Heft 4 / 1999:
Verfassungspotentiale?
50 Jahre Grundgesetz
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Elektronisch überwacht
 

In seiner Sitzung am 9. Juli 1999 beschloß der Bundesrat, den Bundesländern Modellversuche mit dem "elektronisch überwachten Hausarrest" im Kurzstrafenbereich (bis sechs Monate) zu ermöglichen. Zuvor hatten die Justizminister Hessens, Hamburgs und Baden-Württembergs bereits angekündigt, die "elektronische Fußfessel" erproben zu wollen. Das Land Berlin hat einen entsprechenden Gesetzesentwurf eingebracht. Die BefürworterInnen der elektronischen Überwachung argumentieren mit der zu erwartenden Kostenersparnis und humaneren Vollzugsbedingungen. KritikerInnen wenden ein, daß die Kosten in anderen Ländern durch die elektronische Überwachung nicht gesunken seien und im Unterschied zu den anderen auf den Weg gebrachten sanktionenrechtlichen Reformen, wie Täter-Opfer-Ausgleich oder gemeinnütziger Arbeit, der elektronisch überwachte Hausarrest keine wirkliche Alternative zur Freiheitsstrafe darstelle, sondern den Vollzugsort lediglich vom Gefängnis in den Privathaushalt verlagere. Der Eingriff in die Grundrechte der Betroffenen - und zudem ihrer Angehörigen - sei weiterhin erheblich. Darüber hinaus entstünden schwerwiegende datenschutzrechtliche Probleme.
Von KriminologInnen wird bei der Erprobung neuer Sanktionsinstrumente stets auf die Gefahr eines "net-widening" hingewiesen. Damit ist gemeint, daß sich der Kreis der Betroffenen auf Personen erweitert, die bislang straffrei ausgingen oder milder behandelt wurden. Das ist bereits absehbar, denn der hessische Justizminister Wagner will den elektronisch überwachten Hausarrest nicht anstelle einer Freiheitsstrafe, sondern während der Bewährung einsetzen. Auf diesem Weg wird auch versucht, die Erfordernis einer noch fehlenden gesetzlichen Grundlage zu umschiffen. Umstritten ist jedoch, ob sich eine solche Weisung auf § 56 c Strafgesetzbuch (StGB) stützen kann, da sie dem durch § 56 c StGB verfolgten Ziel der Resozialisierung eher entgegensteht als es zu fördern. Eine intensive Betreuung der StraftäterInnen durch die sozialen Dienste, wie sie in Schweden - dem einzigen Land, das auf positive Erfahrungen mit der elektronischen Fußfessel verweisen kann - praktiziert wird, scheitert hierzulande bereits an der Einrede der leeren Kassen. Die Diskussion muß auch vor dem Hintergrund von Privatisierungstendenzen im Strafvollzug insgesamt und den damit verbundenen Absatzinteressen der Sicherheitsindustrie gesehen werden, die Europa als Wachstumsmarkt betrachtet. Vier Jahre haben die Länder nun Zeit zu experimentieren. Es ist zu hoffen, daß sich in diesen vier Jahren auch eine den Problemen angemessene öffentliche und fachliche Diskussion entwickelt.

Oliver Brüchert, Frankfurt.