|  | Helga S. ist verzweifelt. Wir schreiben das Jahr 1998, und die engagierte 
        Bibliothekarin erwartet eine dreijährige Haftstrafe. Bei einer Demonstration 
        vor der Bundeswehrkaserne ihres Heimatortes hatte sie ein Transparent 
        entrollt: "Soldaten sind Mörder!". Vor der drohenden Gefängnisstrafe flüchtet 
        sie schließlich nach Ghana, um dort politisches Asyl zu beantragen. Wird es derartige Fälle in Zukunft häufiger geben? Auf den ersten Blick 
        ist dies zu befürchten. Schließlich soll demnächst dem Strafgesetzbuch 
        (StGB) der § 109b hinzugefügt werden. Die Norm soll folgendermaßen lauten: 
        "Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreitung von Schriften 
        Soldaten in Beziehung auf ihren Dienst in einer Weise verunglimpft, die 
        geeignet ist, das Ansehen der Bundeswehr oder ihrer Soldaten in der öffentlichen 
        Meinung herabzuwürdigen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder 
        mit Geldstrafe bestraft."
 Damit reagiert die Regierungskoalition auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts 
        (BVerfG), demzufolge der Ausspruch "Soldaten sind Mörder" zumindest dann 
        straffrei bleiben kann, wenn der Berufsstand an sich und nicht die "Soldaten 
        der Bundeswehr" im speziellen gemeint waren. Die neue Formulierung soll 
        sicherstellen, daß künftig im ersten Schritt alle soldatenkritischen Äußerungen 
        erfaßt werden - egal auf welche Armee sie sich beziehen.
 Erst im zweiten Schritt kommt dann das Ansehen der Bundeswehr ins Spiel. 
        Ob damit gegenüber der bisherigen Verfolgung wegen Kollektivbeleidigung 
        tatsächlich eine Ausweitung der Strafbarkeit erreicht werden kann, ist 
        schon angesichts des komplizierten Tatbestandes zweifelhaft.
 Immerhin hat es die Regierung aus populistischen Gründen vorgezogen, mit 
        dieser Vorschrift eine weitere strafrechtliche Regulierung von Meinungsäußerungen 
        vorzunehmen, anstatt sich für ein Grundrecht einzusetzen, das schlechthin 
        konstituierend für die freiheitlich-demokratische Ordnung ist.
 Einem exzessiven Gebrauch des neuen § 109b StGB steht allerdings nicht 
        nur dessen Komplexität, sondern auch das Verfassungsrecht entgegen: auch 
        die neue Norm ist verfassungskonform auszulegen. Dabei muß eine Güterabwägung 
        zwischen der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Grundgesetz) und dem durch 
        § 109b StGB geschützten Rechtsgut vorgenommen werden.
 Dabei ist nach der Rechtsprechung des BVerfG zugunsten der Meinungsfreiheit 
        zu berücksichtigen, ob von dem Grundrecht in Bezug auf eine die Öffentlichkeit 
        wesentlich berührende Frage Gebrauch gemacht wird. Bei dem Widerstreit 
        von Wehrbereitschaft und Pazifismus handelt es sich um eine solche Frage, 
        bei der eine Vermutung zugunsten der freien Rede spricht.
 Außerdem verbietet Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz eine Auslegung, von 
        der ein abschreckender Effekt auf den Gebrauch des Grundrechts ausgeht, 
        der dazu führt, daß aus Angst vor Bestrafung eine zulässige Kritik unterbleibt. 
        Dabei muß auch berücksichtigt werden, daß das Grundrecht der Meinungsfreiheit 
        seine Bedeutung vor allem in dem Schutz der Machtkritik, also der Kritik 
        an staatlichen Einrichtungen, wie der Bundeswehr findet.
 Die Sinnlosigkeit einer "Lex Bundeswehr" hatte sogar der Bundesjustizminister 
        vorhergesagt, was ihn dann allerdings nicht daran hinderte, fünf Tage 
        später dem Bundeskabinett einen Vorschlag exakt für ein solches Gesetz 
        vorzulegen.
 Florian Hammel, Regensburg  Quellen und Literatur:  (zum Gesetzentwurf) Süddeutsche Zeitung vom 23.3.96. (zum "Soldaten sind Mörder"-Urteil des BVerfG) Bundesverfassungsgericht 
        in Neue Juristische Wochenschrift 95, 3303; Forum Recht 1/96, 29; tageszeitung 
        8.11.95.
 (zur Meinungsfreiheit) Entscheidungen des BVerfG 21. Band, 239, 243.
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