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Sonderausgabe
Wozu Jura studieren?

Frank Schreiber
Biographien ohne Brüche
Die "Furchtbaren Juristen"1 des Dritten Reiches und ihre Karrieren in der Bundesrepublik
 

"Furchtbare Juristen sind das Ende des Rechts gewesen und haben den Beginn der Demokratie bestimmt"

, resümiert der ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht Martin Hirsch den Zustand der deutschen Rechtswissenschaft und Justiz nach 1945. In Justiz und Hochschulen saßen nach dem Krieg kaum weniger Nazi-Parteigenossen und linientreue Professoren als zuvor.2 In den wieder neu gegründeten HochschullehrerInnenvereinigungen wie z.B. in der "Vereinigung deutscher Staatsrechtslehrer" erlangten schnell wieder die alten Seilschaften die Oberhand,3 die dafür sorgten, daß unbelastete Wissenschaftler nicht an die juristischen Lehrstühle kamen.
Dagegen fanden Juristen, die im Dritten Reich an politisch exponierter Stelle tätig waren, wie z.B. Friedrich Schaffstein und Karl Larenz im "Nationalsozialistischen Rechtswahrerbund", schneller Akzeptanz an den Universitäten. Einzige Ausnahmen von dieser Regel war Carl Schmitt, der als Begründer der nationalsozialistischen Staatslehre von bundesdeutschen Rechtsfakultäten und Wissenschaftsministerien für nicht mehr tragbar erachtet wurde. Gleichwohl genossen seine Nachkriegspublikationen in den Kreisen der "herrschenden Meinung" hohes Ansehen.
Im folgenden sollen einige dieser Juristen vorgestellt werden; jedoch nicht anhand der Veröffentlichungen, die sie zu führenden Rechtswissenschaftlern der Bundesrepublik gemacht haben, sondern anhand der "Frühwerke", die den Karrierestart im nationalsozialistischen System ermöglicht haben.

Öffentliches Recht

Ebenso vehement wie Carl Schmitt propagierte sein Schüler Ernst Forsthoff die Staatslehre des "totalen Staates" 4: "Alle diese Versuche, dem Staate das neu gewonnene umfassende Wirkungsrecht zu bestreiten, bedeuten eine Sabotage der nationalsozialistischen Revolution. Diese Art gesellschaftlichen Denkens mit aller Schonungslosigkeit auszurotten, ist die vornehmste Pflicht des heutigen Staates." (S. 29) Nach 1945 war Forsthoff ordentlicher Professor für Öffentliches Recht in Heidelberg und verfaßte zahlreiche Werke zum Staats- und Verwaltungsrecht wie zur Verfassungsgeschichte(!).
Auch der Verwaltungsrechtler Hans Julius Wolff ("Wolff-Bachof-Stober"), der ab 1946 bis zu seinem Tode in Münster lehrte, kam schon 1933 zu einer staatsrechtlichen Fundierung des Nazistaates: "Indem der Führer als Repräsentant der Gemeinschaft will und handelt, drückt er nur deren Wesensart aus, und zwar reiner als irgendein Mehrheitswille oder irgendein Kompromiß" 5 (S. 35). "Dieser Gedanke der repräsentativen autoritären Führung beherrscht die neue Regierungsform. Deshalb kommt es für sie darauf an [...], daß das deutsche Volk [...] wieder zu einer durch die Gemeinschaft des Vaterlandes verbundenen repräsentierbaren Gemeinschaft wird. Das zu erreichen ist die Funktion der Gleichschaltung, durch die alle gegeneinanderstrebenden Machtpositionen aufgehoben werden" (S. 37).
Der spätere Richter am Bundesgerichtshof und am Bundesverfassungsgericht Willi Geiger bewertete in seiner presserechtlichen Dissertation das Berufsverbot für jüdische Journalisten folgendermaßen: "Die Vorschrift hat mit einem Schlag den übermächtigen, volksschädigenden und kulturverletzenden Einfluß der jüdischen Rasse auf dem Gebiet der Presse beseitigt" 6. In den fünfziger Jahren wandte sich Geiger - dann schon als Senatspräsident beim BGH - offensiv gegen jede Aufarbeitung der Vergangenheit der deutschen Juristen.7
Theodor Maunz, dessen langjährige Beratertätigkeit für die rechtsradikale DVU kurz nach seinem Tod 1993 bekannt wurde, befaßte sich während seiner Professorentätigkeit in Freiburg (1935-1945) vorwiegend mit der rechtlichen Stellung der Polizei im nationalsozialistischen Regime: "a) Die verfassungsrechtliche Stellung der Polizei [...] Der Führererlaß von 1936 steht am Ende einer dreijährigen zielgelenkten Entwicklung. Wer aus der Verfassungsgeschichte weiß, wie schwierig es oft gewesen ist und welcher Mühe und Geduld es zu Zeiten bedurft hat, um einen durch keine Gegenkraft geschwächten Oberbefehl über die Armee eines Staates aufzurichten und zu sichern, kann die Augen vor der Größe dieser in den Jahren 1933-1936 für die Polizei geleisteten Arbeit nicht verschließen. Eine so machtvoll gewordene Einheit, deren Mannschaft überdies durch das Charisma eines persönlichen Führers und durch das Band unverbrüchlicher Treue zusammengeschlossen wird, gewinnt eigenes verfassungsrechtliches Gewicht." 8 In der Bundesrepublik war er ab 1952 Professor in München, dann zwischenzeitlich Kultusminister in Bayern und begründete schließlich das Standardwerk zum Grundgesetz, den Großkommentar "Maunz-Dürig-Herzog-Scholz". Die Debatte um Maunz' "Verfehlungen" vor und nach 1945 dauert noch an.9

