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Muß die Wehrpflicht abgeschafft werden? Ja, meint das Landgericht Potsdam.
Im März setzte es im Prozeß gegen einen Totalverweigerer das Verfahren
mit der Begründung aus, die allgemeine Wehrpflicht sei ein unverhältnismäßiger
Eingriff in die Grundrechte des Wehrpflichtigen und daher verfassungswidrig.
Der 30-jährige Jurastudent war im Mai 1998 in erster Instanz wegen Dienstflucht
vom Zivildienst zu einer Geldstrafe verurteilt worden. In zweiter Instanz
hob das Landgericht Potsdam das Urteil auf und stellte fest, daß die Wehrpflicht
verfassungswidrig sei, denn der mit ihr verbundene Eingriff in die persönliche
Freiheit sei angesichts der veränderten Sicherheitslage der Bundesrepublik
Deutschland nach 1989 nicht mehr gerechtfertigt. Auch eine Freiwilligenarmee
könne die Verteidigungsaufgaben erfüllen, deshalb sei der mit der Wehrpflicht
verbundene Eingriff in die Grundrechte unverhältnismäßig und nicht mit
dem Grundgesetz (GG) vereinbar.
Diese Frage wird nun dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt.
Widerspruch erntete das Urteil bei CDU und SPD. Der CDU- Bundestagsabgeordnete
und Grundgesetzkommentator Scholz nannte das Urteil absurd. Die Wehrpflicht
sei in der Verfassung verankert (Art. 12a GG) und könne daher nicht verfassungswidrig
sein. Auch Verteidigungsminister Scharping meinte, das Urteil werde keinen
Bestand haben. Er halte an der allgemeinen Wehrpflicht fest, auch weil
sie Deutschland vor einem Anspruch auf weltweites militärisches Engagement
schütze. Die Verteidigungsexpertin der Grünen Beer nannte die Entscheidung
längst überfällig. Die Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär
rechnet mit einem weiteren Akzeptanzverlust der Wehrpflicht und ansteigenden
Verweigerungszahlen. Das Bundesverfassungsgericht entschied schon mehrmals,
daß die Wehrpflicht verfassungskonform sei, zuletzt 1978, wobei es allerdings
betonte, daß auch ein Freiwilligenheer verfassungsmäßig wäre. Die Entscheidung
liegt gemäß Art. 12a GG beim Gesetzgeber. Laut Bundesverfassungsgericht
kommt es dabei jedoch nicht auf die Stärke der Landesverteidigung an,
sondern darauf, das Gefühl der Mitverantwortung für die Allgemeinheit
zu stärken. An diesem Ziel hat sich wohl auch nach Ende des Kalten Krieges
nichts geändert. Das Bundesverfassungsgericht wird wahrscheinlich an seiner
Rechtsprechung festhalten.
Hoffentlich regt dieses Urteil zumindest eine gesellschaftliche Diskussion
über die Wehrpflicht an, die besonders vor dem Hintergrund des Kosovokrieges
aktuell ist.
Tessa Fuhrhop, Göttingen
Quellen:
taz vom 22.3.99, 24.3.99; Süddeutsche Zeitung vom 23.3.99; General Anzeiger
vom 22.3.99; Pressemitteilungen der Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste
und Militär vom 16. und 19.3.99; BverfGE 12,45,50; 48,127,159ff.
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