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Keine Entschädigung für Distomo   Heft 3/2006
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Kriminalpolitik
Seite 102
 
 

Am 10. Juni 1944 verübten Angehörige der Waffen-SS im griechischen Distomo ein Massaker an mindestens 218 Zivilisten und brannten anschließend große Teile des Bergdorfes nieder. Bereits seit 1995 klagen vier Hinterbliebene von Opfern dieser der offiziellen NS-Besatzungspolitik entsprechenden "Vergeltungsmaßnahme" vor deutschen und europäischen Gerichten gegen die Bundesregierung als Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reiches auf Schadensersatz.
Vor den deutschen Gerichten ist ihre Klage mit Ablehnung der Verfassungsbeschwerde im Februar 2006 endgültig gescheitert. In seiner Begründung stellt das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hinsichtlich staatshaftungsrechtlicher Ansprüche wie schon zuvor der Bundesgerichtshof auf die damals fehlende Gegenseitigkeitsverbürgung der Staatshaftung ab und erachtet sie als anspruchsbegründend, so dass ihr späteres Zustandekommen unerheblich ist. Diese Auslegung entspricht der NS-Rechtsauffassung und kann im Fall von NS- und Kriegsverbrechen schon wegen des Durchgriffs der Haager Landkriegsordnung (HLKO) keine Rolle spielen. Ein völkerrechtlicher Anspruch der Beschwerdeführer aus dem die Schadensersatzpflicht einer gegen das Kriegsrecht verstoßenden Kriegspartei regelnden Art. 3 der HLKO wurde jedoch abgelehnt. Zwar gab das BVerfG deren individualrechtsschützende Zielrichtung zu, hielt individuellen Ansprüchen aber mangelnde unmittelbare Vollzugsfähigkeit entgegen.
Der Areopag als höchster griechischer Gerichtshof hatte in einem Parallelverfahren bereits im Jahr 2000 individuelle Ansprüche der Opfer anerkannt. In Deutschland wahrgenommen wurde dies erst, als die Kläger die Pfändung des Goethe-Instituts betrieben, was jedoch an der nach griechischem Recht in derartigen Fällen erforderlichen Zustimmung des Justizministers scheiterte. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) lehnte eine diesbezügliche Beschwerde der Kläger aufgrund der Staatenimmunität gegen Vollstreckung zwar ab, ließ aber keinerlei Zweifel am Zustandekommen der Ansprüche erkennen.
Noch anhängig ist ein Verfahren in Italien, wo die Kläger vor dem Oberlandesgericht Florenz einen Vollstreckungstitel auf Grund des rechtskräftigen griechischen Urteils zugesprochen bekamen, die Bundesregierung aber Rechtsmittel einlegte.
Schließlich ist nun auch eine Beschwerde über das Urteil des BVerfG beim EGMR anhängig. Gestützt auf das Diskriminierungsverbot des Art. 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention und vor allem den Eigentumsschutz aus dem 1. Zusatzprotokoll greifen die Kläger die vollständige Rechtsverweigerung durch deutsche Gerichte an, die nicht nur die SS-Mörder auf Grund von Verjährung freisprachen sondern auch bis heute jegliche Ansprüche der Opfer ablehnen.

Nils Rotermund, Hamburg