Heft 2 / 1996:
Umbau ohne Unterbau
Aspekte der Sozialpolitik
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Friederike Wapler
NS-RichterInnen beugten doch Recht
 

Eigentlich sollte Hans Reinwarth sich freuen. Zwar muß er hinter Gitter, aber immerhin hat er den Bundesgerichtshof (BGH) zu einem längst überfälligen Eingeständnis gebracht: Die strafrechtliche Aufarbeitung der NS-Justiz hat nicht stattgefunden, und schuld daran war nicht zuletzt der BGH. Eine richtige Erkenntnis. Denn Verfahren gegen NS-RichterInnen wegen Rechtsbeugung scheiterten in der Vergangenheit regelmäßig am Vorsatz: Die TäterInnen hätten geglaubt, auf dem Boden der Rechtsordnung zu stehen. Sprich: Je verblendeter der Nazi, desto geringer seine angenommene Fähigkeit, die Unmenschlichkeit seiner Urteile zu erkennen, und desto wahrscheinlicher der Freispruch. Nun sieht der BGH das anders. In seinem Urteil vom 16. November 1995 (Aktenzeichen: 5 StR 74 7/94) verurteilt er Reinwarth, pensionierter Richter der ehemaligen DDR, wegen Rechtsbeugung zu drei Jahren und neun Monaten Haft. Reinwarth hatte als beisitzender Richter des obersten Gerichts der DDR in den Jahren 1954 bis 1956 an drei Todesurteilen wege n Spionageverbrechen mitgewirkt, von denen zwei vollstreckt wurden. Die Mitglieder des Fünften Senats nahmen seinen Fall zum Anlaß, sich mit der mißglückten Aufarbeitung der NS-Rechtsprechung und vor allem mit den Todesurteilen des Volksgerichtshofs ausein anderzusetzen. Sie kamen dabei zu dem Ergebnis, daß die folgsame "Einordnung in ein Unrechtssystem" den Rechtsbeugungsvorsatz nicht ausschließt. Und: "Hätte sich die Rechtsprechung schon damals [É] an Kriterien orientiert, wie sie der Senat in seiner heuti gen Entscheidung für Recht erkennt, hätte eine Vielzahl ehemaliger NS-Richter strafrechtlich [É] zur Verantwortung gezogen werden müssen [É] Darin, daß dies nicht geschehen ist, liegt ein folgenschweres Versagen bundesdeutscher Strafjustiz." Eine späte Ein sicht, aber immerhin eine Einsicht. Ein leichtes Unbehagen bleibt. Hat doch Reinwarth, engagierter Gegner des Nationalsozialismus, selbst im KZ gesessen und wurde damit zum Opfer der NS-Justiz. Deren VertreterInnen hingegen tut die richterliche Reue nicht mehr weh. Was das Reuen vermutlich erleichtert.

Friederike Wapler, Göttingen

Quelle:

(Dokumentation des Urteils) Frankfurter Rundschau v. 5. 1. 96