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  Tobias Singelnstein / Fabian Singelnstein   Forum Recht Home

 

"Taten gegen die höchsten Schichten der Gesellschaft werden besonders hart bestraft"   Heft 1/2006
Medien und Meinungsmacht

Seite 20-23
Ein Interview mit Augustín Jiménez Cuello, dem Präsidenten der kolumbianischen Stiftung Komitee der Solidarität mit den politischen Gefangenen  
 

Augustín Jiménez Cuello ist Präsident der Stiftung Komitee der Solidarität mit den politischen Gefangenen CSPP (Comité de Solidaridad con los Presos Políticos). Die Organisation ist die älteste Nichtregierungsorganisation Kolumbiens und kümmert sich seit 30 Jahren um Personen, die aus politischen Gründen verfolgt werden oder inhaftiert sind. Angesichts der politischen Situation in Kolumbien sind davon keineswegs nur Guerilleros betroffen, sondern quasi alle sozialen und politischen Organisationen: Gewerkschaften, kommunale Kooperativen und Indigena-Organisationen sind einige davon. Wir trafen den 40jährigen Rechtsanwalt zu diesem Interview Ende 2004 in Bogotá.

Sozialer Konflikt, Aufstandsbewegung, Repression

In der europäischen Wahrnehmung wird mit Kolumbien meist Drogen und Bürgerkrieg assoziiert, ohne dass eine differenzierende Betrachtung des lateinamerikanischen Landes stattfinden würde.1 Kolumbien ist etwa drei Mal so groß wie die Bundesrepublik und hat ca. 40 Millionen Einwohner. Und: es ist ein reiches Land. Dies betrifft nicht nur Bodenschätze wie Erdöl, Edelsteine und verschiedene Metallerze, darunter Gold, sondern auch sonstige natürliche Ressourcen. Vom Regenwald über Karibikküste bis hin zum Hochgebirge der Anden hat das Land zwischen Panama, Venezuela, Peru und Equador nahezu alle Klimazonen zu bieten und weist u. a. deswegen mit die höchste Biodiversität der Welt sowie sehr hohe Exportzahlen bspw. in den Bereichen Kaffee und Schnittblumen auf.
Nichtsdestotrotz sind die sozialen Verhältnisse in dem präsidialdemokratisch regierten Nationalstaat verheerend. Der Reichtum des Landes kommt einer kleinen Oligarchie und transnationalen Konzernen zugute, die zudem die kostengünstigen Produktionsbedingungen ausnutzen. Währenddessen lebt die große Mehrheit der Bevölkerung in ärmlichen Verhältnissen: Nach gewerkschaftlichen Angaben leben 55 Prozent der Einwohner in Armut, 20 Prozent in absolutem Elend; 50 Prozent haben keine Sozialversicherung, eine Million Familien ist obdachlos und 15 Prozent der Haushalte verfügen nicht über einen Trinkwasseranschluss.2 Diese extremen Widersprüche kann man in den großen Städten des Landes konkret beobachten: Während bspw. im Norden Bogotás ein zweites Zentrum entstanden ist, um das sich die reichen Wohnviertel unter dem Schutze zweier dort ansässiger Militärstützpunkte gruppieren, breiten sich nach Süden hin die Viertel der ärmeren bis sehr armen Bevölkerungsmehrheit aus. Während man im Norden am Wochenende durch die Parks und Straßen flaniert, die sich nicht wesentlich von anderen der westlichen Welt unterscheiden und wo Militärpolizei zum Schutz an jeder Ecke steht, errichten sich die armen Bevölkerungsschichten im Süden Hütten und einfache Häuser und kämpfen um den Anschluss dieser so entstehenden neuen Viertel an Strom und Wasser. Im alten Zentrum der Millionenmetropole treffen diese Widersprüche aufeinander, wenn die Wohlhabenden sich dort zum Arbeiten und Ausgehen treffen, während sich nebenan die allgegenwärtigen Obdachlosen gegenseitig um das bisschen Essen schlagen, das sie ergattern konnten.
Dieser soziale Konflikt durchzieht die gesamte kolumbianische Gesellschaft und zeigt sich insbesondere im Bestehen der seit Jahrzehnten kämpfende Guerilla-Gruppierungen, die angesichts der Verhältnisse radikale soziale Veränderungen einfordern. Die herrschende Oligarchie beantwortet den sozialen Protest mit Repression statt mit Veränderungen. Diese Antwort trifft keineswegs nur die bewaffnet kämpfenden Gruppen, sondern seit jeher alle ProtagonistInnen dieses Widerstands, alle sozialen Bewegungen, wie z. B. auch Gewerkschaften, Campesino- und Studentenbewegung die für einen sozialen Wandel eintreten und hat sich seit dem Regierungsantritt des gegenwärtigen Präsidenten Uribe eher verschärft. Opposition bedeutet daher in Kolumbien etwas vollkommen anderes als bspw. in den meisten europäischen Ländern: Wer sich für einen grundlegenden sozialen Wandel einsetzt, riskiert als politische/r Gefangene/r für Jahre im Gefängnis zu verschwinden, vertrieben zu werden oder als Opfer einer extra-legalen Hinrichtung zu enden. In keinem anderen Land Südamerikas wird die Zivilbevölkerung derart terrorisiert wie in Kolumbien, "sind die Spielräume für eine legale Opposition so klein wie hier".3 Amnesty International verfügt laut seinem "Informationsdokument über die Republik Kolumbien für das UNO-Komitee gegen Folter" vom November 2003 über Informationen, "die auf generalisierte Folterpraktiken der Sicherheitskräfte und der ihnen verbündeten Paramilitärs" hinweisen. Und: "Nur in sechs Gefängnissen werden die internationalen Normen beachtet". Dabei handelt es sich im Kern um einen sozialen Konflikt, um den Krieg gegen die Bevölkerungsmehrheit, der von einer besitzenden Minderheit geführt wird, die ihre alten Privilegien erhalten will.4 Für beide Probleme, die so oft mit Kolumbien assoziiert werden gilt: Ohne grundlegende soziale Veränderungen wird es weder Frieden, noch eine Lösung des Konflikts um die Drogen geben.

