xxx

  Klemens Himpele   Forum Recht Home

 

Über Studiengebühren und ihre Erscheinungsformen   Heft 2/2004
freie Leere
Bildung für den Wettbewerb

Seite 42-44
 
 

In der aktuellen politischen Debatte finden sich zahlreiche Vorschläge zur Begrenzung des Hochschulzugangs- und -verbleibs und zur Neudefinition des Bildungsbegriffes. Die Angriffe finden hierbei auf zahlreichen Ebenen statt und fokussieren sich aktuell in der Eliten-Debatte der SPD. Scharnier und Kristallisationspunkt aller gehandelten Modelle sind verschiedene Studiengebührenmodelle, die im Folgenden diskutiert werden sollen.
Voraussichtlich im Sommer wird das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) über die Klage von sechs unionsgeführten Bundesländern gegen das 6. Änderungsgesetz zum Hochschulrahmengesetz entscheiden. Neben der Frage um eine Einführung von verfassten Studierendenschaften in Bayern und Baden-Württemberg geht es v.a. um das Verbot von Studiengebühren im Erststudium. Die rot-grüne Bundesregierung hatte dieses unzureichende und löchrige Verbot im Herbst 2002 durch den Bundestag festschreiben lassen. Die Unionsländer bezweifeln nun, dass der Bund für die Frage der Studiengebühren eine Regelungskompetenz besitzt. Sollte das BVerfG das Änderungsgesetz für verfassungswidrig erklären, so droht ein Wettlauf einzelner Bundesländer um die Einführung genereller Gebühren.

Studiengebühren sind gerecht

Studiengebühren, so eines der vorgebrachten Argumente der BefürworterInnen, seien gerecht; schließlich bezahlten ja alle über ihre Steuern das Hochschulstudium, davon profitierten jedoch nur die Studierenden1. Daher, so eine populäre Forderung, sollen diejenigen für das Studium bezahlen, die auch unmittelbare NutznießerInnen des Studiums sind - die Studierenden eben. Es wird übersehen, dass AkademikerInnen schon heute durch den entgangenen Glättungsvorteil der progressiven Einkommensbesteuerung mehr an den Staat zahlen als NichtakademikerInnen. Die durch die längere (Aus-)Bildungszeit bedingte kürzere Lebensarbeitszeit bei durchschnittlich höherem Lebenseinkommen gegenüber NichtakademikerInnen führt dazu, dass Studierende in höhere Steuerklassen fallen und somit nicht nur absolut, sondern auch relativ mehr Einkommensteuern an den Staat abführen. Somit refinanzieren sie ihren Studienplatz im Durchschnitt schon durch den höheren Steuersatz. Und: Sollte man das oben genannte Argument ernst nehmen, so würden zwangsläufig Menschen mit geringerem finanziellen Hintergrund noch schlechter gestellt, könnten sie sich ein Studium doch endgültig nicht mehr leisten.
Es sei an dieser Stelle auch auf die implizierte Umdeutung des Bildungsbegriffes hingewiesen: Das Hochschulstudium soll zu einer "Investition in das eigene Humankapital" verkommen, der "Return on Investment" ist das zu erwartende Einkommen. Das Studium dient demnach als Zukunftsanlage, die sich in Form höheren Einkommens verzinst. Damit muss aber schon die Wahl eines Studienganges unter einem Investitionskalkül erfolgen und kann nicht etwa persönlichen Neigungen oder gesellschaftlichen Relevanzkriterien geschuldet sein.

Das ‚Langzeit'-Studium

Eine gängige Methode zur Steuerung des Bildungsverhaltens ist die Bestrafung der Studierenden ab einer gewissen Semesterzahl durch so genannte Langzeitstudiengebühren.2 Dies wird gemeinhin als "gerecht" empfunden, suggeriert doch schon der Begriff, dass "Langzeitstudierende" den Studienplatz über Gebühr beanspruchen. Dabei wird ignoriert, dass sich diese Studierenden i.d.R. nicht dadurch auszeichnen, dass das gleiche Seminar drei Mal besucht wird. Vielmehr strecken sie ihr Studium auf einen längeren Zeitraum und nehmen somit nicht mehr Leistungen der Hochschulen in Anspruch als Studierende in der Regelstudienzeit.
Verfolgt man die Debatte über ‚Langzeit'-Studiengebühren, wie sie derzeit v.a. in Bayern und Hessen geführt wird, so vermisst man Aussagen darüber, was eigentlich die Gründe für ein langes Studium sind. Man kann diese jedoch ziemlich klar benennen: Zum einen ist die Ausstattung und Struktur der Hochschulen häufig problematisch. Fälle, in denen Seminarplätze verlost werden sind keine Seltenheit, unsinnige und unübersichtliche Prüfungsordnungen verschärfen dies oft noch. Die Tatsache, dass die durchschnittliche Studiendauer im Fach Germanistik (Magister) im Jahr 2001 in Bonn bei 9,9 und in Duisburg bei 17 Semestern lag, lässt sich nicht damit erklären, dass alle Studierenden in Duisburg faul oder dumm sind.

