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Sonderausgabe
Wozu Jura studieren?

Kristina Stolterfoht
Recht weiblich
Einblicke aus der Perspektive feministischer Rechtswissenschaft
 

Selber Schuld

Als der Bankräuber aussagte,
die Bank habe ihn durch ihr Geld
zum Bankraub gereizt,
wurde seine Strafe selbstverständlich
von den beantragten sechs auf vier Jahre vermindert.
Als er dann noch behauptete,
die Bankangestellten hätten
sich nichts gewehrt, setzte
man die Strafe von vier auf zwei Jahre herab
(er konnte schließlich das stillschweigende Einverständnis
der Angestellten voraussetzen)
Schließlich gab er noch an,
er habe vor der Tat, früher, mehrmals mit der Bank verkehrt.
Da sprachen ihn die Richter frei.
Warum sollte man hier auch anders
verfahren als mit Vergewaltigungen?


Recht ist objektiv. Recht ist abstrakt. Es gilt allgemein und ist universell. Und es ist geschlechtsneutral. Oder?
In der Bundesrepublik sind Männer und Frauen rechtlich weitestgehend formal gleichgestellt. Verankert ist dies im Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes (GG): "Männer und Frauen sind gleichberechtigt". Was für junge Frauen von heute selbstverständlich erscheint, ist das Ergebnis langwieriger und mühevoller Kämpfe von Frauen um ihre Rechte.
Der sich einen allumfassenden Anschein gebenden Begriff des "citoyen" umfasste nur die männlichen Exemplare. Die Losung der französischen Revolution, "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit", war nicht metaphorisch formuliert: Für Schwestern galt die glorreiche Trias nicht. Mit der Aufklärung wurde der sich durch seine Vernunft, seine Rationalität, Abstraktions- und freiheitliche Entscheidungsfähigkeit auszeichnende Mensch zum Idealbild, aber gemeint war ausschließlich der Mann. Als sein Gegenstück war die ihrer Natur verhaftete, ihrer Emotionalität ausgelieferte, der Aufgabe von Reproduktion und häuslicher Versorgung sich widmende Frau geboren. Die "wesenhafte" Unterschiedlichkeit von Männern und Frauen diente als Begründung, Frauen systematisch den Zugang zu allen Bereichen des öffentlichen Lebens zu verwehren und sie der Sphäre des Hauses, des Herdes, der Aufzucht der Kinder, sprich: dem Privaten, zuzuordnen. Um Objektivität bemüht wurde das "andere Wesen der Frau" immer wieder "wissenschaftlich" bewiesen. Das Erbe dessen sind kulturelle Zuschreibungen, die heute keineswegs als überholt angesehen werden können.

Frauen kämpfen um Recht...

Schon mit der Geburt der Menschenrechte als Männerrechte gab es Frauen, die gegen diese Ungerechtigkeit kämpften: Kurz nach der Verkündung der "droits de l' homme" 1789 verfasste Olympe de Gouges 1791 die Deklaration der Rechte der Frauen und Bürgerinnen. Leider wurden ihnen diese nicht von den Männern eingeräumt, die zu dieser Zeit Recht setzten. Frauen im Deutschland des 19. Jahrhunderts hatten weder Recht auf Bildung, noch durften sie sich politisch betätigen, sie hatten kein Wahlrecht und waren nicht geschäftsfähig.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bildeten sich die ersten Frauenbewegungen, die diesem Rechtsdefizit den Kampf ansagten. Doch schon hier zeichnete sich ab, daß bloßes Frausein allein nicht ausreicht, um eine einheitliche politische Stoßrichtung zu formulieren. So gab es eine bürgerliche und eine proletarische Frauenbewegung. Die bürgerliche sah den Schwerpunkt ihrer Forderungen darin, Frauen und Mädchen den Zugang zu Bildung und Ausbildung sowie das Recht auf Erwerbstätigkeit zu ermöglichen. Wichtig ist, daß diese Frauenbewegung auch auf einer wesenhaften Unterschiedlichkeit der Geschlechter insistierte. Ihr Ziel war unter anderem, die spezifisch weiblichen Tugenden vermehrt in die Gesellschaft einfließen zu lassen, so zu ihrer Aufwertung beizutragen und eine Versittlichung zu bewirken.
Die proletarische Frauenbewegung bildete sich im Kontext der ArbeiterInnenbewegung. Themenschwerpunkte waren soziale Gerechtigkeit, menschenwürdige Arbeitsbedingungen, aber auch Wahlrecht und Möglichkeit politischer Betätigung. Diese Frauenbewegung setzte ihren Schwerpunkt auf eine Politik der Gleichbehandlung von Frauen.
Obwohl die einzelnen Forderungen der beiden Richtungen sich im Ergebnis teilweise überschnitten, zeichneten sich doch hier schon Konflikte ab, die sich der Frauenbewegung bis heute stellen. So ist zum Beispiel die Frage, ob Gleichheit oder Differenz (im Verhältnis zu Männern) die Grundlage einer Politik der Gleichberechtigung sein soll und das Problem, daß es keine homogene "Gruppe Frau" gibt, da Frauen einer Gesellschaft in verschiedenen sozialen und ökonomischen Verhältnissen leben, heute noch genauso aktuell.

