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Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat am 10. April 1997 zwei angegriffene
Elemente des Bundeswahlgesetzes (BWG), die ausgleichslosen Überhangmandate
und die Grundmandatsklausel, für verfassungsgemäß erklärt.
Die Entscheidung über die Überhangmandate fiel mit Stimmengleichheit,
so daß kein Verstoß gegen das Grundgesetz festgestellt werden kann. Überhangmandate
entstehen im System der personalisierten Verhältniswahl, wenn eine Partei
in einem Bundesland per Erststimme mehr Direktmandate erringt als ihr
Listenplätze nach dem Zweitstimmenanteil zustehen. Dann verbleiben ihr
die "überschießenden" Mandate nach § 6 Abs. 5 BWG. Eine Regelung über
Ausgleichsmandate, wie sie in vergleichbaren Wahlgesetzen der Bundesländer
zumindest in beschränktem Umfang vorgesehen ist, fehlt auf Bundesebene.
Bei der Bundestagswahl 1994 fielen insgesamt 16 Überhangmandate an, zwölf
für die CDU und vier für die SPD, was dazu führte, daß die Mehrheit der
Regierungskoalition von zwei auf zehn Sitze stieg.
Die vier der Union nahestehenden RichterInnen begründen ihr Votum damit,
daß dem Gesetzgeber bei der Gestaltung des Wahlrechts ein weiter Spielraum
eingeräumt sei, der durch den Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit gem.
Art. 38 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz, wonach jede Stimme den gleichen Zählwert
und die gleiche rechtliche Erfolgschance haben muß, begrenzt wird. Bei
Überhangmandaten handele es sich um zusätzliche Direktmandate, nicht um
weitere Listenplätze. Das Gebot der Erfolgswertgleichheit sei daher nicht
verletzt. Als Obergrenze für Überhangmandate werden fünf Prozent der Parlamentssitze
vorgeschlagen. Nach abweichender Ansicht von vier RichterInnen stellen
Überhangmandate zusätzliche Listenplätze dar, die nur in engen Grenzen
zulässig seien, weil sie das Prinzip aushöhlten, wonach nur der Zweitstimmenanteil
über die Sitzverteilung im Parlament entscheidet. Ohne Zuteilung von Ausgleichsmandaten
oder der landeslistenübergreifenden Verrechnung von Überhangmandaten sei
die Wahlrechtsgleichheit verletzt und das BWG verfassungswidrig.
Die Entscheidung über die Grundmandatsklausel (§ 6 Abs. 6 BWG), die der
PDS 1994 den Einzug in den Bundestag ermöglichte, fiel einstimmig. Die
Regelung, Parteien mit drei Direktmandaten auch bei Verfehlen der Fünf-Prozent-Klausel
entsprechend ihrem Anteil an Zweitstimmen ins Parlament einziehen zu lassen,
stehe im Ermessen des Gesetzgebers. Die Fünf-Prozent-Sperrklausel selbst
hält das BVerfG für gerechtfertigt, um die Funktionsfähigkeit des Parlaments
zu gewährleisten. Das Gericht sieht in der Grundmandatsklausel eine zulässige
Ausnahme von der Sperrklausel, weil die Erringung von drei Direktmandaten
ein Indiz dafür sei, daß die Partei besondere Anliegen aufgegriffen hat,
die eine Repräsentanz im Parlament in Höhe des Zweitstimmenanteils rechtfertigen.
Stefan Soost, Göttingen
Quellen:
Pressemitteilung des BVerfG Nr. 31/97 v. 10.04.1997, abgedruckt in: Neue
Juristische Wochenschrift (NJW) 1997, Heft 18, S. XIV ff.; Tageszeitungen
v. 11.04.1997.
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