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Politische Justiz   Heft 2/2006
Zwischen Wir und Ich:
Europäische Idee und nationale Interessen
Seite 69
 
 

"Ich habe nichts gegen Klassenjustiz; mir gefällt nur die Klasse nicht, die sie macht."
Kurt Tucholsky

Trittbettfahrer

Militarismus. Generalbundesanwalt Kay Nehm dürfte schwer genervt sein vom §80 Abs.1 Strafgesetzbuch (StGB), der da lautet: "Wer einen Angriffskrieg (Artikel 26 Abs.1 des Grundgesetzes), an dem die Bundesrepublik Deutschland beteiligt sein soll, vorbereitet und dadurch die Gefahr eines Krieges für die Bundesrepublik Deutschland herbeiführt, wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren bestraft."
Seit den Einsätzen deutscher SoldatInnen in den Kriegen gegen Jugoslawien oder Afghanistan hat die Bundesanwaltschaft kritischen JuristInnen oft genug durch die Blume mitteilen wollen, dass man schon gezielt und eigenverantwortlich ganz Europa in Schutt und Asche legen müsse, um sich nach obengenannten Paragrafen strafbar zu machen. Anders sind die Antworten auf die entsprechenden Strafanzeigen von Friedensorganisationen gegen Regierungsverantwortliche kaum zu verstehen. Die Anzeigen bleiben dennoch nicht aus. Anlass geben derzeit die neuen Erkenntnisse über die Beteiligung Deutschlands am Krieg gegen den Irak.
So haben jüngst die in der "Kooperation für den Frieden" zusammengeschlossenen Friedensorganisationen die verantwortlichen Mitglieder der ehemaligen Bundesregierung, u.a. Bundeskanzler Schröder und Außenminister Fischer, wegen des Verdachts der Beihilfe zum Angriffskrieg angezeigt, nachdem bekannt geworden war, dass die Kriegsunterstützung nicht nur passiv durch die Gewährung der Land- und Luftraumnutzung, sondern auch aktiv durch Beteiligung von BND-Agenten bei der Erfassung militärischer Ziele vorgenommen wurde. Gestützt hatte sich die Organisationen auf das Urteil des Leipziger Bundesverwaltungsgerichts vom Mai 2005 zur Gehorsamsverweigerung eines Bundeswehr-Majors, in welchem die BundesrichterInnen schwere völkerrechtliche Bedenken gegen den Irak-Krieg und dessen Unterstützung durch die Bundesregierung äußerten. Das Gericht führte damals zu Artikel 26 Grundgesetz aus: "Wenn ein Angriffskrieg jedoch von Verfassungs wegen bereits nicht ,vorbereitet' werden darf, so darf er nach dem offenkundigen Sinn und Zweck der Regelung erst recht nicht geführt oder unterstützt werden."
Auch in diesem Fall stellte die Bundesanwaltschaft klar, dass die Beteiligung an Angriffskriegen grundsätzlich folgenlos bleibt. Mit Schreiben vom 26. Januar 2006 teilte sie mit: "Nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift ist nur die Vorbereitung an einem Angriffskrieg und nicht der Angriffskrieg selbst strafbar, so dass auch die Beteiligung an einem von anderen vorbereiteten Angriffskrieg nicht strafbar ist. Folglich scheidet als möglicher Täter aus, wer sich erst bei oder nach Kriegsausbruch in das kriegerische Unternehmen einschaltet."
Auf die Frage, ob sich die Bundesregierung - auch wenn der Angriffskrieg als solcher straffrei gestellt wird - durch ihre umfassenden Hilfeleistungen hinsichtlich der Tatbestände des Völkerstrafgesetzbuches oder der Beihilfe zu Mord, Totschlag, schwerer Körperverletzung und Freiheitsberaubung schuldig gemacht habe, ging der Generalbundesanwalt nicht ein.
Das ist auch nicht nötig - die Antwort erschließt sich, wenn man unabhängig vom Wortlaut zwischen den Zeilen liest. (str)

Kriegsopfer

Nationalsozialismus. Am 23. November 2005 noch hatte das Sozialgericht Hamburg den ehemaligen SS-Rottenführer Walter F. die Kriegsversehrtenrente entzogen (Az.: S 30 V 4/03). Nach dem seit 1998 geltenden §1a Bundesversorgungsgesetz (BVG) sind Leistungen für die Zukunft ganz oder teilweise zu entziehen, wenn der Berechtigte während der Zeit des Nationalsozialismus gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechtstaatlichkeit verstoßen hat. Der SS-Mann war von 1940 bis 1943 an der Misshandlung und Liquidierung von Häftlingen im KZ Neuengamme beteiligt. 1944 wurde er an der Ostfront schwer verletzt und bezog seitdem eine Kriegsbeschädigtenversorgung. Ein Ermittlungsverfahren gegen ihn verlief - wie so viele in den 60er Jahren - im Sande.
Nur einen Tag später sah sich das Bundessozialgericht (BSG) veranlasst, diese Regelung einzuschränken. Danach darf die Kriegsopferversorgung nur versagt werden, wenn der NS-Täter Kriegsverletzungen im engeren Sinne begangen hatte. Geklagt hatte in diesem Fall ein heute 83-jähriger SS-Mann, der 1941 als Mitglied der Waffen-SS an ZivilistInnenerschießungen in Polen beteiligt gewesen war. Ihm sei die Kriegsopferrente zu Unrecht gestrichen worden, entschied das BSG (Az.: B 9a/9 V 8/03 R). (str)

Lehrstunde

Berufsverbote. Das Verwaltungsgericht Karlsruhe hat am 13. März das Berufsverbot für den linken Realschullehrer Michael Csaszkóczy bestätigt und damit dessen Klage gegen das Land Baden-Württemberg abgewiesen. Seit Anfang 2004 wird dem Heidelberger Pädagogen die Übernahme in den Schuldienst verweigert (siehe FoR 2006, 33). Wie die ehemalige Kultusministerin des Landes und jetzige Bildungsministerin Annette Schavan (CDU), auf welche die politische Entscheidung für das Berufsverbot zurückgeht, nimmt das Verwaltungsgericht in seiner Begründung Bezug auf die Mitgliedschaft Csaszkóczys in der als verfassungsfeindlich bezeichneten Antifaschistischen Initiative Heidelberg (AIHD). Diese erkenne eine "Kontinuität zwischen nationalsozialistischem Staat und der Bundesrepublik Deutschland", welche sie "militant" bekämpfen wolle, so das Gericht. Damit würden die Grenzen einer legitimen Kritik an dem Staat und seiner Verfassung weit überschritten. Die Bundesrepublik würde haltlos angegriffen und diffamiert - ließ das Karlsruher Verwaltungsgericht wissen - denn es sei, "geradezu das Kennzeichen unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung, dass sie mit der extrem autoritären, im Rechtswesen völlig willkürlichen und insgesamt menschenfeindlichen Staatsordnung des so genannten Dritten Reiches radikal gebrochen hat und eine in jeder Hinsicht gegenteilige Ordnung verwirklicht". (str)
(Urteil unter: www.gegen-berufsverbote.de)