Juristische Tätigkeit in Kolumbien

Vor diesem gesellschaftlichen Hintergrund ist auch die Tätigkeit als JuristIn eine gänzlich andere als bspw. in Europa. Dies betrifft zum einen das berufliche Selbstverständnis. Für nicht wenige Studierende der Rechtswissenschaft sowie insbesondere auch RechtsanwältInnen stellt die juristische Tätigkeit in ganz besonderem Maße eine emanzipative Perspektive, einen Weg gesellschaftlicher Veränderung dar. Schließlich besteht ein wesentlicher Teil der Aufgaben darin, die Rechte von Individuen und Gruppierungen einem Staat gegenüber einzuklagen, der sich in weiten Teilen nicht an seine eigenen Gesetze hält. Insofern sind die Tätigkeit als JuristIn und das Engagement für einen grundlegenden sozialen und gesellschaftlichen Wandel keineswegs ein Widerspruch, sondern entsprechen sich vielmehr mitunter.
Soweit JuristInnen in diesem Sinne für die sozialen Bewegungen in Kolumbien tätig sind, unterliegen sie andererseits auch ganz anderen Arbeitsbedingungen und sind Bedrohungen und Angriffen bis hin zum Mord ausgesetzt - auch wenn es sich um ein renommiertes Anwaltsbüro handelt. Einige AnwältInnen haben ihr Engagement für Menschenrechte, sozialen Wandel und Gerechtigkeit mit dem Leben bezahlt.

Interview:

Agustín, Sie sind Präsident der Stiftung Komitee für die Solidarität mit politischen Gefangenen. Wie sieht die Arbeit des Komitees aus?

Agustín: Das CSPP (Comité de Solidaridad con los Presos Políticos) ist mit 31 Jahren die älteste Nichtregierungs-Organisation Kolumbiens. Wir beschäftigen uns mit politischen Gefangenen und begleiten Menschen, deren Menschenrechte verletzt wurden, um Gerechtigkeit, Wahrheit und Schadenersatz zu erreichen. Dabei arbeiten wir mit nationalen und internationalen Menschenrechtsorganisationen zusammen, damit die Täter bestraft werden. Gleichzeitig leisten wir kontinuierlich Arbeit in Gefängnissen und haben Anwälte, die aus politischen Gründen inhaftierte Personen vertreten, und versuchen, die sozialen Bewegungen und Menschenrechtsorganisationen zusammenzuführen, um kraftvoller an den Staat Forderungen stellen zu können. Wir arbeiten als Vermittler gegenüber der Regierung, um bessere Bedingungen für die Verteidigung der Menschenrechte zu schaffen, auch auf internationaler Ebene. Schließlich haben wir auch eine Forschungsabteilung, die sich mit den Themen Gefängnis, sozialer Rechtsstaat, Kriminalpolitik und Justiz beschäftigt. Dabei arbeiten wir auch auf internationaler Ebene.

