Heft 3 / 1996:
NS-Recht und Aufarbeitung
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Susanne Zühlke
Kriegsverbrechen vor Gericht
 

Am 8. Mai 1996 begann in Den Haag der erste Prozeß gegen einen mutmaßlichen Kriegsverbrecher vor dem Internationalen Strafgerichtshof für Jugoslawien. Dem Serben Dusan Tadic werden mehrfache Morde und Folter in Gefangenenlagern der Region Prijedor (Nordbosnien) vorgeworfen.
Insgesamt 57 mutmaßliche Kriegsverbrecher stehen bisher auf der Anklageliste des Tribunals, unter ihnen Radovan Karadzic, Führer der bosnischen Serben und sein General Ratko Mladic.
Allerdings wurden erst wenige Angeklagte festgenommen und nach Den Haag überstellt, Karadzic und Mladic sind weiterhin politisch aktiv. Das 1993 eingerichtete Tribunal ist das erste seiner Art seit 50 Jahren, nach den Prozessen von Nürnberg und Tokio. 1994 wurde wegen des Völkermordes in Ruanda auch dort ein Internationaler Strafgerichtshof (Sitz: Arusha, Tansania) errichtet. Beide stehen juristisch auf den tönernen Füßen eines ad-hoc-Gerichts und politisch auf dem schwankenden Boden der Kooperationsbereitschaft der Mächtigen im ehemaligen Kriegsgebiet.
Allerdings hat der Jugoslawiengerichtshof nunmehr in einem Zwischenverfahren des Tadic-Pozesses die Rechtmäßigkeit seiner Einrichtung durch die Resolution 927 des Sicherheitsrates in beiden Instanzen bestätigt. Die Anklagevertretung steht jedoch vor weiteren Schwierigkeiten. Die angeklagten Straftaten, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 2-5 Statut), haben ihre Rechtsgrundlage im Völkergewohnheitsrecht, dessen Nachweis erheblichen juristischen Argumentationsaufwand erfordert. Dagegen kann das durch den Sicherheitsrat nach Kapitel VII der UN-Charta beschlossene Statut allein als Quelle der Straftatbestände nicht dienen, weil der Sicherheitsrat ausdrücklich nur bestehendes Völkerrecht normieren wollte.
Entscheidend für den Ausgang des Prozesses dürfte aber das Problem sein, Opfer und Zeugen, angesichts fortdauernder politischer Macht der Kriegsherren, aufzufinden und zu einer Aussage gegen ihre Peiniger zu bewegen, ein Problem, das im Tadic-Prozeß bereits zum Verzicht auf den Anklagepunkt der Vergewaltigung geführt hat.
Schwierigkeiten für die Verteidigung ergeben sich zum einen aus der nur eingeschränkten Möglichkeit, eigenständige Ermittlungen am angeblichen Tatort vorzunehmen, der Furcht von möglichen Entlastungszeugen vor eigener Verhaftung und dem Verdunkelungsinteresse der (immer noch) politisch Mächtigen, zum anderen aber auch aus Beschränkungen im Prozeß. So soll etwa die Identität einzelner Belastungszeugen aus Gründen des Zeugenschutzes vor dem Angeklagten und seinem Verteidiger geheimgehalten werden können. Daß dies dem Angeklagten die Hinterfragung einer solchen Aussage nahezu unmöglich macht, liegt auf der Hand.
Die Akzeptanz des Tribunals wird vor allem davon abhängen, ob es gelingt, Kriegsverbrecher aller Kriegsparteien und auch die Prominenteren der Beschuldigten vor die Schranken des Tribunals zu zwingen. Aber auch die genaue Einhaltung der Grundsätze eines fairen Verfahrens werden die Akzeptanz des Gerichtshofs maßgeblich beeinflussen.

Susanne Zühlke, Potsdam

Quellen und Literatur:

(zum Prozeßbeginn) Frankfurter Rundschau v. 7.5.96, 8.5.96; Spiegel Nr. 20/96, 150.
(zum Statut des Jugoslawientribunals) UN-Doc. S/25704, annex = 32 International Legal Materials, 1993, 1192 f.
(Zum Vorverfahren im Tadic-Prozeß) Aldrich, G., 90 American Journal of International Law (AJIL), 96, 64.
(Zur Geheimhaltung der Identität der Belastungszeugen) Leigh, M., 90 AJIL, 96, 235.