...gegen Recht

Erster Erfolg der Frauenbewegung war die Zulassung von Frauen zu den Universitäten 1908. Am 12. November 1918 wurde Frauen das Wahlrecht zugestanden. Die Erweiterung des aktiven und passiven Wahlrechtes auf die zweite Hälfte der Bevölkerung ist eine im Geschichtsbild der überwiegenden historischen Literatur überraschend unspektakuläre Tatsache. 1921 wurden Frauen zum juristischen Staatsdienst zugelassen; 1933 wurden sie allerdings schon wieder hinausgedrängt. Hitler hielt die Frauenemanzipation für jüdischen Ursprungs. Außerdem hatte er ziemlich genaue Vorstellungen davon, welche Rolle Frauen zum Wohle des Volkskörpers zu spielen hatten: die der Gebärenden und derer, die an der Heimatfront die Stellung hält, während der Mann in den Kampf zieht. Die mühsam errungenen Fortschritte der Frauenbewegungen wurden beseitigt.
Die Diskussion um Frauenrechte konnte in Deutschland erst wieder nach 1945 aufgenommen werden. Am 18. Januar 1949 lieferten sich die 61 Verfassungsväter und vier Verfassungsmütter des Grundgesetzes im Hauptausschuß des Parlamentarischen Rates eine heftige Debatte. Anlass war ein von Elisabeth Selbert (SPD) eingebrachter Antrag. "Männer und Frauen sind gleichberechtigt" sollte der zweite Absatz des Artikel 3 heißen und nicht, so der Gegenantrag der CDU, "Männer und Frauen haben die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten". Es ging hier nicht um Wortklauberei, sondern um massive Unterschiede in den Rechtsfolgen. Während zwar der Vorschlag der CDU Frauen das Wahlrecht und den Zugang zu öffentlichen Ämtern gewährt hätte, hatte der angenommene Selbert-Antrag zur Folge, daß entscheidende Regelungen des Familien- und Erbschaftsrechtes geändert werden mußten. Die Umsetzung erfolgte jedoch schleppend und unzureichend. Noch bis 1957 durfte der Ehemann das Beschäftigungsverhältnis seiner Ehefrau kündigen, denn diese war zur außerh"uslichen Arbeit nur berechtigt, wenn diese "mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar" war. Die endgültige Familienrechtsreform fand erst 1975 (!!!) statt.

...mit Recht

Im Zuge der Verfassungsreform 1994 bekam Artikel 3 Absatz 2 GG einen Zusatz: "Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin." Der Satz ist der Versuch, dem Umstand Rechnung zu tragen, daß formale Gleichbehandlung eine strukturell bestehende ungleiche Verteilung von Gütern wie Geld, Freizeit und Entscheidungsmacht zementiert. Das absolute Verbot, wegen des Geschlechtes zu differenzieren, ist nun um die ausdrückliche Ermächtigung, gezielte Förderungsmaßnahmen zugunsten von Frauen zu ergreifen, ergänzt worden. Beispiel für eine solche Maßnahme ist die sogenannte Entscheidungsquote mit der Vorgabe, bei gleicher Qualifikation der BewerberInnen grundsätzlich eine Frau einzustellen. Obwohl der Zusatz des Artikels 3 keine konkreten Vorgaben enthält, wie die "tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung" vonstatten gehen soll, ist er fortschrittlich angesichts der Tatsache, daß die Verfassungsmäßigkeit solcher Regelungen immer wieder angezweifelt worden ist - weil Männer aufgrund ihres Geschlechtes diskriminiert würden.
Es ging also schon mit Entstehung dessen, was wir in liberal-demokratischen Staaten unter Recht verstehen, um die Kämpfe der Frauen um dasselbe. Manchmal legte das Recht selbst die Fessel (wie das die patriarchalen Familienstrukturen zementierende BGB), mal dienten rechtliche Maßnahmen den Frauen in ihrem Kampf (wie bei der Quotenregelung).
Was aber ist feministische Rechtswissenschaft? Kann man überhaupt von einer Wissenschaft sprechen? In Deutschland haben feministische RechtswissenschaftlerInnen immer noch einen schweren Stand, unter den "seriösen" Disziplinen der rechtswissenschaftlichen Fakultäten ernstgenommen zu werden. In skandinavischen und angelsächsischen Ländern ist man schon weiter: Dort ist feministische Rechtstheorie bereits selbstverständlich im allgemeinen Fächerkanon enthalten.