Zivilrecht

In der Zivilrechtslehre ging der Umbruch nach 1933 vergleichsweis schleppend voran. Otto Palandt (1877-1951), ab 1934 Präsident des Reichsjustizprüfungsamtes, wurde daher mit der Arbeit an einem Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) beauftragt, der das nationalsozialistische Gedankengut hinreichend berücksichtigt. Über die erforderlichen Kenntnisse zur ersten juristischen Staatsprüfung schrieb er 1935: "Dazu gehört vor allem die ernsthafte Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus und seinen weltanschaulichen Grundlagen, mit dem Gedanken der Verbindung von Blut und Boden, von Rasse und Volkstum [...]. Auch in der mündlichen Prüfung haben die völkischen Grundlagen des neuen Staates, seine Geschichte und Weltanschauung den gebührenden Platz neben dem juristischen Wissen erhalten." 10
Wie kein anderer hat Karl Larenz die Entwicklung einer nationalsozialistischen Zivilrechtsdogmatik beeinflusst 11: "Die Bindung des Richters an ein Gesetz aus der Zeit vor der Machtergreifung, das noch in Kraft geblieben ist, kann allerdings nicht soweit gehen, daß es der Richter auch da noch anzuwenden hätte, wo seine Anwendung zu einem vom Standpunkt der völkischen Gesamtordnung aus schlechthin unerträglichen Ergebnis führen würde. [...] Als Beispiel kann hier auf den Fall hingewiesen werden, daß ein deutschblütiger Mann erfährt, daß seine Frau ein nach dem BGB als ehelich anzusehendes Kind im Ehebruch von einem Juden empfangen hat, nachdem die Anfechtungsfrist des § 1594 bereits verstrichen ist." (S. 25) "Für das völkische Rechtsdenken ist die Rechtsfähigkeit [...] gegliedert. Es macht für ihren Inhalt und damit für die Rechtsstellung der Persönlichkeit einen wesentlichen Unterschied aus, ob jemand Rassegenosse oder Rassefremder [...] ist. [...] Der § 1 des BGB bleibt insofern unberührt; aber durch die Geburt erlangt der Mensch nicht eine abstrakte ,Rechtsfähigkeit überhaupt', sondern eine konkrete Rechtsfähigkeit (als Rassegenosse oder Rassefremder)" (S. 53). Auch in der Bundesrepublik blieb Larenz' führende Rolle in der Zivilrechtslehre weitgehend unangetastet: Seine Lehrbücher zum Allgemeinen Teil des BGB und zur Methodenlehre avancierten zu "Standardwerken". Nachlesenswert ist die Debatte, die sich nach seinem Tod 1993 an der Veröffentlichung einiger seiner Briefe in der Juristenzeitung entzündete. 12

