Heft 3 / 1996:
NS-Recht und Aufarbeitung
xxx

Annette Neidull
Eine Reform des Sexualstrafrechts, die keine ist
 

Vergewaltigung in der Ehe ist jetzt auch strafrechtlich eine Vergewaltigung. Die bisherige sexuelle Nötigung und Vergewaltigung sind in einem Tatbestand zusammengefaßt. Der neue § 177 Strafgesetzbuch umfaßt beispielsweise auch erzwungenen Oral- oder Analverkehr als Vergewaltigung und ist geschlechtsneutral abgefaßt. Auch Männer können also Opfer sein.
Außerdem wurde der Gewaltbegriff erweitert, indem das "Ausnutzen einer hilflosen Lage" in den Gesetzestext aufgenommen ist. Den Gerichten dürfte es so zumindest schwerer fallen, den Verzicht auf Gegenwehr des Opfers dem Täter zugute kommen zu lassen. Der Strafrahmen beträgt zwei bis fünfzehn Jahre - eine Aussetzung zur Bewährung ist also regelmäßig ausgeschlossen. So weit, so angemessen.
Obwohl es sich bei der Vergewaltigung jetzt um ein Verbrechen und damit um ein Offizialdelikt handelt, kann die vergewaltigte Ehefrau die strafrechtliche Verfolgung ihres Mannes bis zur Hauptverhandlung noch verhindern. Sie muß eine entsprechende Erklärung vor dem Staatsanwalt/der Staatsanwältin und dem/der Vorsitzenden RichterIn abgeben. Daß dieses durch die Widerspruchsklausel gewährte "Recht" die Ehefrau dem verschärften Druck des Täters aussetzt, wird von der Koalition schlicht bestritten. Ursprünglich sollte sogar nur ein schriftlicher Widerspruch genügen. Angeblich soll so der verfassungsrechtliche Schutz der Familie gewährleistet werden. Besonders unverschämt ist auch die Diskriminierung behinderter Frauen, deren Vergewaltigung nur mit einem Jahr Mindeststrafe bedroht ist.
Insgesamt handelt es sich also um eine Reform, die diesen Namen nicht verdient. Ob die Gesetzesänderung punktuell eine Verbesserung für die Opfer sexueller Gewalt im Strafverfahren bringt, wird erst die Auslegung durch die Gerichte zeigen. Von einer breiten Öffentlichkeit, beispielsweise auch dem 22. Feministischen Juristinnentag, wurde sie zurecht abgelehnt. Ein Recht auf sexuelle Selbstbestimmung kann durch die Einführung zweier Klassen von Vergewaltigungen jedenfalls nicht gewährleistet werden.

Annette Neidull, Gießen

Quellen und Literatur:

Sophie Hack, Kein Grund zum Jubeln - Die Sexualdelikte werden reformiert, Forum Recht 4/95, 135; Frankfurter Rundschau, 9.5.96, tageszeitung 7.5.96