Heft 2 / 2002:
Wach- und Schließgesellschaft
Konsequenzen der Kriminalisierungspolitik
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Mehr Sicherheit durch Sicherungsverwahrung?
 
 

Erläuterung: Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung

Das Instrument der Sicherungsverwahrung stammt noch aus der Zeit von 1933. Es ist zurückzuführen auf die Idee des Franz von Liszt (1851 - 1919), eines führenden Vertreters der soziologischen Strafrechtsschule, im Marburger Programm, wonach das Strafrecht im Rahmen eines zweispurigen Systems in Strafe und Maßregel getrennt sein sollte. Diese Zweispurigkeit bedeutet, dass einerseits die Strafe an die Schuld des Täters gebunden, die Maßregel andererseits von einer Schuld des Täters unabhängig ist. In letztere Kategorie gehört auch die Sicherungsverwahrung. Der Gedanke der Zweispurigkeit ist Grundlage des heutigen Strafrechts geblieben. In der Praxis hat die Trennung von Strafe und Maßregel zur Folge, dass auch schuldunfähige Täter mit einer Maßregel überzogen werden können. Aber auch bei schuldfähigen Tätern ist neben der eigentlichen (Gefängnis-)Strafe eine Maßregel möglich. Dabei hängt die Frage der Anordnung der Sicherungsverwahrung von einer so genannten Gefährlichkeitsprognose im Hauptverfahren ab.

In jüngster Zeit ist dieses Maßregel-Instrument wieder in die Diskussion geraten. In ungewohnter Einigkeit sprechen sich Regierungskoalition und Opposition für eine Ausdehnung des Anwendungsbereiches der Sicherungsverwahrung aus.

Was hat es nun mit dieser Sicherungsverwahrung auf sich? § 66 Strafgesetzbuch (StGB) ermöglicht es, im Strafverfahren neben der Freiheitsstrafe unter bestimmten Voraussetzungen - als "eine der letzten Notmaßnahmen der Kriminalpolitik"1 - auch eine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung anzuordnen. Dieses verfassungsrechtlich 2 abgesegnete Instrument gilt vornehmlich den "bedrohlichen aktiven Hangtätern mit schwerer Delinquenz" 3.

Die Fakten

Zunächst ein Blick auf die Fakten: Insgesamt wird eine Maßregel nach § 66 StGB vergleichsweise selten angewendet. Bundesweit befinden sich nur ca. 200 Verurteilte im Vollzug dieser Maßnahme. Zudem kam die Kriminologische Zentralstelle in Wiesbaden im vergangenen Jahr im Hinblick auf Sexualtäter - eine bedeutende Tätergruppe im Rahmen des § 66 StGB - zu dem etwas überraschend anmutenden Ergebnis, dass die einschlägige Rückfälligkeit bei "nur" 15 bis 20 Prozent liegt. Dabei weisen gerade so genannte innerfamiliäre Täter, die sich also aus dem Verwandten- oder Bekanntenkreis des Opfers rekrutieren, eine besonders geringe Rückfallquote (ca. 10 Prozent) auf. Entsprechend klein ist also der praktische Anwendungsbereich des § 66 StGB.

Neu entfachte Diskussion

§ 66 StGB und die damit verbundene Möglichkeit, einen Straftäter zeitlich unbegrenzt wegzusperren, erregt immer wieder die Gemüter. Da insbesondere Sexualstraftäter und der Schutz vor ihnen im Interesse der Öffentlichkeit stehen, versucht der Gesetzgeber, den Anwendungsbereich der Sicherungsverwahrung weiter auszudehnen - zuletzt durch das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten (SexualdelBekG) vom 26.1.1998. So besteht schon seit 1998 die Möglichkeit, nach der ersten Rückfalltat eine zeitlich unbeschränkte Sicherungsverwahrung neben der Freiheitsstrafe anzuordnen. Hierdurch sollte auf die Stimmung in der Bevölkerung reagiert werden, wo der Wunsch besteht, Sexualstraftäter nach Möglichkeit nicht mehr auf freien Fuß zu setzen: "Die sollen sie auf ewige Zeit wegschließen... Also, von mir aus auch die Todesstrafe." Und: "Wie soll man es sonst machen? Kastration und so ein Scheiß funktioniert ja wohl nicht." 4 Zu diesem Stimmungsbild hat auch die in letzter Zeit ausführliche Berichterstattung bei Kindesmissbrauch in den Medien beigetragen.