Strafrecht

Auch die Karrieren der Strafrechtler Eduard Dreher, Friedrich Schaffstein, Hans Welzel und Erich Schwinge begannen vor 1945: Der 1994 verstorbene Militärrichter und Marburger Professor Schwinge war führender Militärstrafrechtler des Dritten Reiches. Zum Umgang mit "Psychopathen" empfahl er 13: "Weil es ihnen [den Psychopathen', d. Red.] an Kraft und Ausdauer gebricht, flüchten sich die Minderwertigen im Kriege in Ausweichreaktionen' hinein, und diese sind - kriminologisch gesehen - Fahnenflucht, Simulation und Befehlsverweigerung" (S. 113). "Demgegenüber muß in einem künftigen Krieg gleich von vorneherein ganze Arbeit geleistet werden. [...] Es ist daher mit Gaupp und anderen namhaften Psychiatern zu fordern, daß Entlassungen und Verlegungen psychopathischer Minderwertiger grundsätzlich nur in Richtung nach der Front zu erfolgen haben [...]" (S. 122).
"Psychiatrische Untersuchungen haben den Beweis geliefert, daß die Führer der Münchener Rätezeit und der Hamburger Unruhen vom Jahre 1919 zu einem ganz erheblichen Teile Psychopathen waren [...], daß es sich bei diesem durchweg um ethisch defekte und fanatische Psychopathen handelte. Besonders charakteristisch sind die Erhebungen über den damaligen Studenten Toller, der das typische Bild eines haltlosen Anormalen darbietet: Schon während der Schulzeit von hysterischen Störungen heimgesucht, rückte er 1914 begeistert
zum Heere ein, entwickelte sich dort aber sehr bald zum fanatischen Kriegsgegner. [...] Der Schriftsteller Erich Mühsam war ein noch gefährlicherer Psychopathentyp. Nichts vermag besser als diese beiden Namen zu verdeutlichen, was derartige Minderwertige in Zeiten völkischer Bedrängnis für Schaden anrichten können, wenn die Gemeinschaft nicht vor ihnen geschützt wird!" (S. 119 f.)
Schwinge war in den fünfziger Jahren Rektor der Marburger Universität und lehrte dort noch bis zu seiner Emeritierung 1973. In vielen Nachkriegspublikationen 14 befaßte er sich als Zeitzeuge mit der Militärjustiz. Noch 1993 trat Schwinge vehement für das Ansehen der Wehrmachtsjustiz ein, nachdem das Bundessozialgericht (BSG) die Urteile dieses Gerichtszweiges als Unrechtsurteile bezeichnet hatte.15
Schaffstein und Welzel fanden in der Bundesrepublik schnell wieder Lehrstühle,16 NS-Militärrichter Dreher war jahrelang im Bundesjustizministerium tätig und ist Mitverfasser des maßgeblichen Kommentares zum Strafgesetzbuch.
Inwieweit die aufgezeigte personelle Kontinuität nach 1945 auch inhaltliche Auswirkungen hatte, ist umstritten 17 und kann auch hier nicht abschließend geklärt werden. Es wäre zu oberflächlich, auf der Grundlage einzelner offener dogmatischer Parallelen wie z. B. die Dogmatik des politischen Strafrechts während der KommunistInnenverfolgung in den fünfziger Jahren oder im heutigen Militärstrafrecht, dessen redaktioneller "Schöpfer" der NS-Kriegsrichter Eduard Dreher war, den Schluß zu ziehen, in der bundesdeutschen Rechtswissenschaft gäbe es eine breite Kontinuität nationalsozialistischer Lehren.
Daß aber bestimmte wissenschaftstheoretische Ansätze der NS-Juristen (wie z. B. der des Neohegelianers Karl Larenz), die die "unbegrenzte Auslegung" im Dienste des Nationalsozialismus erst ermöglichten, auch in der Bundesrepublik ihre Anerkennung fanden,18 zeigt, daß häufig nur "das Vorzeichen vor der Klammer" ersetzt wurde und so alte Theorien im gar nicht so neuen Staat angewandt wurden. Die hier für das Problem der inhaltlichen Kontinuität interessanten Fragestellungen, nämlich inwieweit diese zurechtgebogenen Ansätze in eine moderne Demokratie "passen", inwieweit gewisse Lehren demokratietheoretisch oder einfach auf dem Boden des Grundgesetzes nicht haltbar sind, wurden von RechtswissenschaftlerInnen bisher nicht hinreichend beantwortet.19

Frank Schreiber, Wiesbaden.