Wer sind für das Komitee alles politische Gefangene und wie viele gibt es?

Agustín: Wir betrachten diejenigen als politische Häftlinge, die aufgrund ihrer bewaffneten Opposition gegen die Regierung inhaftiert wurden. Dieser bewaffnete Konflikt ist politisch. Darüber hinaus betrachten wir auch alle inhaftierten Personen als politische Häftlinge, die nur deswegen angeklagt wurden, weil sie - insbesondere die Bauern - in Gebieten leben, in denen die Guerilla tätig ist. Diese Anklagen haben ebenso einen politischen Charakter, wie auch solche gegen Vertreter politischer und sozialer Organisationen, die beschuldigt werden, zu aufständischen Gruppen zu gehören, um ihre Arbeit zu behindern und zu zerstören.
Uns liegen zwar keine genauen Statistiken über Verurteilte vor, aber es gibt etwa 6.200 politische Häftlinge in Kolumbien. Derzeit erfasst eine Welle willkürlicher Massenverhaftungen Kolumbien, was ein großes neues Problem darstellt. Viele dieser Leute haben noch nie über Politik geredet und viele ihrer Familien geraten in eine schlimme Situation.

Aber es geht um sehr unterschiedliche Anklagen?

Agustín: Ja. Die Anklagen wegen Rebellion5 oder Aufstand machen etwa 30 Prozent aus, der Rest wird wegen Aufruhr bzw. Verschwörung und anderen Delikten angeklagt. Wieder andere werden wegen mit Rebellion zusammenhängenden Delikten angeklagt, wie zum Beispiel Entführung, illegaler Waffenbesitz etc.

Wie werden die politischen Häftlinge behandelt?

Agustín: Vor allem seitdem Uribe an der Macht ist, wird die Situation schlechter. Er ist mit dem Programm angetreten, strengere Haftbedingungen durchzusetzen, um das Verbrechen zu bekämpfen. In diesem Zusammenhang verbreitet die Regierung Uribe auch die Parole, die Behandlung der politischen Häftlinge müsse schlechter sein, weil sie Terroristen und nicht politische Häftlinge seien. Also werden sie nicht nur in die schlechtesten Gefängnisse gebracht, sondern dort auch noch unter schlechteren Bedingungen inhaftiert, als die anderen Gefangenen. Glücklicherweise ist es uns gelungen, die Lage einiger Gefangenen mittels unserer Arbeit zu verbessern. So haben wir zum Beispiel Strafanzeige bei der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte erstattet. Diese war es auch, die im vergangenen Jahr eine einstweilige Maßnahme zugunsten der Häftlinge in Palo Gordo in Bucaramanga beschloss, und so die Regierung auforderte, die politischen Gefangenen in einem eigenen Gefängnishof unterzubringen, um sie von den Paramilitärs zu trennen.

Wie sieht die Arbeit in den Gefängnissen aus? Kann das CSPP die Situation der Gefangenen beeinflussen?

Agustín: Wir besuchen die Gefängnisse regelmäßig, um vor allem die Situation der aus politischen Gründen inhaftierten Personen zu überprüfen, sie zu begleiten und ihnen zu helfen, sich zu organisieren. Damit wollen wir ihnen helfen, in einer Umwelt solidarisch miteinander sein zu können, die gefährlich ist, weil sie zusammen mit anderen Strafgefangenen und sogar mit Paramilitärs gefangenen sind. Mit dieser Organisierung erreichen wir gleichzeitig eine Art der Organisation aller Häftlinge überhaupt. Außerhalb der Gefängnisse arbeiten wir in Menschenrechtskomitees, die alle Gefangenen vertreten, um einige Änderungen am System zu erreichen, um die Situation sowohl der politischen als auch der anderen Gefangenen zu verbessern. Bei anderen sozialen Organisationen versuchen wir, soziale Solidarität mit den politischen Gefangenen zu wecken, damit sich die sozialen Organisationen um sie kümmern.