Dabei ist es schwierig, das Thema Sicherungsverwahrung, in dessen Bereich auch Sexualdelikte an Kindern fallen, in einer öffentlichen Debatte rational anzugehen. Wird eine solche Tat durch einen bereits einschlägig vorbestraften und wieder entlassenen Täter begangen, überwiegt der Wunsch nach harter Bestrafung vor kriminologischen Überlegungen. Bedenkt man, dass trotz rückläufiger Kriminalitätszahlen die subjektive Angst vor Verbrechen weiter zugenommen hat, eignet sich dieses Kriminalitätsfeld besonders gut, dem Wunsch nach mehr Sicherheit vermeintlich Rechnung zu tragen.

Dies hat auch Bundeskanzler Gerhard Schröder erkannt, als er sich im Juli 2001 nach dem Tod des Mädchens Ulrike in Eberswalde unter dem Beifall der Justiz dafür aussprach, auch eine nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung zu ermöglichen: Der Deutschen Richterbund sah in seiner Stellungnahme zu dem entsprechenden Gesetzesentwurf 5 die Möglichkeit der nachträglichen Anordnung als notwendigen Lückenschluss zum Schutz der Allgemeinheit vor gefährlichen Straftätern an, die sich erst im Strafvollzug als besonders rückfallgefährdet erweisen. Der Bevölkerung wird hierdurch das Gefühl vermittelt, die Politik "tut etwas" - mag der Erfolg auch noch so bescheiden sein.

Bedenken gegen die nachträgliche Anordnung

Was ist eigentlich an einer nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung so bedenklich, wenn es nicht die - verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende - lange Dauer des Freiheitsentzuges ist? Nach geltendem Recht hat der Richter im Zeitpunkt der Aburteilung eine Gefährlichkeitsprognose des Täters vorzunehmen und gegebenenfalls die Sicherungsverwahrung anzuordnen. Nach dem derzeitigen Persönlichkeitsbild muss der Täter als gefährlich/rückfallgefährdet erscheinen, was vor Ende des Vollzuges nochmals geprüft wird. Eine Beurteilung wird also darauf gestützt, wie sich der Verurteilte in seinem alltäglichen Umfeld verhält.

Bei einer nachträglichen Anordnung soll dagegen eine Sicherungsverwahrung auch dann möglich sein, wenn der Täter erst im Laufe des Strafvollzuges auffällig wird. Dann liegt allerdings kein Gutachten aus dem Strafprozess vor. Die erforderliche Gefährlichkeitsprognose kann nur auf das Verhalten des Täters in der Haftanstalt gestützt werden.

Problematisch ist hierbei, dass die im Strafvollzug erstellten Gefährlichkeitsprognosen keine wirklich verlässlichen Indikatoren sind. In der forensischen Psychiatrie ist hinlänglich bekannt, dass sich der eine Straftäter in Haft völlig unauffällig verhalten kann und hinterher hoch gefährlich ist, wohingegen andere sich völlig daneben benehmen und in Freiheit nichts mehr tun 6.

Da das Leben im Gefängnis für die Menschen eine enorme psychische Belastung darstellt, ist deren Verhalten während des Strafvollzuges nicht aussagekräftig darüber, wie sie sich nach ihrer Entlassung verhalten werden. Die Gefahr einer Fehlprognose ist somit bei einer nachträglichen Anordnung hoch. Eine derartige Fehlentscheidung hätte für Häftlinge, die allein im Vollzug rückfallgefährdet erscheinen, es tatsächlich aber nicht sind, fatale Konsequenzen.

Zu bedenken ist aber auch, dass nicht alle Straftäter therapierbar sind. Es handelt sich hierbei um einen harten Kern von etwa 5 bis 10 Prozent. Wie Diplompädagogin Ursula Enders, Leiterin der Beratungsstelle "Zartbitter" in Köln, bestätigt, hat nach Ansicht von Praktikern beispielsweise bei sadistisch veranlagten Tätern, die über Jahre hinweg missbraucht haben, eine Behandlung so gut wie keine Aussicht auf Erfolg. Das kratzt natürlich am kriminologischen Grundverständnis, das von der Resozialisierbarkeit der Inhaftierten ausgeht.