Anmerkungen:

1 Müller 1987.
2 Vgl. Müller 1987, 206 und 237; zur Vertreibung mißliebiger Rechtswissenschaftler 1933 ausf. Höpel KJ 1993, 438.
3 Fangmann 1981, 231 f.
4 Forsthoff 1933.
5 Wolff 1933.
6 Geiger 1941.
7 z.B. Geiger DRiZ 1959, 336, 339 ff.
8 Maunz 1943, 6 f.
9 Roellecke KJ 1994, 344; Frankenberg KJ 1994, 354.
10 Palandt DJ 1935, 92.
11 Alle nachfolgenden Zitate aus: Larenz 1933.
12 Briefe bei Dreier JZ 1993, 454; Jakobs JZ 1993, 805.
13 Nachfolgende Zitate aus: Schwinge, Zeitschrift für Wehrrecht 1939/40.
14 U.a. Schwinge/Schweling 1978; Schwinge 1988.
15 BSG NJW 1992, 934; darauf Schwinge NJW 1993, 368 und dagegen Gritschneder NJW 1993, 369.
16 Müller 1987, 238.
17 Z.B. Müller 1987, 221 ff., 235 f., 239 f.; Wolff/Lupus FoR 2/92, 45 ff.; Rath FoR 3/92, 104; beide mit weiteren Nachweisen.
18 Vgl. Vorwort zu Rüthers 1991
19 Rüthers 1991, 476-487 und Vorwort; vgl. aber inzwischen Rüthers 1999.

Literatur:

Müller, Ingo, Furchtbare Juristen, 1987.
Höpel, Stefan, Die "Säuberung" der deutschen Rechtswissenschaft, in: Kritische Justiz (KJ) 1993, 438 ff.
Fangmann, Helmut, Die Restauration der herrschenden Staatsrechtswissenschaft nach 1945, in: Reifner, Udo (Hrsg.), Das Recht des Unrechtsstaates, 1981, 211 ff.
Forsthoff, Ernst, Der totale Staat, 1933.
Wolff, Hans Julius, Die neue Regierungsform des Deutschen Reiches, 1933.
Geiger, Willi, Die Rechtsstellung des Schriftleiters nach dem Gesetz vom 4. Oktober 1933, Diss. jur. 1941.
Geiger, Willi, Von der Aufgabe und der Bedrängnis des Richters, in: Deutsche Richterzeitung (DRiZ) 1959, 336 ff.
Maunz, Theodor, Gestalt und Recht der Polizei, 1943.
Roellecke, Gerd, Theodor Maunz und die Verantwortung des Öffentlichrechtlers, in: Kritische Justiz (KJ) 1994, 344 ff.
Frankenberg, Günter, Vom Schweigen der Öffentlichrechtler und ihrer Verantwortung, dies bisweilen zu brechen, in: Kritische Justiz (KJ) 1994, 354 ff.
Palandt, Otto, Die Verreichlichung der Ausbildung, in: Deutsche Justiz (DJ) 1935, 91 ff.
Larenz, Karl, Gegenstand und Methode völkischen Denkens, 1933.
Dreier, Ralf, Karl Larenz und seine Haltung im "Dritten Reich", in: Juristenzeitung (JZ) 1993, 454 ff.
Jakobs, Horst H., Karl Larenz und der Nationalsozialismus, in: Juristenzeitung (JZ) 1993, 805 ff.
Schwinge, Erich/Schweling, P., Die deutsche Militärjustiz in der Zeit des Nationalsozialismus, 2. Aufl. 1978.
Schwinge, Erich, Verfälschung und Wahrheit, 1988.
Schwinge, Erich, Die Urteile der Militärstrafjustiz "offensichtlich unrechtmäßig"?, in: Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 1993, 368 f.
Gritschneder, Otto, Entschädigung für die Witwen hingerichteter Wehrpflichtiger, in: Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 1993, 369 ff.
Wolff, Heiner/Lupus, Angela, BRD-Justiz: Kontinuität zur NS-Zeit, in: Forum Recht (FoR) 2/92, 45 ff.
Rath, Christian, Absurde Kontinuitätsthese, in: Forum Recht (FoR) 3/92, 104 ff.
Rüthers, Bernd, Die unbegrenzte Auslegung, 4. Aufl. 1991.
Rüthers, Bernd, Rechtstheorie, 1999.