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Anwalts Liebling   Heft 3/2004
Dataismus -
eine Gesellschaft überwacht sich selbst

Seite 105
 
 

"Dem Führer und Reichskanzler gilt der unauslöschliche Dank der deutschen Anwaltschaft für das Reichsgesetz zur Verhütung von Missbräuchen auf dem Gebiete der Rechtsberatung." Ein solches Pfründengesetz wäre, so führte der stellvertretende Reichsjuristenführer Raeke in der Juristischen Wochenschrift von 1936 aus, "im marxistisch-liberalistischen Parteienstaat eine völlige Unmöglichkeit gewesen [und] konnte nur auf dem festen Boden nationalsozialistischer und berufsständischer Weltanschauung entstehen".
Mit dem so genannten Rechtsberatungsgesetz (RBerG) wurde auf Empfehlung des Bundes Nationalsozialistischer Deutscher Juristen 1935 die Rechtsberatung nur AnwältInnen sowie Personen, denen die behördliche Erlaubnis dazu erteilt worden war, vorbehalten. Die Nazis zielten mit dem Verbot auf all jene JustizbeamtInnen und RechtsanwältInnen, die bereits 1933 wegen ihrer jüdischen Herkunft oder ihrer missbilligten politischen Haltung aus ihren Berufen verjagt worden waren, sich aber weiterhin um die juristischen Belange anderer LeidensgenossInnen kümmerten.

Obgleich der Alliierte Kontrollrat nach Ende der nationalsozialistischen Herrschaft vorgab, sämtliche Nazi-Gesetze zu löschen, blieb das RBerG im wesentlichen erhalten. Lediglich die entsprechende Ausführungsverordnung, wonach Juden und Jüdinnen die Erlaubnis zur Rechtsbesorgung nicht erteilt werden durfte, wurde gestrichen. Noch heute gilt damit die unentgeltliche altruistische Rechtsberatung als verboten.
Es nimmt daher nicht Wunder, dass auch der diskriminierende Gehalt des Gesetzes erhalten geblieben ist. Während RichterInnen für kostenlose juristische Ratschläge an Verwandte und Bekannte höchst selten belangt werden, werden Menschenrechtsorganisationen oder Selbsthilfegruppen regelmäßig nach dem Gesetz verfolgt. Immer wieder lassen Behörden die Staatsanwaltschaften Bußgeldverfahren gegen Personen einleiten, die etwa Flüchtlingen, Kriegsdienstverweigerern oder Sozialhilfeberechtigten in rechtlichen Fragen beistehen und dabei unbequeme Kritik an Vorgängen in deutschen Ämtern äußern.
Eine grundlegende Neufassung des Rechtsberatungsgesetzes scheiterte bisher nicht zuletzt am Widerstand der Anwaltszunft, die um ihr lukratives Monopol fürchtet. Die entscheidende Chance zur Reform könnte nun mit dem Bestreben des EU-Wettbewerbskommissars kommen, bei dem sich die in ihren ökonomischen Interessen tangierten Versicherungen und Banken beschwerten. Das Gesetz verstoße gegen die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit und das europäische Wettbewerbsrecht. Im September will das Bundesjustizministerium einen entsprechenden Gesetzesentwurf vorlegen.

Stephen Rehmke, Hamburg

Infos: www.rechtsberatungsgesetz.info