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Politische Justiz   Heft 4/2006
Transnational Concerns:
Facetten der Globalisierung
Seite 141
 
 

Verquerte Theorien

--> Abschiebungen I. Irgendwann hört auch die jüngst so viel gerühmte deutsche Gastfreundschaft auf. Wer nach dem Finale der Fußballweltmeisterschaft das Gastgeberland nicht freiwillig verlassen wollte, dem wurde tatkräftig nachgeholfen. Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl sprach von einem "gnadenlosen Sommer der Abschiebungen". Ihr Sprecher Bernd Mesovic schilderte der Berliner Zeitung: "Die WM war vorbei und das Telefon klingelte immerfort, Anwälte riefen an und die Abschiebungen stapelten sich auf unserem Schreibtisch." Menschen würden noch bedenkenloser und ohne Rücksicht auf ihren körperlichen und psychischen Gesundheitszustand in lebensbedrohliche Krisen- und Kriegsregionen zurückgeschickt. Hintergrund des gravierenden Anstiegs der Abschiebungen sei die vom Bundesinnenministerium geplante Bleiberechtsregelung für länger in Deutschland lebende Flüchtlinge. Ins Visier der Ausländerbehörden gerieten vor allem diejenigen MigrantInnen, die von dieser Regelung profitieren würden.
Hemdsärmelig unterstützt wird derart menschenverachtender Zynismus durch eine nicht minder inhumane Spruchpraxis deutscher Verwaltungsgerichte. Einen besonders perfiden Prozess der Rechtsfindung konnte man zuletzt bei den Hamburger Verwaltungsgerichten beobachten. Seit Monaten schiebt die Hansestadt unbeirrt Flüchtlinge aus Afghanistan in das stark umkämpfte Bürgerkriegsgebiet zurück. Unter ihnen befinden sich oft auch Homosexuelle. Auch dies, so die VerwaltungsrichterInnen, sei grundsätzlich nicht zu beanstanden. Ihre Homosexualität müssten die Betroffenen ja nicht offenbaren, ohnehin sei "die Stadt Kandahar wie San Francisco bekannt für das dort weit verbreitete homosexuelle Verhalten".
In Afghanistan, so die sich gut informiert gebenden RichterInnen, etabliere sich nach dem Machtverlust der Taliban wieder eine homosexuelle Szene, die auch toleriert werde. Als Beleg zitierten sie aus einem Bericht des britischen Institute for War and Peace Reporting (IWPR). Dort steht, dass "die von den Taliban verbotene Praxis des Geschlechtsverkehrs zwischen Männern und minderjährigen Jungen wieder auflebe und dass es bei ortsansässigen Männern, insbesondere Militärkommandanten [...] durchaus üblich sei, Jungen zu Feierlichkeiten mitzunehmen und sie zum Tanzen und manchmal zum Sex zu veranlassen."
Dies als ein Zeugnis für aufblühende Toleranz, Gleichberechtigung und Selbstbestimmung in Afghanistan zu nehmen, bedarf einiges an abstruser Phantasie. Tatsächlich warnt das IWPR in seinem Bericht deutlich vor zunehmender sexualisierter Gewalt gegen Minderjährige und betitelt seine Erkenntnisse unvermissverständlich mit "Child Sex Abuse Alarm". In der Rechtsprechung der Hamburger Gerichte, die auf eine Leitentscheidung der Verwaltungsrichterin Anja Meyer-Stender zurückzuführen ist, werden systematische Vergewaltigungen so mit Homosexualität gleichgesetzt.
Die Hamburger Behörden sind gleichwohl über die tatsächlichen Verhältnisse in Afghanistan durch offizielle Berichte des deutschen Vertreters des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen informiert. Gutachten zufolge besteht für homosexuelle Männer in Afghanistan die erhebliche Gefahr politischer Verfolgung. Bei homosexuellen Handlungen werde dort weiterhin die Scharia angewandt. Dies bedeute für die Betroffenen, lebendig begraben zu werden. (str)

Fluchtreize

--> Abschiebungen II. Mit ähnlichem Gespür für absurde Gedankengänge und hässlicher Gleichgültigkeit begegnete das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt dem Schicksal des kurdischen Flüchtlings Yusuf Karaca. Dieser sitzt in deutscher Auslieferungshaft, damit er sich der drohenden Folter in der Türkei nicht entziehen kann, wie Pro Asyl berichtet.
Karaca konnte vor Monaten aus der Türkei fliehen, nachdem er dort in einem rechtsstaatswidrigen Verfahren vor dem Staatssicherheitsgericht für Taten und die angebliche Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu lebenslanger Haft verurteilt worden war. Sein vermeintliches Geständnis, das als Grundlage zu seiner Verurteilung diente, wurde durch Folter erpresst. Das Verwaltungsgericht in Frankfurt erkannte ihn deshalb als politisch Verfolgten nach der Genfer Flüchtlingskonvention an und gewährte ihm Asyl.
Die Türkei verlangte nun die Auslieferung des Kurden. Ungeachtet der vorangegangenen Entscheidung zu seinem Asylantrag und der ihm offensichtlich weiterhin bevorstehenden Gewaltanwendungen veranlasste das OLG Frankfurt, dass Karaca in Auslieferungshaft genommen wurde. Schließlich böte die drohende Folter offensichtlich einen "Anreiz zur Flucht" und damit einen Haftgrund. (str)

Verfahrensfehler

--> RZ. Der Prozess gegen vier mutmaßliche Mitglieder der "Revolutionären Zellen" (RZ) wurde als einer der letzten großen Terroristenprozesse bezeichnet. Und das Berliner Kammergericht machte diesem Titel alle Ehre. Besser hätte es das Instrumentarium des "Anti-Terror-Systems" um den Paragraphen 129a Strafgesetzbuch (StGB) nicht anwenden können, um die vier Beschuldigten gegen so manche grundlegenden Regeln eines fairen Strafverfahrens wegen verschiedener Anschläge und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu verurteilen (vgl. zuletzt ausführlich Forum Recht 2004, 106).
Nun hat der Bundesgerichtshof (BGH) die Urteile rechtskräftig werden lassen, indem er ihre Revisionsanträge verwarf. Dabei hat der BGH auch zugleich ein Grundsatzurteil zu den von ihm so genannten "unwahren Protokollrügen" gefällt, womit er die wahrheitswidrige Behauptung eines Verfahrensfehlers unter Berufung auf ein insoweit fehlerhaftes Protokoll bezeichnet. Eine derartige Rüge hat der BGH nun als rechtsmissbräuchlich missbilligt, wenn der Beschwerdeführer sicher weiß, dass sich der Fehler unzweifelhaft nicht ereignet hat. Eine solche Rüge habe auch in diesem Revisionsverfahren vorgelegen. (Az: 3 StR 284/05)
Seit ihrer Gründung 1973 verübten die RZ mehrere Anschläge, die oft an den Kampagnen sozialer Bewegungen anknüpften und sich später vor allem gegen die bundesdeutsche Ausländer- und Asylpolitik richteten. (str)
(Infos: www.freilassung.de)