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Bildung als weltweite Ware   Heft 2/2004
freie Leere
Bildung für den Wettbewerb

Seite 45-46
Mit dem GATS-Abkommen wird der "Bildungsmarkt" liberalisiert  
 

"Bildung ist keine Ware" war wohl einer der am meisten verwendeten Slogans des Studi-Streiks im Wintersemester 2003/04. Selbst Bundespräsident Rau griff ihn Ende des vergangenen Jahres in seiner Weihnachtsansprache auf. Damit schlug er sich auf die Seite der protestierenden Studierenden und ging in Opposition zur rot-grünen Bundesregierung. Auf internationalem Parkett nämlich ist diese treibende Kraft in den Neuverhandlungen des Dienstleistungsabkommens General Agreement on Trade in Services (GATS) der Welthandelsorganisation (WTO).
Das GATS zielt darauf ab, bislang geschützte Bereiche öffentlicher Dienstleistungen wie den Gesundheitssektor, die Wasserversorgung und eben auch das Bildungswesen den Gesetzen des Marktes zu unterwerfen. Langfristig soll es den Einzelstaaten sogar verboten werden, Bildung nicht als Ware zu behandeln. Mit den Neuverhandlungen des GATS erklärt sich die WTO zuständig zu entscheiden, ob Bildung zur weltweiten Ware wird oder als universelles Grundrecht für alle Menschen frei zugänglich sein soll.

Was ist das GATS?

Auf den ersten Blick scheint es absurd, dass die WTO über die Zukunft der Bildung entscheidet, nicht etwa die UNESCO, die Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation. Im folgenden soll gezeigt werden, vor welchem Hintergrund diese Zuordnung geschieht. In der WTO kommen die Wirtschafts-, nicht die BildungsministerInnen zusammen. Für die Europäische Union (EU) nimmt Handelskommissar Lamy an den Verhandlungen teil. Damit ist die Frage, ob Bildung Ware oder Menschenrecht ist, natürlich schon ein Stück weit entschieden.
Was tatsächlich aber von vorneherein entschieden ist oder noch verhandelt wird, ist unklar. Denn obwohl das GATS z.B. im Bildungswesen fundamentale Auswirkungen haben wird, finden die Verhandlungen hinter verschlossenen Türen und von der Öffentlichkeit weit gehend unbemerkt statt. Eine demokratische Kontrolle ist damit ausgeschlossen. Hinzu kommt, dass einmal abgeschlossene GATS-Regeln so gut wie irreversibel sind. Dafür müssten nämlich die gesamten GATS-Verhandlungen wieder aufgemacht und im Konsens aller Staaten neu verabschiedet werden.
Da internationales Recht Vorrang vor nationalen oder lokalen Regelungen hat, können letztere gegebenenfalls aufgehoben werden. Gegen ein Land, das die GATS-Regeln bricht, kann von einem anderen Mitgliedstaat ein Strafverfahren durch die WTO angestoßen werden. Die zu erwartenden Strafen wirken gerade auf Entwicklungsländer abschreckend.

Zwar bietet das GATS die Option, nicht sämtliche, sondern nur einzelne Dienstleistungsbereiche zu liberalisieren. Auch ist es möglich, dass ein Land bestimmte Gesetze anmeldet, die dann unter dem GATS weiter gelten. Dies muss allerdings im vorhinein vereinbart werden und gilt nicht rückwirkend. Gerade Entwicklungsländern fehlt häufig die Expertise, um zu wissen, welche Gesetze sie anmelden sollten, bevor sie einen Sektor liberalisieren. In vielen Ländern existiert eine innerstaatliche Gesetzgebung, die angemeldet werden könnte, auch gar nicht. Zudem sieht der aktuelle Entwurf vor, dass alle Ausnahmen spätestens fünf Jahre nach Inkrafttreten des GATS auf ihre "Notwendigkeit" hin überprüft werden.
Grundsätzlich funktioniert es so, dass jedes Land bestimmte Bereiche zur Liberalisierung anbietet und zugleich Anfragen an andere Länder stellt, bestimmte Bereiche zu liberalisieren. So hat etwa die EU die USA aufgefordert, ihren Hochschulmarkt zu liberalisieren. Die USA im Gegenzug haben 32 Länder, einschließlich der EU, gebeten, den kompletten Bildungsmarkt zu öffnen.