Wie oft können Sie die Gefangenen besuchen?

Agustín: Die Besuche hängen von der Gefängnisdirektion und von der Regierung ab. Normalerweise, wenn es keine Schwierigkeiten gibt, haben wir die Möglichkeit, alle 15 Tage das Gefängnis zu betreten; wenn es Schwierigkeiten gibt, nur einmal im Monat. Außerdem hängt die Häufigkeit der Besuche auch davon ab, ob wir eine Sektion in der Nähe des Gefängnisses haben. Nach Cómbita in Tunja können wir zum Beispiel nur einmal im Monat gehen, nicht wegen Problemen mit der Direktion, sondern weil wir aus Bogotá keine anderen Möglichkeiten haben.

Wie lang sind die Strafen?

Agustín: Bei Anklagen wegen Rebellion zwischen sechs und zwölf Jahren, je nachdem wie wichtig der Angeklagte innerhalb der Struktur der Guerilla ist: Wenn er ein Kommandant ist, erhält er eine Strafe von sieben bis neun Jahren, wenn er nur der Basis gehört, erhält er eine Strafe von sechs bis sieben Jahren. Aber Delikte, die mit Rebellion zusammenhängen, werden viel härter bestraft: Wegen Entführung kann man 30 Jahre bekommen und es gibt einen Vorschlag der Regierung, den Strafrahmen auf 60 Jahre zu erweitern. Wegen Terrorismus oder Unterstützung des Terrorismus erhält man 15 bis 25 Jahre. Außerdem werden die Strafen für die einzelnen Delikte kumulativ behandelt.

Ist es wahr, dass die Strafe wegen Entführung höher ist als die wegen Mordes?

Agustín: Nicht zur Zeit. Früher, ungefähr zwischen 1998 und 2000, wurde Entführung mit bis zu 60 Jahren bestraft, Mord nur mit 30 Jahren. Dies offenbarte die Funktion des Strafrechts, Taten, die die höchsten Schichten der Gesellschaft betreffen, besonders hart zu bestrafen.

Wie lange dauern die Prozesse?

Agustín: Eigentlich dauert ein Prozess wegen Rebellion etwa sechs Monate Ermittlungs- plus sechs Monate Gerichtsverfahren, weil die normale Justiz dafür zuständig ist. Viele dieser Verfahren dauern aber wegen der Taktiererei der Staatsanwälte und Richter auch länger als ein Jahr. Bei anderen Straftaten, wie Terrorismus und Entführung, beträgt die Zeit des Ermittlungsverfahrens etwa ein Jahr und die des Gerichtsverfahrens noch mal ein Jahr, oft werden daraus aber auch zweieinhalb oder gar drei Jahre. Währenddessen sitzt der Angeklagte ohne Urteil im Gefängnis.

Werden bei den Prozessen rechtsstaatliche Standards eingehalten?

Agustín: Zum Glück abgeschafft wurde ein Gesetz, das "gesichtlose" Staatsanwälte und Zeugen erlaubte,6 so dass die Möglichkeiten der Verteidigung stark eingeschränkt waren: Man durfte nicht mit dem Staatsanwalt reden und die Identität von Zeugen konnte geheim gehalten werden. Hinzu kam die Regel der gesichtlosen Richter, was die Lage noch schlimmer machte. Das hat sich geändert, was uns viel mehr Möglichkeiten für die Verteidigung gegeben hat.
Normalerweise versuchen wir in solchen Prozessen zu beweisen, dass keine Beweise vorliegen, um die Personen zu verurteilen. Bei den im Kampf Festgenommenen versuchen wir, dass sie nur wegen Rebellion angeklagt werden. Denn wenn jemand wegen Rebellion irgendwo festgenommen wurde, wo zur selben Zeit fünf Entführungen begangen wurden, dann werden ihm diese zugerechnet und er auch deswegen angeklagt. In anderen Fällen, wie zum Beispiel bei Prozessen gegen Vertreter sozialer Organisationen oder nicht im Kampf festgenommener Personen, überprüfen wir die Wahrhaftigkeit der Zeugnisse, indem wir die Zeugen befragen, um zu zeigen, dass sie die Angeklagten oft nicht einmal kennen. Im Fall von Hernando Hernández beispielsweise sagte jemand aus, ihn zu einer gewissen Zeit an einem gewissen Ort gesehen zu haben, als Hernández jemandem 25 Millionen7 für die Operation eines Kommandanten übergab. Wir konnten mittels Videos und Unterlagen der spanischen Einwanderungsbehörde beweisen, dass Hernández sich zu jenem Zeitpunkt in Madrid befand.
In diesem Zusammenhang versuchen wir auch zu beweisen, dass viele Zeugen keine Zeugen sind, sondern Informanten der Armee. So können wir viele Anklagen gegen Vertreter politischer und sozialer Organisationen zu Fall bringen. Sehr oft müssen wir demonstrieren, dass ein Beweis falsch ist, obwohl er "technisch" zu sein scheint. Dabei suchen die Staatsanwälte ständig neue Formen, um Leute zu überführen, so dass wir uns rasch anpassen müssen. 2005 wird sich die Situation dramatisch ändern, weil das "mündliche Verfahren" eingeführt wird - etwas von Amerikanern und hiesiger Staatsanwaltschaft Ausgeklügeltes, um das System wirksamer, aber repressiver zu machen. Diese Gesetzesänderungen stärken die Staatsanwaltschaft und beseitigen Verteidigungsmöglichkeiten, und wir bereiten gerade eine Klage gegen dieses Gesetz vor.

