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Sonderausgabe
Wozu Jura studieren?

Tillmann Löhr
Keine Panik!
 

Das Jurastudium ist schon zu Beginn geprägt von bestimmten Verhaltensmustern und vermeintlichen Zwängen, die vor dem Hintergrund der Idee eines selbstbestimmten Studiums eine nähere Betrachtung verdienen. Sie ergeben sich aus der Struktur des Studiums. Insgesamt müssen verhältnismäßig wenige Leistungsnachweise erbracht werden, und für deren Bestehen reicht es häufig, sich schwerpunktmäßig mit einem Teilgebiet zu beschäftigen - ohne sich umfassend mit Grundlagen und Systematik des jeweiligen Rechtsgebiets vertraut machen zu müssen.
Dies steht in krassem Widerspruch zum Examen: am Studienende steht eine Reihe von Prüfungen, in denen die Kenntnis des gesamten Stoffes vorausgesetzt wird. Das erfordert mindestens ein Jahr intensivster Vorbereitung. Diese Wasserkopfkonstruktion lädt geradezu ein zu Reaktionen unterschiedlichster Art: Seitens etlicher ProfessorInnen wird Erfolg durch Panik empfohlen. Wer nicht ab dem ersten Semester jede ihrer Vorlesungen besuche und jede erwähnte Entscheidung nachschlage, der/die habe am Ende ohnehin keine Chance auf Bestehen dieses Examens. Eines Examens, das zwar noch weit entfernt ist, aber den Studierenden ab der ersten Vorlesung als ein nun jahrelang über ihnen schwebendes Damoklesschwert präsentiert wird.
Studierende stehen indes vor dem Dilemma, daß viele Universitäten wenig Anreize bieten, die einzelnen Fächer eingehender zu bearbeiten. Wo Kleingruppenarbeit gefragt wäre, um den Studierenden einen Rahmen zu geben, das Gelernte gemeinsam zu strukturieren und zu diskutieren, werden überwiegend didaktisch fragwürdige Vorlesungen angeboten.
Sich die Themen stattdessen im Selbststudium zu erarbeiten, fällt oft schwer. Erstens ist es ein leichtes, sich in der uferlosen Stoffülle hoffnungslos zu verzetteln. Zudem fällt die Selbstdisziplinierung schwer, wenn man den Schein für das laufende Semester bereits in der Tasche hat. So kommt es zu einer Verdrängungsreaktion: im Wissen, daß in der Examensvorbereitung eh alles noch einmal von vorne gelernt wird, beschränken sich viele darauf, zunächst nur das für die Scheine allernötigste zu lernen.
In dieser Konfliktsituation treten Repetitorien auf den Plan: kommerzielle, private Anbieter juristischer Crashkurse, die in konzentrierter Form examensrelevantes Wissen und Fallösungstechnik lehren. Sie präsentieren sich geschickt als einzige Möglichkeit, das in den letzten Jahren Versäumte aufarbeiten zu können. Und da der allergrößte Teil der Studierenden zum Rep geht, werden viele zu der unbegründeten Annahme veranlaßt, eine erfolgreiche Examensvorbereitung sei anders gar nicht möglich. Dies verdichtet sich zu der von älteren Semestern an jüngere gern weitergegebenen These, Jura sei ohne Rep eh nicht zu verstehen. Insofern ist es nur konsequent, daß Repetitorien in den letzten Jahren zunehmend auch Kurse zur Vorbereitung auf die großen Scheine anbieten. So entsteht ein Automatismus, der den Gang zum Rep zur unvermeidlichen Notwendigkeit stilisiert, ohne überhaupt erfolgversprechende, selbstbestimmte Alternativen eines Examens ohne Rep in Betracht zu ziehen - was aber jenseits der breiten Masse von etlichen Studierenden praktiziert wird! 1
Hierzu ist anzumerken, daß ein von Beginn an lückenloses Selbststudium in der Praxis wahrscheinlich nicht einmal eineR der ProfessorInnen, die dies gern predigen, selber betrieben hat. Was noch niemand das Examen gekostet hat. Denn in einer konzentrierten Examensvorbereitung kann so einiges nachgeholt werden.
Andererseits ist es durchaus hilfreich, während des Studiums über die Mindestanforderungen hinaus zumindest ein paar Grundlagen zu erarbeiten, auf die in der Examensvorbereitung zurückgegriffen werden kann. Hier bieten sich trotz der schlechten Ausbildungssituation verschiedene Alternativen an - so kann beispielsweise eine private AG 2 Verständnis und Motivation ganz erstaunlichen Schwung geben. Zudem kann sie den unbegründeten Mythos widerlegen, Jura sei ohne Repetitor nicht zu verstehen.
Ein frühes Experimentieren mit verschiedenen Studientechniken kann außerdem gegen Ende des Studiums eine erhebliche Hilfe sein, sich als Lerntyp einzuschätzen - und so eine selbständige Entscheidung bezüglich der eigenen Examensvorbereitung treffen zu können, die sich nicht nur an dem Umstand orientiert, daß "die anderen" auch zum Rep gehen.
Darüber hinaus stellen die ersten Studienjahre auf persönlicher wie auf fachlicher Ebene auch einen erheblichen Freiraum dar, der sich jenseits des viel zu früh, viel zu oft beschworenen Examens als solcher nutzen läßt. Jenseits des Pflichtprogramms läßt sich entdecken, daß nicht nur die Kategorien examensrelevant oder nicht examensrelevant das Fach ausmachen, sondern auch etliche Nebengebiete, Bezüge zu anderen Wissenschaften und Möglichkeiten außeruniversitärer Aktivitäten.
Wer frühzeitig und bewußt eigene Wege geht, wird sich wesentlich selbständiger bewegen und so auch die Möglichkeit haben, außerhalb scheinbar vorgegebener Zwänge einen eigenen Weg durch`s Studium zu finden.
Also: los geht`s und laßt Euch nicht irre machen!

Tillmann Löhr bereitet sich derzeit in Göttingen auf`s Examen vor. Ohne Rep.

Anmerkungen:

1 Weitere Informationen hierzu erhältlich bei den im BAKJ organisierten Gruppen (www.bakj.de); vgl. auch Fn 2.
2 Vgl. hierzu die zahlreichen Anregungen bei Berge/Rath/Wapler, Examen ohne Repetitor, S. 49 ff.