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Abgehörte Selbstgespräche dürfen in Strafprozessen nicht zu Beweiszwecken
verwertet werden. Dies entschied am 10. August 2005 der 1. Strafsenat
des Bundesgerichtshofes (BGH). Dem Grundsatzurteil lag die Entscheidung
des Bundesverfassungsgerichts vom 3. März 2004 zum "Großen Lauschangriff"
zugrunde, wonach selbst zur Aufklärung von Schwerstkriminalität keine
"Erkenntnisse aus dem Eingriff in den absolut geschützten Kernbereich
privater Lebensgestaltung" im Strafprozess verwertet werden dürfen.
In dem vom BGH entschiedenen Fall hatte das Landgericht München einen
46-jährigen Mann wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt.
Er war verdächtigt worden, 1998 einen schlafenden Landwirt erschlagen
zu haben. Aufgrund neuer Verdachtsmomente wurde viereinhalb Jahre später
sein Einzelzimmer in einer Rehabilitationsklinik mit Wanzen überwacht.
Dort führte er ein Selbstgespräch, in dem er unter anderem die Worte:
"Sehr aggressiv! In Kopf hätt i eam schießen sollen." äußerte. Hieraus
hatte das Landgericht den Schluss gezogen, dass der Mann sich Gedanken
über eine alternative Tötungsart gemacht habe, und diese Erkenntnis bei
der Verurteilung verwandt.
Der BGH befand jedoch, ein Selbstgespräch in einem Krankenhauszimmer sei
dem "Kernbereich privater Lebensgestaltung" aufgrund der vom Grundgesetz
geschützten Unverletzlichkeit der Wohnung in Verbindung mit dem Schutz
der Menschenwürde und dem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit
zuzurechnen. Er stellte klar, dass Selbstgespräche anders zu behandeln
seien als Zwiegespräche oder auch Tagebucheinträge. Bei letzteren müsse
man immer damit rechnen, dass die Äußerungen Dritten zugänglich sein könnten.
Dies sei bei einem Selbstgespräch, welches die Verteidiger des Angeklagten
als "Denken der Seele" beschworen, anders.
Trotzdem lies der BGH mehrere Rechtsfragen offen. Die Richter beriefen
sich bei ihrer Entscheidung auf eine "Kumulation mehrerer Umstände" im
speziellen Fall; vor allem die Interpretationsbedürftigkeit des Selbstgesprächs
habe eine Rolle gespielt. Es hieß, die Bewertung könne bei einem Selbstgespräch
mit "eindeutigem Bezug zu einer Straftat" anders ausfallen. Diese Einschätzung
widerspricht jedoch der in der Urteilsentscheidung getroffenen Feststellung,
dass der laut geäußerte Gedanke zum absolut geschützten Kernbereich privater
Lebensgestaltung gehöre. Außerdem stellt sich die Frage, ob ein Selbstgespräch
nicht immer bis zu einem gewissen Grad interpretationsbedürftig ist. Der
BGH versäumte zudem seine Chance klarzustellen, ob das Abhören in einem
Krankenzimmer bei einem Gespräch mit einem Angehörigen abgebrochen werden
muss oder verwertet werden kann. Zur Klärung dieser Fragen bleiben weitere
Urteile zum "Großen Lauschangriff" abzuwarten.
Almut Peters, Freiburg
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