Ohne Frage ist das Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung gegenüber dieser Tätergruppe als überragend anzusehen. Aber es handelt sich hierbei wie gesagt um einen sehr kleinen Personenkreis. Um diesen sicher zu erfassen, wird auf der anderen Seite das Risiko der Fehlprognose in Kauf genommen, die bei in Gefängnissen erstellten Gutachten besteht.

Ungeachtet dieser Bedenken hat Bundesjustizministerin Däubler-Gmelin sich schon seit Beginn des Jahres öffentlich für die Möglichkeit ausgesprochen, dem Sicherheitsinteresse der Gesellschaft durch eine auch nachträglich angeordnete Sicherungsverwahrung Rechnung zu tragen. Dabei ist eine "Vorbehaltslösung" im Gespräch. Das Gericht soll sich bei seinem Urteil die Möglichkeit vorbehalten können, erst später abschließend über die Frage der Sicherungsverwahrung zu entscheiden. Eine endgültige Prüfung soll spätestens sechs Monate vor dem Zeitpunkt, ab dem eine Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung möglich ist, erfolgen. Am 13.3.2002 wurde schließlich vom Bundeskabinett ein entsprechender Gesetzesentwurf5 beschlossen. Die Position der Opposition hierzu ist auch schon klar: die Neuregelung sei eine "Krücke", die bei weitem nicht ausreiche.

Weitere Kritikpunkte

Der Deutsche Anwaltverein (DAV) hat zu der Frage einer nachträglichen Anordnung bereits im März 2001 eine ablehnende Haltung eingenommen. Zum einen werden verfassungsrechtliche Bedenken geäußert, da die Sicherungsverwahrung wegen ihres strafrechtlichen Charakters nach Artikel 74 Abs.1 Nr.1 Grundgesetz der Gesetzgebungskompetenz des Bundes unterfällt. Sie als gefahrenabwehrende Maßnahme einzustufen, die damit in die Gesetzgebungskompetenz der Länder fiele, ist abzulehnen, da die Möglichkeit einer nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung nur in einzelnen Bundesländern nicht den bezweckten Schutz der Gesamtbevölkerung vor gefährlichen Hangtätern erreichen könnte.

Darüber hinaus wird der Entwurf als unverhältnismäßiger Eingriff in die grundrechtlich geschützte Freiheit angesehen. Zudem verstoße die geplante Regelung gegen Art. 5 der Europäischen Menschenrechtskonvention, dem die Bundesrepublik Deutschland durch völkerrechtlichen Vertrag zugestimmt hat. Danach sind freiheitsentziehende Maßnahmen nur in Anknüpfung an ein Strafurteil zulässig. Bei der nachträglich angeordneten Sicherungsverwahrung würde es daran jedoch fehlen. Auch fehle es bei der nachträglichen Anordnung an einer - im Strafverfahren ansonsten als wichtig angesehenen - Laienbeteiligung durch Schöffen.

Fazit

Die Sicherungsverwahrung berührt den grundrechtlichen Freiheitsanspruch des Einzelnen. Einen derartigen Freiheitsanspruch können sicherlich nicht rückfallgefährdete und gefährliche Täter genießen. In diesen Fällen können wohl keine ernsthaften Bedenken gegen eine lebenslängliche Verwahrung bestehen. Aber überwiegt das Schutzinteresse der Bevölkerung - dem sicherlich ein sehr hoher Rang einzuräumen ist - auch dann, wenn die Gefahr von Fehlprognosen besteht? Diese Frage lässt sich dann problemlos bejahen, wenn rückfallgefährdete von therapierbaren Tätern einigermaßen sicher herauszufiltern wären. Dies müsste ein entsprechendes Gesetz gewährleisten. Ob dieses Gesetz mit seinem geringen Anwendungsbereich allerdings hinsichtlich der Kriminalitätsbekämpfung wirklich den Sprung nach vorne bringt, ist zu bezweifeln.

Verena Middelberg lebt in Köln und ist Rechtsreferendarin am LG Wuppertal.

Anmerkungen:

1 vgl. Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen (BGHSt) 30, 222.
2 Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE) 2, 118; 42,1.
3 vgl. Fischer in Tröndle/Fischer, Kommentar zum Strafgesetzbuch, 49. Auflage 1999, § 66 Rn.2.
4 Straßenumfrage des Radiosenders Deutschlandfunk vom 25.7.2001.
5 Bundestagsdrucksache 14/6709.
6 Prof. Dr. Norbert Leygraf, Institut für forensische Psychiatrie, Uni Essen, Interview im Deutschlandfunk vom 28.10.2001.