Des Weiteren sind finanzielle Gründe Ausschlag gebend für lange Studienzeiten. Je "ärmer" die Eltern sind, desto wahrscheinlicher ist es, LangzeitstudierendeR zu werden.3 Dies leuchtet ein, verbringen doch 2/3 der Studierenden einen Teil des Studienlebens damit, sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen - Zeit, die für das Studium nicht zur Verfügung steht. Diese hohe Zahl jobbender Studierender verweist im Übrigen auch darauf, dass staatliche Transferleistungen wie das BAföG völlig unzureichend sind.
Ein weiterer Grund, der für die Einführung von Gebühren für "Langzeitstudierende" angeführt wird, sind angebliche Vergünstigungen durch den Studierendenstatus. Schaut man sich dieses Argument genauer an, so wird seine Fadenscheinigkeit deutlich: Staatliche Transferleistungen (BAföG und Kindergeld) laufen aus, bevor man die oft als willkürliche Grenze gezogene Regelstudienzeit plus vier Semester erreicht hat. Die Familienmitversicherung bei den Krankenkassen endet mit Ablauf des 25. Lebensjahrs (ggf. plus Wehr- und Zivildienstzeit) und vom Bezug von Sozialhilfe sind Studierende gesetzlich ausgeschlossen. Weitere Vergünstigungen wie verbilligte Abos sind Werbemaßnahmen der freien Wirtschaft und schaden weder Staat noch Wirtschaft.
Das viel bemühte Beispiel des Semestertickets macht die ganze Schräge der Debatte deutlich: Das Semesterticket lebt in den meisten Modellen von einer Pflichtabnahme durch alle Studierenden und ist somit eine Massenabnahme, die auf einem privatwirtschaftlichen Vertrag zwischen Studierendenschaften und Verkehrsverbünden gründet. Was als tatsächliche staatliche Zusatzleistung bleibt sind die ermäßigten Eintritte in öffentliche Einrichtungen, rechnet man hier den Verlust von 75 Euro pro Monat bei der Rente dagegen, die sich aus der Verkürzung der Anrechnungszeit der Ausbildung auf die Rente ergibt, so bleibt festzuhalten: "Langzeitstudierende" liegen niemandem auf der Tasche außer sich selbst. Die Erfahrungen in Baden-Württemberg zeigen zudem: Langzeitgebühren erzeugen Abbrüche statt Abschlüsse.4

Bildungsgutscheine und nachfrageorientierte Hochschulfinanzierung

Als innovative Idee zur Verhinderung von ‚Langzeit'-Studiengebühren stellten die Länder Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz ein Studienkontenmodell vor, das auch in anderen Ländern wie Berlin diskutiert wird. Abgesehen davon, dass die Studienkonten, die in NRW eingeführt worden sind, faktische ‚Langzeit'-Studiengebühren sind, sind Studienkonten lediglich eine Version von Bildungsgutscheinen - und diese sind nicht sonderlich innovativ, sondern lassen sich mindestens auf Milton Friedman, den "maßgebliche[n] Anführer der Keynesschen Gegenrevolution"5 zurückführen.6 Grundgedanke der Bildungsgutscheinmodelle ist, dass jedeR Studierende ein gewisses Kontingent - öffentlich oder privat finanziert - an Semesterwochenstunden oder ähnlichen Maßeinheiten erhält und diese Gutscheine an Hochschulen einlösen kann. Die Hochschulen wiederum erhalten pro eingenommenem Gutschein einen gewissen Geldbetrag vom Staat. Somit wird die Finanzierung einzelner Fachbereiche an die Nachfrage geknüpft. Bildungsgutscheine sind demnach ein allokatives Instrument zur Verteilung öffentlicher Mittel, welche dadurch, dass man zu den Gutscheinen einen private Zahlung verlangt, eingeschränkt werden können und so Studiengebühren ermöglicht werden.