Bildung als lukratives Geschäft

Das GATS folgt dem Trend, den öffentlichen Sektor zu privatisieren und öffentliche Betriebe in Gewinn bringende Unternehmen umzuwandeln, insbesondere in den USA und der EU ist diese Entwicklung unübersehbar. Sie macht auch vor der Bildung nicht Halt. Unternehmen verschaffen sich auf verschiedene Weise Zugang zum Bildungssektor. Eine gängige Methode ist es z.B., Schulen kostenloses Unterrichtsmaterial anzubieten. Weil Unternehmen profitorientiert arbeiten und sich natürlich einen Gewinn aus ihrem Engagement versprechen, lässt der Rückzug des Staates aus der Bildung viele einen Verlust an Meinungsfreiheit und -vielfalt befürchten.
Im globalen Süden wird der Trend zur Privatisierung vor allem durch die Weltbank und den Internationalen Währungsfonds forciert. Die Länder des Südens werden dazu angehalten, ihre öffentlichen Ausgaben zu reduzieren und staatliche Dienste zu privatisieren. Aufgrund von Armut und Schuldenlast liegen die Prioritäten des Staatshaushalts nicht auf Bildung. Dabei ist Bildung Voraussetzung für menschliche, soziale und wirtschaftliche Entwicklung und böte einen Ausweg aus bestehenden Abhängigkeiten.

Was bedeutet das GATS für die Bildung?

Das GATS betrifft alle Stationen des Bildungssystems vom Kindergarten über die Schule bis zur Berufs- und Universitätsausbildung, ja sogar bis hinein in die Erwachsenenbildung. Es beinhaltet v.a. die Idee, sich von rein staatlichen Bildungseinrichtungen und dem sog. "Subventionsvorbehalt" zu verabschieden. Die Gebührenfreiheit im öffentlichen Bildungswesen wird als indirekte Form von Subventionen betrachtet. Auch private (und ausländische) Einrichtungen sollen einen Rechtsanspruch auf staatliche Alimentierung bekommen.
Dieser Ansatz basiert auf der Überlegung, dass der Staat eine bestimmte Summe in die Bildung der einzelnen SchülerInnen investiert. Diese Summe ließe sich natürlich auch bei privaten Bildungseinrichtungen einlösen. Es wird suggeriert, Eltern und Studierende sollten die Wahl erhalten zwischen öffentlicher und privater Einrichtung. Wahrscheinlich würde die festzulegende Summe allerdings nur einem durchschnittlichen Wert entsprechen, der die Kosten nicht für alle Studienfächer und sämtliche Einrichtungen abdeckt. Im Ergebnis würden so private Einrichtungen subventioniert - zu Lasten der öffentlichen Einrichtungen, denen das Geld fehlen würde.

Es liefe auf eine "Zwei-Klassen-Bildung" hinaus: Die einen müssten mit dem durchschnittlichen Bildungsbetrag auskommen (oder bekämen keinen Abschluss). Die anderen könnten sich eine "Extra-Portion" Bildung leisten. In der Konsequenz erschwert das GATS den Zugang zu Bildung für Arme - und Frauen, denn bei der Wahl, wer das "Extra" an Bildung bekommt, entscheiden sich die meisten Familien(väter) leider für den Sohn, nicht für die Tochter.
Den öffentlichen Unis wird gern das vermeintliche Schlaraffenland der privaten Unis gegenüber gestellt, in denen die DozentInnen für die Studierenden da sind, die Bibliotheken rund um die Uhr geöffnet haben usw. Untersuchungen zeigen jedoch, dass die Ergebnisse derer, die an privaten Universitäten studiert haben, nicht besser sind als jene derer, die staatliche Universitäten besucht haben.

Bildung als Menschenrecht

Die GegnerInnen des GATS argumentieren, Bildung sei geistige Nahrung. Sie ist für unseren Geist genauso wichtig wie Essen, Trinken und gegebenenfalls Medizin für unseren Körper. Deshalb ist sie als ein menschliches Grundrecht anerkannt. Bildung schließlich prägt die menschliche und soziale Entwicklung und öffnet neue Horizonte. Sie ebnet den Weg zur Gleichheit aller Menschen, unabhängig von Geschlecht, ethnischer Herkunft, Religion etc., stärkt die Produktivität des/der einzelnen, seine/ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt und damit die wirtschaftliche Entwicklung der Gesellschaft. Somit ist Bildung nicht nur privates, sondern gerade auch öffentliches Gut.
Die Bedeutung von Bildung für soziale und wirtschaftliche Entwicklung, kulturelle Werte und eine lebendige Demokratie ist anerkannt. So sind die meisten Staaten bemüht, allen BürgerInnen zumindest eine Grundbildung zu ermöglichen. Die Rate der AnalphabetInnen soll sinken. In Deutschland ist es erklärtes politisches Ziel, die Anzahl der Studierenden zu erhöhen. Auch Armen bzw. weniger Wohlhabenden und Frauen soll der Zugang zu allen Bereichen der Bildung und Wissenschaft möglich sein.

