Heft 4 / 1999:
Verfassungspotentiale?
50 Jahre Grundgesetz
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Lohnabstandsklauseln sind verfassungsgemäß
 

Das Bundesverfassungsgericht hat am 27.04.1999 (Az.: 1 BvR 2203 / 93 und 897 / 95) zwei Verfassungsbeschwerden der IG Metall zurückgewiesen und Lohnabstandsklauseln bei Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) und Strukturanpassungsmaßnahmen (SAM) für verfassungsgemäß erklärt. ABM sind von der Bundesanstalt für Arbeit bezuschußte Arbeitsverhältnisse auf Zeit, die zusätzliche und im öffentlichen Interesse liegende Arbeiten fördern, um Arbeitslosen Berufspraxis und -perspektiven zu geben. SAM dienen darüber hinaus unter erleichterten Fördervoraussetzungen unter anderem der Beschäftigungssicherung in Ostdeutschland. Die Beschwerden betrafen Vorschriften des Dritten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB III) und des vorher geltenden Arbeitsförderungsgesetzes, nach denen staatliche Zuschüsse für solche Maßnahmen in voller Höhe nur dann gezahlt werden, wenn das vereinbarte Arbeitsentgelt 80 % der Tariflöhne nicht übersteigt. Dies führt in der Praxis dazu, daß ABM-Kräfte im Regelfall zu untertariflicher Bezahlung beschäftigt werden, da den TrägerInnen der Maßnahmen üblicherweise die Mittel für eine Aufstockung auf den Tariflohn fehlen. Bei den besonders geförderten SAM werden Zuschüsse bei höherer Bezahlung der Beschäftigten sogar um den entsprechenden Betrag gekürzt. Begründet werden diese Regelungen mit dem Ziel, möglichst viele Maßnahmen zu fördern und für die ABM-Kräfte einen Anreiz zu schaffen, sich so bald wie möglich auf dem regulären Arbeitsmarkt einen neuen Job zu besorgen. Die beschwerdeführende Gewerkschaft sieht sich durch diese Vorschriften in ihren Rechten aus Art. 9 Grundgesetz verletzt. Wenn der Staat die Lohnhöhe vorgibt, dann bleibe der Gewerkschaft bei Tarifverhandlungen in diesem Bereich kein Verhandlungsspielraum. Das Verfassungsgericht hat festgestellt, daß die angegriffenen Regelungen in die Tarifautonomie eingreifen. Es hält diesen Eingriff aber gleichwohl in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit aus überwiegenden Gründen des Gemeinwohls für gerechtfertigt, da der Staat damit einen im Sozialstaatsprinzip begründeten Schutzauftrag erfülle und das verfassungsrechtlich verankerte Ziel des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts fördere. Das Gericht schloß sich nicht der Argumentation der Gewerkschaften an, das Lohnabstandsgebot unterlaufe das System des Flächentarifvertrags und schaffe einen Testfall für einen allgemeinen Billiglohnsektor. Es hält die Regelungen für verhältnismäßig, da der Bereich der staatlichen Beschäftigungsförderung nicht mit den Verteilungskämpfen im Bereich der Privatwirtschaft vergleichbar sei. Dabei verkennt das Gericht allerdings, daß sich dieser sogenannte zweite Arbeitsmarkt mittlerweile verselbständigt hat und viele Beschäftigte dauerhaft auf solche Maßnahmen angewiesen sind. Seit 01. August 1999 werden zumindest Zuschüsse zu SAM zugunsten ökologischer und sozialer Ziele nicht mehr gekürzt, wenn der Tariflohn gezahlt wird. Eine grundlegende Reform der Fördermaßnahmen steht aber unter rot-grün noch aus.

Stefan Soost, Berlin.

Quellen: Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts vom 04.08.1999; taz v. 05.08.1999.