Frauen im Recht

Feministische Rechtswissenschaft setzt dort an, wo Recht in Frauenleben wirkt und wie es wirkt. Sie ist interdisziplinr weil sie angelehnt ist an "weiche" Fächer wie Soziologie, Politologie, Linguistik und Psychologie, aber auch, weil Frauen (wie alle Menschen) die Rechtsordnung in verschiedenen Lebensbereichen "antreffen": als Arbeiterin das Arbeitsrecht, als Ehefrau das Familienrecht, als Delinquentin (eher selten) oder Geschädigte das Strafrecht oder auch Zivilrecht usw. Es bedarf also auch eines Querdenkens durch die verschiedenen Rechtsgebiete.
Fokus der feministischen Rechtsanalyse ist die Frage, welche Rolle Recht beim Erhalt des gesellschaftlichen Machtungleichgewichts zugunsten von Männern spielt. Dabei wird der Blick auf das (geschlechts)spezifische Gewordensein des Rechtes geworfen: Auf der einen Seite hatten Frauen auf der Ebene der Normsetzung weniger Einfluß (und haben ihn leider immer noch nicht ausreichend, denn auch im Bundestag sind Frauen unterrepräsentiert) und konnten / können weniger "Recht sprechen", denn der Justizapperat selbst ist noch immer Männerdomäne. Auf der anderen Seite sind deshalb von Anfang an mehr die Interessen jener eingeflossen, die Recht gesetzt haben. Aus diesem Blickwinkel heraus beginnen die als unerschütterlich besungenen Grundfesten, auf die sich unsere Rechtsordnung beruft, beträchtliche Risse aufzuweisen. Es heißt, Recht sei objektiv. Feministische Rechtskritik setzt dagegen: Recht ist historisch, Recht ist Ergebnis politischer Prozesse, Recht ist beeinflußt von Interessen.
Weitere Schlüsselbegriffe aufklärerischer Rechtstheorie werden ebenfalls einer gründlichen Untersuchung unterzogen und ihres Heiligenscheins beraubt. "Gleichheit" - gilt nur für Gleiche, postulierte Aristoteles, und er hat Recht behalten: Es scheint nämlich, als würde die Rechtsordnung, auf Frauen übergestülpt, einfach nicht passen - wie eine Uniform der falschen Größe. Beispiel dafür ist das Arbeitsrecht mit der Orientierung am Vollzeitarbeitnehmer, das die Lebenszusammenhänge von Frauen, die weiterhin die Sorge um Kinder übernehmen, nicht berücksichtigt und als rechtfertigungsbedürftige Ausnahme erscheinen läßt. Es ist Tatsache, daß trotz formaler Chancengleichheit Frauen nur 3 % (im Osten 6 %) der Führungspositionen bekleiden. Ein gutes Beispiel sind die Universitäten: Im Fachbereich Rechtswissenschaften gibt es bei 50 % Studienanfängerinnen lediglich 3 % Professorinnen. Allgemein gilt, daß Frauen etwa 65-70 % dessen verdienen, was ihre männlichen Kollegen auf gleicher Ebene bekommen, und daß sie häufiger arbeitslos und arm sind. Es gibt also im Arbeitsleben Hürden für Frauen, die eine formale Gleichbehandlung unangetastet läßt. Feministische Rechtswissenschaft orientiert sich daher am Begriff der faktischen Gleichheit. Ziel ist eine gleiche Verteilung von Macht, materiellen Gütern, Rechten und Pflichten auf beide Geschlechter. Wie dieses Ziel erreicht werden soll, ist allerdings umstritten. Gerade Förderungsmaßnahmen werden häufig sogar von Frauenseite kritisiert, da sie sich erst durch die Quote benachteiligt fühlten (nur genommen, weil ich Frau bin?) und Frauen eine Opferrolle zuweisen würden. Dies ist das sogenannte "feministische Dilemma": Indem versucht wird, mittels Regelungen und Maßnahmen auf Ungleichheiten einzuwirken, werden diese gleichzeitig festgeschrieben. Keine Lösung des Problems, aber eine Strategie, sich ihm nicht auszuliefern, ist, sich vor Augen zu halten, daß zuvor Millionen von Männern nur wegen ihrer Geschlechtszugehörigkeit bevorzugt wurden. Und Ziel der Quote ist, daß sie sich selbst abschafft - weil sie nicht mehr gebraucht wird.