Trotzdem wird gerade im Bildungswesen massiv gekürzt. Die staatlichen Kürzungen sollen durch private Investitionen ausgeglichen werden. Dabei wird darüber hinweggegangen, dass der Staat bestimmte Dienste garantieren muss, die nicht marktförmig sind, aber sozial, gesellschaftlich und politisch unerlässlich. Dazu gehört die Bildung. Das GATS definiert diese Art der Dienste allerdings als "weder zu kommerziellen Zwecken noch im Wettbewerb mit einem oder mehreren anderen Dienstleistungserbringern erbracht" (Art. 1, Abs. 3 (c)). Da es im Bildungssektor auch private Einrichtungen gibt, die im Wettbewerb zu den öffentlichen stehen, der Bildungssektor also "teilprivatisiert" ist, bleibt er nicht vom GATS verschont.

GATS - zu wessen Diensten?

Bildung wird oft als "Investition" beschrieben. Damit wird unterstellt, dass das, was (finanziell) investiert wird, sich später (finanziell) auszahlen würde. Dies ist jedoch irreführend, denn die Rechnung geht für die/den einzelneN nicht unbedingt auf, z.B. wenn das Erlernte (bewusst) nicht profitorientiert, sondern im Rahmen gesellschaftlichen Engagements angewandt wird.
Für die Gesellschaft wäre es gravierend, gäbe es auf einmal nur noch wenige oder keine studierten MedizinerInnen, ArchitektInnen oder auch KunsthistorikerInnen mehr. Ohne dass der Staat Aufgaben wie Bildung übernimmt, würde er sich letztlich selbst in Frage stellen. Selbst wenn also Teile des Bildungswesens in privater Hand sind, müssen Parlament und Regierung in der Lage sein, das Bildungswesen zu regulieren.
Unternehmen haben zwei zentrale Gründe, sich im Bildungswesen zu engagieren. Zum ersten sind sie in unserem Informations- und Technologiezeitalter auf eine (aus)gebildete Schicht angewiesen, aus der sie Angestellte rekrutieren können. Zum zweiten verspricht der Bildungsmarkt ein lukratives Geschäft zu werden.

Globale und schwer reversible (Mindest-)Regeln durch das GATS böten ausländischen InvestorInnen Planungssicherheit und mehr Profit. Es sind v.a. große transnationale Dienstleistungsunternehmen, in deren Interesse das GATS liegt und die sich dafür stark machen. Die EU-Mitgliedstaaten und die USA betrachten das GATS in diesem Sinne als Abkommen, das hilft, das Exportpotential ihrer Dienstleistungsbrachen noch mehr zu erschließen.
Angesichts der Sensibilität des Bildungsbereichs haben bisher nur wenige Staaten ihr Bildungssystem zur Liberalisierung angeboten. Selbst wenn die Entscheidung zur Kommerzialisierung des Bildungswesens getroffen wurde und private Einrichtungen im Land vorhanden sind, so stünden sie durch die Liberalisierung des Bildungsmarktes in Konkurrenz zu ausländischen Bildungsunternehmen. Eine Liberalisierung des "Bildungsmarktes" muss also noch nicht einmal wirtschaftliche Vorteile bringen. Eine individuelle und auf das jeweilige Land zugeschnittene Liberalisierung ist, wenn überhaupt, besser geeignet, Defiziten zu begegnen, als eine Allround-Liberalisierung unter GATS.
Auf jeden Fall bedarf es einer breiten gesellschaftlichen Debatte über die Zukunft der Bildung: Wie lässt sich der Zugang zu Bildung für alle, nicht nur für eine kleine "Elite" garantieren? Wie kann Bildung zum Gewinn für die Gesellschaft, nicht nur für einige wenige werden? Bei den WTO-Verhandlungen gilt es, Demokratie und Transparenz einzuklagen. Wenn so grundlegende Entscheidungen wie durch das GATS für die Bildung getroffen werden, darf dies nicht unter Ausschluss der Öffentlichkeit geschehen.

Lena Partzsch hat Politikwissenschaften studiert.

Links:

www.wto.org
www.gats-kritik.de
www.attac-netzwerk.de/uni/
www.gute-bildung.de
www.education-is-not-for-sale.org
www.gatswatch.org/stopGATS.html