Heft 1 / 2000:
status quo vadis
Die Europäische Union zwischen Neoliberalismus und Demokratisierung
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Neuer Lagebericht des Auswärtigen Amtes über Verfolgung von KurdInnen in der Türkei
 

Bei der Entscheidung in Asylverfahren stellen die Lageberichte des Auswärtigen Amtes die wichtigste und meist einzige Informationsquelle dar, derer sich die entscheidenden RichterInnen bedienen. Vor dem Hintergrund dieser erheblichen praktischen Relevanz waren die Berichte in der Vergangenheit oft starker Kritik ausgesetzt.
Erstellt von den deutschen Botschaften vor Ort, boten sie meist keine besonders realistische Einschätzung der Lage in den einzelnen Ländern. Vielmehr waren sie geprägt von außenpolitischer Rücksichtnahme gegenüber den jeweiligen Regierungen und dem innenpolitischen Interesse an einer möglichst geringen Quote aufzunehmender AsylbewerberInnen. Dies wurde besonders deutlich an dem noch im März 1999 gültigen Bericht über die Bundesrepublik Jugoslawien: Während Außenminister Fischer und Kriegsminister Scharping die Massenvertreibungen von Kosovo-AlbanerInnen bereits zum zweiten Auschwitz hochstilisierten, konnte die deutsche Botschaft in Belgrad keinerlei Gruppenverfolgung in der südserbischen Provinz entdecken. AlbanerInnen würden nur bei politischer Aktivität als SeparatistInnen, nicht aber aufgrund ihrer ethnischen Volkszugehörigkeit verfolgt.
Auch wurden teilweise MitarbeiterInnen des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (BaFl) beteiligt. Also Beamte, die bereits von Amts wegen ein geringes Interesse an einer realitätsgetreuen Darstellung haben.
Die Kritik an der bisherigen Praxis führte daher Anfang September zu der Anweisung der rot-grünen Regierung an ihre Auslandsvertretungen, bei ihren Einschätzungen künftig "alle Quellen" zu berücksichtigen. Dazu gehören insbesondere Nichtregierungsorganisationen, örtliche und bundesdeutsche Menschenrechtsorganisationen und Aussagen von Abgeschobenen. Zudem sollen Beamte des BaFl nicht mehr beteiligt werden.
Als erster Prüfstein für diesen grundsätzlich als positiv zu wertenden Schritt wurde der Mitte September veröffentlichte Bericht zur Menschenrechtslage in der Türkei angesehen. Dieser zeichnet zwar ein realitätsnäheres Bild als seine Vorgänger, indem er zahlreiche Fälle von Verfolgung und Folter von aus der BRD abgeschobenen AsylbewerberInnen dokumentiert. Allerdings wird dies keine erheblichen Änderungen der Asylrechtspraxis nach sich ziehen, da es sich hierbei laut Bericht durchweg um Einzelschicksale handelt. Eine Gruppenverfolgung liege nicht vor - der immer noch im Osten des Landes geführte Krieg gegen die Zivilbevölkerung wird also nach wie vor nicht als das bezeichnet, was er ist. Auch entdeckt der jüngste Bericht ausreichend inländische Fluchtalternativen für Bürgerkriegsflüchtlinge, die einem erfolgreichen Asylbegehren in der BRD entgegenstehen.

Tillmann Löhr, Göttingen.