Gibt es Schadensersatz für Leute, die im Gefängnis saßen und deren Unschuld bewiesen werden konnte?

Agustín: Die Verfassung garantiert das Recht auf Schadenersatz: Verletzt der Staat meine Rechte, dann kann ich ihn beim Verwaltungsgericht auf Schadenersatz verklagen. Oft versuchen Richter allerdings, eine solche Entscheidung zu vermeiden, indem sie sagen, der Angeklagte hätte Anlass zu einem fundierten Verdacht gegeben, aber man hätte keine Beweise finden können. Trotzdem ist es uns schon gelungen, dass der Staat verurteilt und dem Angeklagten Schadenersatz zuerkannt wurde. Dies hat aber keine politische Bedeutung: Der Staat zahlt zwar, bekennt aber nicht seinen Fehler.

Sind die Prozesse gegen die politischen Gefangenen anders als sonstige Prozesse?

Agustín: Bei Prozessen wegen Rebellion ist die normale Justiz zuständig, während bei mit Rebellion verbundenen Delikte die Sonderjustiz zuständig ist. Indes wird heutzutage fast niemand nur der Rebellion angeklagt, sondern normalerweise wird man zusätzlich eines mit Rebellion verbundenen Deliktes angeklagt, damit die Sondergerichtsbarkeit zuständig wird. Bei solchen Verfahren handelt die Staatsanwaltschaft total gegen den Angeklagten und hat eine klare Absicht, ihn zu verurteilen. Es gibt sehr wenige Staatsanwälte, die die Beweise wirklich überprüfen. 2004 zum Beispiel klagte ein Staatsanwalt in erster Instanz einen Gewerkschaftler der Erdölgewerkschaft USO (Unión Sindical Obrera) an. Als sich später, zu einem Zeitpunkt von internationalem Druck, ein anderer Staatsanwalt mit dem Fall beschäftigte, nannte er dies einen Fehler und sagte, es hätte sich um eine ungerechte Verfolgung gehandelt und es hätte keinen Grund zur Ermittlung gegeben. Jetzt warten wir darauf, was der Richter entscheidet, weil auch die Generalstaatsanwaltschaft gesagt hat, es handele sich um ungerechte Verfolgung.
Unsere Probleme mit der Staatsanwaltschaft sind also sehr gravierend: Sie befolgt die Befehle der Regierung, anstatt unabhängig zu sein und zu garantieren, dass die Prozesse richtig geführt werden. Wo wir eine Möglichkeit sehen und einige Erfolge erreicht haben, ist bei den Richtern. Sie bewahren eine von der Regierung unabhängigere Haltung, die aber nicht bedingungslos ist. Nach wie vor gibt es eine Gruppe von Richtern, die der Regierung sehr treu sind. Der größte Unterschied zwischen Anklagen wegen politischer und Anklagen wegen anderer Delikte ist die Haltung, die Staatsanwälte und Richter einnehmen. Es gibt mehr Strenge, Beweise werden manipuliert, die Verteidigung erschwert. Glücklicherweise weiß unsere Stiftung mit ihrer langjährigen Erfahrung, wie mit diesen Problemen umzugehen ist und wie man politischen Druck ausüben kann. Aber die Lage ist ziemlich schwierig.

