förderung verstärkt, das BAföG erhöht, die Kriterien abgesenkt etc. und wenn der Bedarf sinkt, das Ganze einfach umgedreht. Daran ist ersichtlich, dass Bildung keine gesellschaftlich bestimmende Größe ist, sondern nur eine Variable im kapitalistischen Konkurrenzkampf.
Diese staatlichen Bedarfsprognosen können sich durchaus als falsch erweisen, wird in ihnen doch zumeist wirtschaftliches Wachstum unterstellt. Tritt dieses z.B. nicht ein oder verlagert sich der wirtschaftliche Bedarf auf andere Bereiche, so haben zwar viele Menschen einen Hochschulabschluss, der zu Beginn des Studiums wie ein Garant auf einen Beruf aussah, am Ende des Studiums aber auf einmal nicht mehr nachgefragt wird.
Auch die Schaffung der Chancengleichheit für Frauen und körperlich Behinderte ist keine Menschenfreundlichkeit. Denn was gibt es gegen einen "genialen" Physiker im Rollstuhl (um eines der Klischees zu bedienen) einzuwenden? Das denkt sich auch der Staat und gibt auch solchen die Möglichkeit, an der Konkurrenz teilzunehmen. Es wäre ja auch schön blöd, wenn dem Staat oder dem Kapital so ein schlauer Kopf durch die Lappen geht und zu minderen Arbeiten herangezogen würde.

Garantierte Chancen

In der Grundschule wird also über die grundsätzlichen Lebenschancen des Kindes entschieden. Wer auf ein Gymnasium kommt, wird dafür schon etwas geleistet, nämlich sich im Vergleich der schulischen Lernleistung hervorgetan haben. Auf dem Gymnasium geht es mit der Konkurrenz weiter, nicht wenige geben unterwegs auf (und landen auf einer Realschule, mit entsprechend schlechteren Aussichten) oder beenden nach der zehnten Klasse das Gymnasium. Diejenigen, die bis zum Abitur durchhalten, werden mit der Möglichkeit belohnt, ihre Bildung an einer Hochschule fortzusetzen - ab jetzt allerdings freiwillig und ohne den Zwang einer Schulpflicht, aber notwendig für die Chance auf die besser bezahlten Arbeitsplätze.
Der Witz an der Sache ist, dass alles immer nur Chance bleibt. Man kann sich in der Konkurrenz noch so anstrengen, nicht die Leistung selbst und schon gar nicht der Wille dazu zählen, sondern der Platz in der Leistungshierarchie. Die eigenen Anstrengungen erfahren hier eine Relativierung an denen anderer. Ob sich eine Chance in einen Erfolg verwandelt, hängt vom Vergleich ab, ist also ein Ergebnis von Konkurrenz. Das ist spätestens dann spürbar, wenn man es von 50 BewerberInnen auf einen Job auf Platz zwei geschafft hat. Dann hat nämlich die ganze Anstrengung nichts gebracht, den Job hat trotzdem einE andereR. Gleichzeitig ist das auch der Grund, warum man die Anstrengung nicht einfach weglassen kann. Denn um überhaupt eine Chance zu bekommen, es zu etwas zu bringen, ist die Leistung unerlässlich - nur: Leistung allein garantiert noch gar nichts, erst im Vergleich zu anderen lässt sich absehen, ob sie sich gelohnt hat oder nicht.

Der eigene Erfolg in der Konkurrenz ist damit aber auch immer ein Schaden für die Anderen. Wenn man selbst den Job bekommt, haben andere ihn nicht. Das erworbene Wissen wird zudem völlig entwertet, wenn es nicht nachgefragt wird, sprich, wenn man sich damit nicht nützlich für das Kapital oder den Staat machen kann, z.B., weil der Bedarf am eigenen Wissen gedeckt oder nicht (mehr) vorhanden ist. So kann der Dipl. phil. zwar auf Partys mit seinem tiefgründigen Wissen über allerlei kategorische Imperative und das kollektive Händeschütteln beim Gesellschaftsvertrag großen Eindruck schinden; wenn dieses Wissen keine anderweitige Verwertung erfährt, bleibt dem Philosophen oft wenig anderes übrig, als sein Wissen als Taxifahrer an seine Fahrgäste weiterzugeben - wenn er denn Auto fahren kann.
Erst wenn alles bis jetzt Gesagte als gegeben akzeptiert ist, kann man ohne schlechtes Gewissen Chancengleichheit beim Hochschulzugang fordern. Der eigentliche Zweck dieser Gleichheit (so er überhaupt erkannt wurde), wird überhaupt nicht in Frage gestellt, es solle halt etwas gerechter ablaufen, soll wohl bedeuten, es sollten doch ein paar mehr ArbeiterInnenkinder studieren können - dann ist ja auch erst mal wieder gut. Diejenigen, die mehr Gerechtigkeit fordern, können nur meinen, dass es eben ungerecht sei, wenn das im Vergleich zum Kind reicher Eltern viel leistungsfähigere ArbeiterInnenkind nicht auf die Uni darf, nur weil es sich das nicht leisten kann. Als Kritik bedeutet dies nicht mehr, als dass die Leistungsbesten ganz und gar unabhängig von den personalen Voraussetzungen nach oben kommen sollten - hier wird lediglich ein Konkurrenzideal postuliert!
Die Kritik der Einführung eines "sozialen Numerus Clausus", wenn die Hochschulbildung nicht umsonst ist oder kein materieller Ausgleich geschaffen wird, entbehrt nicht einer gewissen Lächerlichkeit: Wenn die Beschwerde darüber überhaupt stattfinden muss, dann sollte sie nicht erst da beginnen, wo die Chose bereits gelaufen ist und es nur noch um die Ausbildungsbedingungen derjenigen geht, die es eh schon geschafft haben. Dass ein Großteil der Bevölkerung von dieser höheren Bildung per se ausgeschlossen ist, interessiert nicht. Die Beschwerde über fehlende oder mangelnde Chancengleichheit macht eigentlich, egal wo sie anfängt, nur sehr begrenzt Sinn, denn selbst wenn alle Menschen einen materiellen Ausgleich zur Herstellung der Chancengleichheit erhielten, so wären sie immer noch gezwungen, gegeneinander zu konkurrieren - das Ergebnis bestünde lediglich darin, dass ein paar ArbeiterInnenkinder mehr auf ManagerInnenposten säßen und die, die dort eigentlich gesessen hätten, arbeitslos wären. Höflich gefragt: Greift die Forderung nach Chancengleichheit also nicht ein wenig zu kurz?

Sozialreferat des AStA FU Berlin

Anmerkungen:

1 Resolution vom 11.11.03, www.uni-duisburg.de/ASTA/fs-referat/texte
2 http://de.indymedia.org/2003/11/68140.shtml
3 Picht, Georg: Die deutsche Bildungskatastrophe, 1964.
4 Gleiches gilt auch heute für PISA. Nicht eine Ausbildung im und nach den Interessen des Einzelnen steht im Vordergrund, sondern ob die Einzelnen im Vergleich zu anderen Staaten besser oder schlechter ausgebildet wurden.