Heft 2 / 1996:
Umbau ohne Unterbau
Aspekte der Sozialpolitik
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Annette Neidull
Das Bosman-Urteil - Eine Katastrophe für den Fußball?
 

Für die europäische Fußballwelt gibt es seit dem 15.12.95 ein gemeinsames Feindbild: den Europäischen Gerichtshof (EuGH). Zwei zentrale Pfeiler des Profifußballs verstoßen nach Ansicht des EuGH nämlich gegen europäisches Recht: Zum einen das Transfersystem , bei dem der neue Verein einem Kicker/einer Kickerin horrende Summen an den abgebenden Verein zahlen muß, zum anderen die Limitierung von (EU-) ausländischen SpielerInnen pro Verein durch sogenannte AusländerInnenklauseln.
Der EuGH trotzte mit seinem Urteil dem Aufschrei deutscher und europäischer FußballfunktionärInnen. FC Bayern-Manager Hoeneß sah "mittelfristig das ganze System kaputtgehen" und Werder Bremen-Manager Lemke prognostizierte eine "Katastrophe für die deutsche Nationalmannschaft".
Anlaß für das EuGH-Urteil war eine Vorlage des Lütticher Berufungsgerichts, bei dem eine Schadenersatzklage des Fußballprofis Jean Marc Bosman gegen seinen früheren Verein RC Lüttich anhängig war. Bosman wollte nach Ablauf seines Vertrages zum französische n Zweitligisten US Dünkirchen wechseln. Der Transfer war aber geplatzt, weil der RC Lüttich an der Zahlungsfähigkeit Dünkirchens zweifelte und keine Freigabebescheinigung beantragte. Diese aber war Voraussetzung für einen Vereinswechsel. Bosman, der auch i n Lüttich nicht mehr aufgestellt wurde, wurde arbeitslos.
Die europäische Fußballverband UEFA bezweifelte zuerst die Zuständigkeit des EuGH in Fußballfragen überhaupt. Der EuGH ließ jedoch keinen Zweifel daran, daß ProfifußballerInnen, ganz normale ArbeitnehmerInnen im Sinne des EG-Vertrags seien.
Bei Vereinswechseln (auch nach Vertragsende) mußte bisher in der Regel eine Ablösesumme bezahlt werden, die laut UEFA eine Ausbildungs- und Förderungsentschädigung sein soll. Das überzeugte den EuGH jedoch nicht, da sich die Transfersumme nicht nach den ta tsächlichen Ausbildungskosten bemaß, sondern nach Gehalt und Alter der jeweiligen SpielerInnen. Da bei diesem System die freie Wahl des Arbeitsplatzes nicht gewährleistet ist, muß laut EuGH jetzt ein anderes Regulativ gefunden werden, um die Ausbildung und Aufstellung junger SpielerInnen zu fördern und um ein Gleichgewicht zwischen kapitalschwachen und kapitalstarken Vereinen zu gewährleisten.
Abgeschafft ist das Ablösesystem durch das EuGH-Urteil allerdings nur für EU-grenzüberschreitende Transfers. National bleibt es paradoxerweise vorerst erhalten, soweit reichen die Kompetenzen des EuGH dann doch nicht.
Auch die von der EU-Kommission schon mehrmals erfolglos gerügten "AusländerInnenklauseln" verstoßen gegen die ArbeitnehmerInnenfreiheit. Reiche Vereine könnten jetzt also die europaweit besten Spieler konzentrieren, selbst wenn es sich ausschließlich um EU -AusländerInnen handelt. Nur bei Nationalmannschaftsspielen können weiterhin ausländische SpielerInnen ausgeschlossen werden.
Die UEFA hat, nachdem sie zuerst gegen das Urteil Sturm gelaufen war, jetzt der Kommission zugesagt, die bestehenden Transferregelungen abzuschaffen. Es könnte allerdings sein, daß versucht wird, das Verbot der Ausländerdiskriminierung durch neue Regelunge n zu umdribbeln. So hatte etwa der Deutscher Fußballbund-Ligaausschuß vorgeschlagen, Bundesligavereine zu verpflichten, mindestens zwölf LizenzspielerInnen deutscher Staatsangehörigkeit unter Vertrag zu nehmen.

Annette Neidull, Gießen

Quellen und Literatur:

(Dokumentation des Urteils) Europäische Zeitung für Wirtschaftsrecht (EuZW) 96, 82-92
(zu den jüngsten Entwicklungen) Handelsblatt vom 5. 3. 96