Heft 3 / 1999:
Globalize it!
Beiträge zu einer grenzenlosen Debatte
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Tessa Fuhrhop
Wehrpflicht ist verfassungswidrig
 

Muß die Wehrpflicht abgeschafft werden? Ja, meint das Landgericht Potsdam. Im März setzte es im Prozeß gegen einen Totalverweigerer das Verfahren mit der Begründung aus, die allgemeine Wehrpflicht sei ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Grundrechte des Wehrpflichtigen und daher verfassungswidrig.
Der 30-jährige Jurastudent war im Mai 1998 in erster Instanz wegen Dienstflucht vom Zivildienst zu einer Geldstrafe verurteilt worden. In zweiter Instanz hob das Landgericht Potsdam das Urteil auf und stellte fest, daß die Wehrpflicht verfassungswidrig sei, denn der mit ihr verbundene Eingriff in die persönliche Freiheit sei angesichts der veränderten Sicherheitslage der Bundesrepublik Deutschland nach 1989 nicht mehr gerechtfertigt. Auch eine Freiwilligenarmee könne die Verteidigungsaufgaben erfüllen, deshalb sei der mit der Wehrpflicht verbundene Eingriff in die Grundrechte unverhältnismäßig und nicht mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar.
Diese Frage wird nun dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt.
Widerspruch erntete das Urteil bei CDU und SPD. Der CDU- Bundestagsabgeordnete und Grundgesetzkommentator Scholz nannte das Urteil absurd. Die Wehrpflicht sei in der Verfassung verankert (Art. 12a GG) und könne daher nicht verfassungswidrig sein. Auch Verteidigungsminister Scharping meinte, das Urteil werde keinen Bestand haben. Er halte an der allgemeinen Wehrpflicht fest, auch weil sie Deutschland vor einem Anspruch auf weltweites militärisches Engagement schütze. Die Verteidigungsexpertin der Grünen Beer nannte die Entscheidung längst überfällig. Die Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär rechnet mit einem weiteren Akzeptanzverlust der Wehrpflicht und ansteigenden Verweigerungszahlen. Das Bundesverfassungsgericht entschied schon mehrmals, daß die Wehrpflicht verfassungskonform sei, zuletzt 1978, wobei es allerdings betonte, daß auch ein Freiwilligenheer verfassungsmäßig wäre. Die Entscheidung liegt gemäß Art. 12a GG beim Gesetzgeber. Laut Bundesverfassungsgericht kommt es dabei jedoch nicht auf die Stärke der Landesverteidigung an, sondern darauf, das Gefühl der Mitverantwortung für die Allgemeinheit zu stärken. An diesem Ziel hat sich wohl auch nach Ende des Kalten Krieges nichts geändert. Das Bundesverfassungsgericht wird wahrscheinlich an seiner Rechtsprechung festhalten.
Hoffentlich regt dieses Urteil zumindest eine gesellschaftliche Diskussion über die Wehrpflicht an, die besonders vor dem Hintergrund des Kosovokrieges aktuell ist.

Tessa Fuhrhop, Göttingen

Quellen:

taz vom 22.3.99, 24.3.99; Süddeutsche Zeitung vom 23.3.99; General Anzeiger vom 22.3.99; Pressemitteilungen der Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär vom 16. und 19.3.99; BverfGE 12,45,50; 48,127,159ff.