Wie ist die finanzielle Situation des Komitees?

Agustín: Die Finanzierung ist kompliziert, vor allem weil wir uns in einer Zeit des globalen Kampfes gegen den "Terrorismus" befinden, was einen sehr großen Druck auf Organisationen wie die unsere verursacht hat. Unsere Arbeit ist zwar sehr eindeutig juristisch und wir haben immer öffentlich gezeigt, dass uns die Tatsache, politische Häftlinge zu verteidigen, nicht zu Anhängern ihrer Ideen macht. Wir haben eine autonome und unabhängige Haltung bewahrt und fordern auch von der Guerilla die Einhaltung der universalen Menschenrechte. Aber obgleich wir dank dieses konsequenten Verhaltens unsere Finanzierung behalten konnten, mussten wir dieses Jahr wegen der Massenverhaftungen drei neue Anwälte verpflichten, weswegen wir in eine schwierige finanzielle Lage gerieten. Momentan bin ich dabei, einige Leute um mehr Unterstützung zu bitten, weil wir sonst dieses Jahr nicht alles werden machen können, was wir wollen.

Was sind Ihre zentralen Forderungen?

Agustín: Wir haben viel von der Regierung gefordert, zum Beispiel ein menschlicheres System für alle Häftlinge und eine besondere Behandlung für politische Gefangene. Wir haben viel Druck ausgeübt. Aber dies ist keine gute Zeit, weil die Regierung alles erschwert. Dennoch ist es uns gelungen, dass die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte das Recht der politischen Inhaftierten anerkannt hat, wie solche behandelt zu werden. Außerdem verlangen wir vom Staat eine demokratische Kriminalpolitik, also dass sie diese Justiz abschafft, die nichts anderes macht, als die Situation der politischen Gefangenen zu verschlimmern, indem sie ihnen die Gleichheit vor dem Gesetzt nicht garantiert. Wenn der Staat die Rebellion als normales Delikt betrachtet, dann soll er die politischen Gefangenen genauso behandeln, wie die anderen. Weiterhin haben wir dafür gekämpft, dass die Menschenrechtsgesetzgebung erweitert statt angegriffen wird, dass die sowohl von der Verfassung als auch von den internationalen Abkommen anerkannten Menschenrechte gelten. Dafür arbeiten wir zusammen mit anderen Organisationen.

Tobias Singelnstein hat in Berlin Jura studiert und promoviert dort, Fabian Singelnstein lebt und arbeitet als Tischler in Bogotá, Kolumbien.

Anmerkungen:

1 Vgl. Braig , Forum Recht 2005, 129 ff.
2 Azzellini, Dario / Zelik, Raul, Kolumbien - Große Geschäfte, staatlicher Terror und Aufstandsbewegung, 2. Aufl. 2000, 9.
3 Azzellini / Zelik, a. a. O., 10: "In Kolumbien ist es (...) gefährlicher, eine Gewerkschaft aufzubauen als eine Guerillaorganisation."
4 Azzellini / Zelik, a. a. O., 10 ff mit konkreten Beispielen und Zahlen.
5 Dabei handelt es sich um einen Straftatbestand, der die Mitgliedschaft in den bewaffneten oppositionellen Gruppen erfassen soll, nach dem zunehmend aber auch AktivistInnen der sozialen Bewegungen angeklagt und verurteilt wurden. Vergleichbar dem deutschen § 129a StGB ist dabei nicht der Nachweis einer Beteiligung an einer konkreten Tat notwendig, wenn die Mitgliedschaft als erwiesen betrachtet wird, und sieht die Norm einen hohen Strafrahmen vor. Bei einer Verurteilung wegen Rebellion ist eine vorzeitige Entlassung auf Bewährung nicht möglich und unterliegen die Betroffenen regelmäßig besonderen Haftbedingungen.
6 Diese Regelungen ermöglichten es der kolumbianischen Justiz, die Identität von ZeugInnen, RichterInnen und StaatsanwältInnen gänzlich geheim zu halten bis dahin, dass teilweise gar kein direkter Kontakt mehr möglich war.
7 Das entspricht etwa 8000 bis 9000 Euro.