Heft 2 / 1996:
Umbau ohne Unterbau
Aspekte der Sozialpolitik
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Susanne Dern
Recht zur Eheschließung auch für gleichgeschlechtliche Paare?
 

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen brachte Ende letzten Jahres einen Gesetzesentwurf zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts in den Bundestag ein.
Dessen Kernpunkt bildet die Neufassung des § 1353 Abs. 1 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB): "Die Ehe wird von zwei Personen verschiedenen oder gleichen Geschlechts auf Lebenszeit geschlossen." Die Notwendigkeit einer Gesetzesänderung ergibt sich a us der rechtlichen Situation der Lesben und Schwulen: Sie besitzen keinen Angehörigenstatus. So steht ihnen kein Zeugnisverweigerungsrecht zu. Im Krankheitsfall erhalten sie keine Auskünfte von Krankenhäusern oder Behörden. Nach dem Tod der Partnerin/des P artners können sie keine Versorgungsansprüche geltend machen. Ein gesetzliches Erbrecht ist nur für Ehegatten vorgesehen. Auch arbeitsrechtlich und mietrechtlich liegen Benachteiligungen vor. Die besondere Position von homosexuellen Paaren besteht nun dari n, daß sie sich dieser Diskriminierung nicht wie Heterosexuelle durch Eheschließung oder Scheinverlobung entziehen können.
Schon 1994 forderte das Europäische Parlament die Mitgliedstaaten dazu auf, homosexuelle Paare zur Eheschließung oder zu entsprechenden Regelungen zuzulassen. So gibt es z. B. in Norwegen, Dänemark und Schweden bereits die Möglichkeit von "registrierten Pa rtnerschaften" für Schwule und Lesben, in die weitgehend eherechtliche Regelungen übernommen wurden.
Niedersachen startete 1995 eine dementsprechende Bundesratsinitiative.
Die Ehe besitzt in heutiger Zeit nicht mehr eine Familiengründungsfunktion als "Keimzelle des Staates". Die Privilegierung einer bestimmten Zweierbeziehung zwischen heterosexuellen Erwachsenen läßt sich auch nicht mit der steigenden Pluralität der Lebensfo rmen vereinbaren. Außerdem schließt das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 4.10.93 lediglich eine Verpflichtung, nicht aber das Recht des Gesetzgebers zur Öffnung der Ehe aus.
Zwar verbirgt sich in der Forderung des Eheschließungsrechts für Schwule und Lesben gleichzeitig eine Akzeptanz des "geschlechtshierarchischen Herrschaftsmodells der Ehe", jedoch läge in der Schaffung der "registrierten Partnerschaft" für Homosexuelle nebe n der Ehe gerade eine Manifestation des Eheverbotes für Schwule und Lesben und damit eine fortgesetzte Diskriminierung.
Eine völlige Gleichheit von homo- und heterosexuellen Lebensgemeinschaften läßt sich also nur durch die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare erreichen.

Susanne Dern, Regensburg

Quellen und Literatur:

(Bündnis 90/Grüne-Gesetzesentwurf) Bundestagsdrucksache (BT-Drs.) 13/2728.
BVerfG-Urteil in: Neue Juristische Wochenschrift 93, 3058.
(sonstige Diskussionsbeiträge) Entschließung des EU-Parlaments, BT-Drs. 12/7069; Gesetzesentwurf des Bundesverbands Homosexualität, STREIT 4/94, 180;
Bode, Malin, Einwanderung durch zwei Brautschleier?, STREIT 4/94, 171.
Oberlies, Dagmar, Über Schweinchen im Tempel und andere Tabuverletzungen, STREIT 4/94, 172; Reiß, Stefan, Öffnung der Ehe für LesbenundSchwule, KritischeJustiz 4/94, 98