Kern dieses Modells ist die nachfrageorientierte Hochschulfinanzierung. Damit könne man, so die BefürworterInnen, die Hochschulen zwingen, ihr Angebot zu optimieren, sind sie doch auf viele Studierende angewiesen. Was bedeutet es aber, wenn die Hochschulen auf Massen angewiesen sind? Sie werden zunächst gezwungen, Studiengänge mit einer starken Nachfrage bereitzustellen. Da sich so genannte "Orchideenfächer" gerade nicht durch eine starke Nachfrage auszeichnen, droht diesen wie auch kleinen Hochschulen die Pleite. Konsequenter Weise würde eine solche Nicht- bzw. nicht hinreichende Finanzierung wegen der zu ‚geringen' Nachfrage zur Schließung solcher Angebote führen. Sollen die Hochschulen über die Nachfrage finanziert werden, so müssen auch die Arbeitsverhältnisse der Angestellten der Hochschule weiter prekarisiert werden, schließlich muss das Ausbleiben der Nachfrage aus Finanzierungsgründen mit Personalabbau beantwortet werden.7
Auch aus Sicht der Studierenden ist das Modell der Bildungsgutscheine alles andere als vorteilhaft: Zum einen wegen der drohenden Gebühren spätestens nach dem Aufbrauchen des staatlich finanzierten Kontingents, zum anderen wegen der strukturellen Änderungen, die eine nachfrageorientierte Hochschulfinanzierung mit sich bringt. Die Hochschulen werden ihr Angebot aus reinem Refinanzierungsinteresse an der NachfragerInnenmenge ausrichten müssen, was zwangsläufig zu einer Einschränkung der Wahlmöglichkeiten führt.

Weitaus tragischer sind jedoch die Konsequenzen für den Hochschulzugang, unterstellt das Konzept der nachfrageorientierten Hochschulfinanzierung doch, dass potentielle Studierende auf "Qualitätsmerkmale" reagieren, d.h., dass ein qualitativ hochwertiges Angebot auch zu einer verstärkten Nachfrage führt. Wenn dies stimmt, so wird zumindest ein großer Teil der Studierenden an die beste Hochschule wollen. Da diese ihre Qualität bspw. durch ein gutes Betreuungsverhältnis und ausreichend Hörsaalkapazitäten begründet, ist die Hochschule gezwungen, eine Zulassungsschranke einzuführen. Diese Zulassungsschranke muss jedoch berücksichtigen, dass weniger Studierende auch Mindereinnahmen bedeuten. Es bietet sich demnach eigentlich nur die Variation des Preises der Bildungsgutscheine als systemisch logisch an. Dies wiederum führt zu einer Aufspaltung in teuere ‚Elite'-Hochschulen und günstigere Hochschulen für den Rest. Auch wenn das derzeitig in NRW (noch) ausgeschlossen ist, haben wir hier die Folgen der Elite-Debatte deutlich vor Augen.
In diesem Zusammenhang ist auch der Begriff der "Qualität" zu problematisieren. Im Hochschulbereich ist eine Markttransparenz nicht gegeben, so dass unter "Qualität" zwangsläufig das verstanden wird, was in Rankings und anderen zweifelhaften Maßstäben wie der Einwerbung von Drittmitteln ermittelt wird. Die Hochschulen werden daher einen nicht unerheblichen und weiter steigenden Anteil ihres Budgets in Werbemaßnahmen zur Imagepflege - auf neudeutsch: "Profilbildung" - stecken; Geld, das besser in Forschung und Lehre aufgehoben wäre.

Nachgelagerte Studiengebühren

In der aktuellen Debatte fällt immer wieder das australische Modell der nachgelagerten Studiengebühren, das Higher Education Contribution Scheme (HECS) als Vorbild. Dies hat sowohl der thüringische SPD-Chef Matschie als auch die baden-württembergische Landesregierung schon benannt. Dabei soll man während des Studiums die Studiengebühren in Form von Schulden anhäufen und diese Schulden nach dem Studium einkommensabhängig zurück zahlen. Damit, so die BefürworterInnen, seien diese Gebühren sozial gerecht und brächten den Hochschulen mehr Geld.
Schaut man sich die australische Realität an, so stellt man zunächst fest, dass Hochschulen heute weniger Geld zur Verfügung haben als vor Einführung der Gebühren.8 Des Weiteren hatten die AustralierInnen erkannt, dass dieses Modell die Bildung als "Investition in das eigene Humankapital" umdefiniert. Anders ist die Aufsplittung der Gebühren in drei Preiskategorien nicht zu erklären. Besonders teuer sind Medizin und Jura, besonders "günstig" die Geistes- und Kulturwissenschaften, in der Mitte liegen die Naturwissenschaften. Da diese Abbildung der Preise nicht den Kosten in der Entstehung entspricht, (Jura ist z.B. eine reine Buchwissenschaft) will der Staat hier offensichtlich potentielle ökonomische Verwertungsmöglichkeiten abbilden. Damit wird das Studium lediglich zu einer Investition und erfolgt nicht nach gesellschaftlichen Zielvorgaben oder persönlichen Neigungen. Das Modell ist drittens Frauen diskriminierend, da Frauen nach wie vor weniger Geld verdienen als Männer und daher länger ihre Gebührenschulden abzahlen müssen.

