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Abschussermächtigung ist verfassungswidrig   Heft 2/2006
Zwischen Wir und Ich:
Europäische Idee und nationale Interessen
Seite 66
 
 

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Februar 2006 ist die im Luftsicherheitsgesetz geregelte Abschussermächtigung für Passagierflugzeuge mit dem Grundgesetz unvereinbar und daher nichtig. Für diese Regelung fehle es bereits an einer Gesetzgebungsbefugnis des Bundes. Darüber hinaus sei sie unvereinbar mit dem Grundrecht auf Leben und der Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes (GG).
Für den Fall, dass ein Flugzeug wie am 11. September 2001 zu einer Waffe umfunktioniert wird (sog. Renegade-Fall), hat der Gesetzgeber in der vergangenen Legislaturperiode eine neue Eingriffsermächtigung für die Streitkräfte geschaffen. Zur Verhinderung des Eintritts eines "besonders schweren Unglücksfalles" ist gemäß § 14 Abs. 3 Luftsicherheitsgesetz "die unmittelbare Einwirkung mit Waffengewalt" zulässig, wenn "nach den Umständen davon auszugehen ist, dass das Luftfahrzeug gegen das Leben von Menschen eingesetzt werden soll, und sie das einzige Mittel zur Abwehr dieser gegenwärtigen Gefahr ist".
Diese Regelung verstößt nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts unter anderem gegen Art. 2 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG. In seiner Urteilsbegründung greifen die Richterinnen und Richter auf die so genannte Objektformel zurück. Die Passagiere, die dem in § 14 Abs. 3 Luftsicherheitsgesetz geregelten Waffeneinsatz ausgesetzt seien, befänden sich in einer für sie ausweglosen Lage. Sie könnten ihre Lebensumstände nicht mehr unabhängig von anderen selbstbestimmt beeinflussen. Dies mache sie zum Objekt nicht nur der TäterInnen. Auch der Staat, der in einer solchen Situation zur Abwehrmaßnahme des § 14 Abs. 3 Luftsicherheitsgesetz greife, behandele sie als bloße Objekte seiner Rettungsaktion zum Schutze anderer. Eine solche Behandlung missachte die Betroffenen als Subjekte mit Würde und unveräußerlichen Rechten. "Sie werden dadurch, dass ihre Tötung als Mittel zur Rettung anderer benutzt wird, verdinglicht und zugleich entrechtlicht; indem über ihr Leben von Staats wegen einseitig verfügt wird, wird den als Opfern selbst schutzbedürftigen Flugzeuginsassen der Wert abgesprochen, der dem Menschen um seiner selbst willen zukommt."
Nicht gegen das Recht auf Leben und die Menschenwürdegarantie verstoße dagegen der Waffeneinsatz gegen ein Flugzeug, das ausschließlich mit Personen besetzt sei, die das Flugzeug als Tatwaffe gegen das Leben von Menschen auf der Erde einsetzen wollten. "Es entspricht der Subjektstellung des Angreifers, wenn ihm die Folgen seines selbstbestimmten Verhaltens persönlich zugerechnet werden und er für das von ihm in Gang gesetzte Geschehen in Verantwortung genommen wird." Das ist auch die Begründung, mit der nach wie vor der gezielte Todesschuss für zulässig gehalten wird.

Constanze Oehlrich, Berlin