Heft 3 / 1996:
NS-Recht und Aufarbeitung
xxx

Florian Hammel
Soldaten sollen keine Mörder mehr sein
 

Helga S. ist verzweifelt. Wir schreiben das Jahr 1998, und die engagierte Bibliothekarin erwartet eine dreijährige Haftstrafe. Bei einer Demonstration vor der Bundeswehrkaserne ihres Heimatortes hatte sie ein Transparent entrollt: "Soldaten sind Mörder!". Vor der drohenden Gefängnisstrafe flüchtet sie schließlich nach Ghana, um dort politisches Asyl zu beantragen.
Wird es derartige Fälle in Zukunft häufiger geben? Auf den ersten Blick ist dies zu befürchten. Schließlich soll demnächst dem Strafgesetzbuch (StGB) der § 109b hinzugefügt werden. Die Norm soll folgendermaßen lauten: "Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreitung von Schriften Soldaten in Beziehung auf ihren Dienst in einer Weise verunglimpft, die geeignet ist, das Ansehen der Bundeswehr oder ihrer Soldaten in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft."
Damit reagiert die Regierungskoalition auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), demzufolge der Ausspruch "Soldaten sind Mörder" zumindest dann straffrei bleiben kann, wenn der Berufsstand an sich und nicht die "Soldaten der Bundeswehr" im speziellen gemeint waren. Die neue Formulierung soll sicherstellen, daß künftig im ersten Schritt alle soldatenkritischen Äußerungen erfaßt werden - egal auf welche Armee sie sich beziehen.
Erst im zweiten Schritt kommt dann das Ansehen der Bundeswehr ins Spiel. Ob damit gegenüber der bisherigen Verfolgung wegen Kollektivbeleidigung tatsächlich eine Ausweitung der Strafbarkeit erreicht werden kann, ist schon angesichts des komplizierten Tatbestandes zweifelhaft.
Immerhin hat es die Regierung aus populistischen Gründen vorgezogen, mit dieser Vorschrift eine weitere strafrechtliche Regulierung von Meinungsäußerungen vorzunehmen, anstatt sich für ein Grundrecht einzusetzen, das schlechthin konstituierend für die freiheitlich-demokratische Ordnung ist.
Einem exzessiven Gebrauch des neuen § 109b StGB steht allerdings nicht nur dessen Komplexität, sondern auch das Verfassungsrecht entgegen: auch die neue Norm ist verfassungskonform auszulegen. Dabei muß eine Güterabwägung zwischen der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Grundgesetz) und dem durch § 109b StGB geschützten Rechtsgut vorgenommen werden.
Dabei ist nach der Rechtsprechung des BVerfG zugunsten der Meinungsfreiheit zu berücksichtigen, ob von dem Grundrecht in Bezug auf eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Frage Gebrauch gemacht wird. Bei dem Widerstreit von Wehrbereitschaft und Pazifismus handelt es sich um eine solche Frage, bei der eine Vermutung zugunsten der freien Rede spricht.
Außerdem verbietet Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz eine Auslegung, von der ein abschreckender Effekt auf den Gebrauch des Grundrechts ausgeht, der dazu führt, daß aus Angst vor Bestrafung eine zulässige Kritik unterbleibt. Dabei muß auch berücksichtigt werden, daß das Grundrecht der Meinungsfreiheit seine Bedeutung vor allem in dem Schutz der Machtkritik, also der Kritik an staatlichen Einrichtungen, wie der Bundeswehr findet.
Die Sinnlosigkeit einer "Lex Bundeswehr" hatte sogar der Bundesjustizminister vorhergesagt, was ihn dann allerdings nicht daran hinderte, fünf Tage später dem Bundeskabinett einen Vorschlag exakt für ein solches Gesetz vorzulegen.

Florian Hammel, Regensburg

Quellen und Literatur:

(zum Gesetzentwurf) Süddeutsche Zeitung vom 23.3.96.
(zum "Soldaten sind Mörder"-Urteil des BVerfG) Bundesverfassungsgericht in Neue Juristische Wochenschrift 95, 3303; Forum Recht 1/96, 29; tageszeitung 8.11.95.
(zur Meinungsfreiheit) Entscheidungen des BVerfG 21. Band, 239, 243.