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Vergewaltigung in der Ehe ist jetzt auch strafrechtlich eine Vergewaltigung.
Die bisherige sexuelle Nötigung und Vergewaltigung sind in einem Tatbestand
zusammengefaßt. Der neue § 177 Strafgesetzbuch umfaßt beispielsweise auch
erzwungenen Oral- oder Analverkehr als Vergewaltigung und ist geschlechtsneutral
abgefaßt. Auch Männer können also Opfer sein.
Außerdem wurde der Gewaltbegriff erweitert, indem das "Ausnutzen einer
hilflosen Lage" in den Gesetzestext aufgenommen ist. Den Gerichten dürfte
es so zumindest schwerer fallen, den Verzicht auf Gegenwehr des Opfers
dem Täter zugute kommen zu lassen. Der Strafrahmen beträgt zwei bis fünfzehn
Jahre - eine Aussetzung zur Bewährung ist also regelmäßig ausgeschlossen.
So weit, so angemessen.
Obwohl es sich bei der Vergewaltigung jetzt um ein Verbrechen und damit
um ein Offizialdelikt handelt, kann die vergewaltigte Ehefrau die strafrechtliche
Verfolgung ihres Mannes bis zur Hauptverhandlung noch verhindern. Sie
muß eine entsprechende Erklärung vor dem Staatsanwalt/der Staatsanwältin
und dem/der Vorsitzenden RichterIn abgeben. Daß dieses durch die Widerspruchsklausel
gewährte "Recht" die Ehefrau dem verschärften Druck des Täters aussetzt,
wird von der Koalition schlicht bestritten. Ursprünglich sollte sogar
nur ein schriftlicher Widerspruch genügen. Angeblich soll so der verfassungsrechtliche
Schutz der Familie gewährleistet werden. Besonders unverschämt ist auch
die Diskriminierung behinderter Frauen, deren Vergewaltigung nur mit einem
Jahr Mindeststrafe bedroht ist.
Insgesamt handelt es sich also um eine Reform, die diesen Namen nicht
verdient. Ob die Gesetzesänderung punktuell eine Verbesserung für die
Opfer sexueller Gewalt im Strafverfahren bringt, wird erst die Auslegung
durch die Gerichte zeigen. Von einer breiten Öffentlichkeit, beispielsweise
auch dem 22. Feministischen Juristinnentag, wurde sie zurecht abgelehnt.
Ein Recht auf sexuelle Selbstbestimmung kann durch die Einführung zweier
Klassen von Vergewaltigungen jedenfalls nicht gewährleistet werden.
Annette Neidull, Gießen
Quellen und Literatur:
Sophie Hack, Kein Grund zum Jubeln - Die Sexualdelikte werden reformiert,
Forum Recht 4/95, 135; Frankfurter Rundschau, 9.5.96, tageszeitung 7.5.96
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