Verrechtlichte und rechtlose Räume

Zielscheibe jeglicher feministischer Kritik war von Anfang an die der bürgerlichen Gesellschaft innewohnende Trennung des "Öffentlichen" und "Privaten". Recht wurde traditionell der öffentlichen Sphäre zugeordnet. Als regelungswürdig und -bedürftig wurden die Teile des gesellschaftlichen Lebens erachtet, denen politische Relevanz zugeschrieben wurden. Demgegenüber stand die vom Staat gänzlich unangetastete Privatsphäre, in der das Individuum unbeeinflußt und frei sich entfalten konnte. Zur Folge hatte dies, daß der Teil gesellschaftlichen Lebens, dem Frauen zugeordnet wurden und der ihnen meist weiterhin überlassen ist, als privat erklärt wurde und daher im Recht gar nicht auftaucht - ein großer Teil traditionell weiblicher Existenz wird so von der Rechtsordnung schlicht ignoriert. Daraus erklären sich die Forderungen aus den siebziger Jahren nach bezahlter Hausarbeit.
Die Konstellation eines möglichst nicht verrechtlichten Raumes hatte also die Rechtlosigkeit von Frauen zur Folge. Mit Recht wurde von feministischer Seite herausgestellt, daß die Freiheit, die durch Abwesenheit rechtlicher Sanktionen im privaten Bereich entsteht, vor allem den freien Zugriff von Männern auf ihre Frauen bedeutet und keinerlei Instanz die Gewalt und das Machtverhältnis, die dem Geschlechterverhältnis innewohnen, kontrolliert. Vergewaltigung in der Ehe war bis 1997 nicht strafbar. Argumentiert wurde, daß die Staatsanwaltschaft nichts im Ehebett zu suchen habe. Die gleichen Verteidiger der heiligen Privatsphäre haben allerdings kein Problem mit der Staatsanwaltschaft im Bauch der Frau, wenn es um Abtreibung geht. Auch hier wird deutlich, daß es sich bei Rechtskämpfen meist nicht um objektive Prinzipien, sondern um politische Interessen dreht.
Mit der Forderung, das Gewaltverhältnis, das dem Geschlechterverhältnis innewohnt, auch im Recht zur Kenntnis zu nehmen, reibt sich die feministische Bewegung mit anderen sich ebenfalls eher "links" verortenden Bürgerrechtsbewegungen. Zu deren politischen Forderungen gehört nämlich unter anderem, die Privatsphäre gegen Eingriffe des Staates zu schätzen und die Beziehungen der Menschen untereinander einer Verrechtlichung zu entziehen. Damit ist nur ein Bruchteil des Problems angerissen, das sich feministischer Rechtstheorie insgesamt stellt: Ist der Weg über das Recht überhaupt geeignet, um wirkliche Gleichberechtigung zu erreichen? Der Versuch, mit rechtlichen Maßnahmen auf gesellschaftliche Prozesse einzuwirken, ist allzu häufig zweischneidig.

Recht für Gerechtigkeit?

Allerdings ist es wohl das Einzige, was zu tun bleibt. Die tatsächliche Gleichberechtigung der Geschlechter in unserer Gesellschaft wäre revolutionär, denn sie bedeutete die völlige Umwälzung der ökonomischen und gesellschaftlichen Strukturen. Und wie es so ist mit der Revolution: Wer auf sie nicht warten will, muß weiterhin den steinigen Weg politischer Kleinarbeit und der Reformen gehen...

Kristina Stolterfoht studiert Jura in Berlin.

Literatur:

Degen, Barbara, Gleichberechtigung oder Von der Schwierigkeit, Utopien zu regeln, in: Frauenforschung 1990, 44.
Gerhard, Ute / Jansen, Mechthild u.a., Differenz und Gleichheit. Menschenrechte haben (k)ein Geschlecht, 1997.
Sacksofsky, Ute, Das Grundrecht auf Gleichberechtigung. Eine rechtsdogmatische Untersuchung zu Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes, 1996.
Wapler, Friederike, Das Recht aus Frauenperspektive. Ein Einstieg in die feministische Rechtstheorie, in: Forum Recht (FoR) 1995, 40.