Die weiteren Probleme des australischen Modells, wie etwa die Möglichkeit der Direktzahlung bei teilweisem Gebührenerlass oder die Tatsache, dass nur ein Teil der Studienplätze HECS-Plätze sind, seien hier außen vor gelassen, um noch ein paar Spezifika der deutschen Debatte aufzugreifen. So wird in Deutschland davon ausgegangen, dass die Schulden zu verzinsen seien, im Gespräch waren 7 % Zinsen. Damit würden die Schulden weiter explodieren. Bedenkt man, dass die Bundesregierung im Jahr 2001 die Bafög-Schulden auf 10.000 Euro begrenzt hat, weil zu hohe Schulden Menschen aus bildungsfernen Schichten vom Studium abschrecken, so wird deutlich, was für eine Auswirkung nachgelagerte Studiengebühren auf die soziale Zusammensetzung der Studierendenschaften haben. Die Eintreibung von Geldern bei ökonomisch Potenten ist richtig, kann jedoch sinnvoll und gerecht nur über eine progressive Einkommensteuer gewährleistet werden und nicht mit einer Sondersteuer, die sich am formalen Bildungsgrad fest macht.

Exzellent und elitär

Die Debatte um Elitehochschulen, Einschränkung der Hochschulzugangsberechtigung und Studiengebühren sind jeweils andere Seiten der gleichen Medaille. Es geht darum, soziale Risiken zu individualisieren, d.h., das Studium zu einer Investition umzudefinieren. Bei Investitionen muss eben auch das Risiko der "Fehlinvestition" selbst getragen werden. Studiengebühren verbessern die Stellung von Studierenden nicht, da sie als "KundInnen" noch weniger Einfluss auf die Ausgestaltung der Hochschule werden ausüben können als als Mitglieder mit den derzeit rudimentären Mitbestimmungsrechten. Die Hochschulen müssen sozial durchlässiger werden. Noch immer entscheidet die Herkunft über die Wahrscheinlichkeit eines Studiums. Dies kann weder durch Studiengebühren noch durch Zulassungsbeschränkungen aufgehoben werden - im Gegenteil. Die Debatte über Elitehochschulen lenkt dabei von einem Problem ab, das heute schon existiert, da die Bildungsbeteiligung von ArbeiterInnenkindern denkbar schlecht ist: Wer von Elite spricht, darf von der Masse nicht schweigen.

Klemens Himpele ist Geschäftsführer des bundesweiten Aktionsbündnisses gegen Studiengebühren (ABS) beim fzs, Projektleiter Bildungspolitik im AStA der Uni Köln und Mitglied der dortigen Juso-Hochschulgruppe.

Anmerkungen:

1 Vgl. Aktionsbündnis gegen Studiengebühren (ABS) beim freien Zusammenschluss von StudentInnenschaften (fzs) (Hg.), Argumente gegen Studiengebühren. Eine Widerlegung von Behauptungen, 3. Auflage 2003, 5 ff.
2 Vgl. zum Folgenden Aktionsbündnis gegen Studiengebühren (ABS) - beim fzs (Hrsg.): Gebühren für ‚Langzeit'-Studierende? Fakten zur Debatte, 3. Auflage 2003.
3 Vgl. 15. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerkes
4 Vgl. Aktionsbündnis gegen Studiengebühren (Hrsg.): Gebühren für ;Langzeit'-Studierende, a.a.O., 9f.
5 Gabler-Wirtschaftslexikon, CD-Rom-Version 2001.
6 Vgl. grundsätzlich zu Bildungsgutscheinen: Himpele, Klemens: Modernes Bildungsprivileg, in: Bund demokratischer WissenschaftlerInnen / freier Zusammenschluss von StudentInnenschaften (Hg.): Bildungsfinanzierung, 2002.
7 Bultmann, Torsten: Studienkonten - eine (vermeidbare) hochschulpolitische Sackgasse zur Verhinderung von Wissenschaft!, Stellungnahme des Bundes demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf Einladung der PDS-Fraktion im Abgeordnetenhaus von Berlin aus Anlass der Anhörung am 5.12.2003, www.benjaminhoff.de/wissenschaft/studiengebuehren/200312041400.html
8 Vgl. National Tertiary Education Industry Union, Students Pay More, Universities Get Less, The Government Pockets the Difference. A Study on Subsidised Student Place Funding from 1996 to 2001, Southbank/Australien 2003, www.nteu.org.au/freestyler/gui/files/file3e43248f8d9c4.pdf.