Heft 4 / 1999:
Verfassungspotentiale?
50 Jahre Grundgesetz
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Politische Justiz
 

Weitere Prozesse wegen Konsulatsbesetzung

Bisher sind sechs Strafverfahren gegen Kurden wegen der versuchten Besetzung des israelischen Generalkonsulats in Berlin am 17.02.1999 beendet. Zwei Jugendliche wurden vom Jugendschöffengericht zu je vier Wochen Dauerarrest verurteilt (FoR 3/1999, 106). Drei Kurden erhielten eine Freiheitsstrafe von je neun Monaten und ein weiterer Kurde zwei Jahre Haft jeweils auf Bewährung. Noch sind über 20 Strafverfahren wegen der Ereignisse um das Konsulat anhängig und in vielen weiteren Fällen dauern die Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft an.
Im laufenden großen Kurdenprozeß vor dem Berliner Landgericht hob das Gericht Ende August 1999 die Haftbefehle gegen drei Kurden auf, die seit mehr als einem halben Jahr in Untersuchungshaft waren. Der Vorsitzende der Strafkammer erklärte, nach der bisherigen Beweisaufnahme komme eine von der Staatsanwaltschaft geforderte Verurteilung der vier Angeklagten wegen schweren Hausfriedensbruchs, besonders schweren Landfriedensbruchs und der Bildung einer bewaffneten Gruppe nicht mehr in Betracht. Es seien allenfalls Bewährungsstrafen wegen einfachen Hausfriedensbruchs zu erwarten. Daher lägen keine Gründe für eine weitere Inhaftierung vor. Die Verteidigung hatte von Anfang an gegen die Anordnung der Untersuchungshaft protestiert, da sie von Beginn an unverhältnismäßig gewesen sei.
Die Aussagen von Polizeizeugen und die Vorführung eines Polizeivideos hatten die Vorwürfe gegen die Angeklagten nicht belegen können, sondern den Verdacht bestätigt, daß die israelischen Sicherheitsbeamten entgegen der offiziellen Version nicht in Notwehr und auch außerhalb des Konsulatsgebäudes auf die DemonstrantInnen schossen. Die Berliner Staatsanwaltschaft will die Wachleute trotzdem nicht anklagen, da sie sich außer Landes befinden und über diplomatische Immunität verfügen.
Quellen: die tageszeitung (taz) berlin v. 09.09.1999, 19; 20.07.1999, 16; 11.08.1999, 20; 01.09.1999, 19; Die Rote Hilfe 3/1999, 12.

Durchsuchungen wegen Gelöbnix-Protesten

Nach den medienwirksamen Protesten gegen das öffentliche Gelöbnis von Bundeswehrsoldaten am 20. Juli 1999 in Berlin im sogenannten Bendlerblock durchsuchten BeamtInnen der Staatsschutzabteilung des Landeskriminalamtes drei Tage später 14 Privatwohnungen und die Büroräume der JungdemokratInnen/Junge Linke wegen gemeinschaftlich begangenem Hausfriedensbruch und Urkundenfälschung. In der Presse war über gefälschte Einladungskarten spekuliert worden, mit denen sich die DemonstrantInnen Zutritt zu der Veranstaltung verschafft hätten. Sie selbst machten keine Angaben, wie sie auf das Gelände gelangten. Die BeamtInnen beschlagnahmten sämtliche Computer, Drucker, Adreßdateien und zwei Regenschirme mit der Aufschrift "Tucholsky hat Recht" und "Bundeswehr abschaffen". Die JungdemokratInnen/Junge Linke protestierten gegen die Durchsuchungen und Beschlagnahmen, da sie mit ihrer Protestaktion nur die grundgesetzlich geschützten Rechte auf Meinungs- und Demonstrationsfreiheit wahrgenommen hätten.
Quellen: Tageszeitungen v. 21.07.1999; taz berlin v. 26.07.1999, 19; Phantasie ist keine Straftat, Solidaritätsaufruf der JungdemokratInnen/Junge Linke, Juli 1999.

Strafbefehle wegen Anti-Kriegsaufruf

In dem "Aufruf an alle Soldaten, die am Jugoslawien-Krieg beteiligt sind" heißt es "Verweigern Sie Ihre weitere Beteiligung an diesem Krieg! [...] Eine Beteiligung an diesem Krieg ist nicht zu rechtfertigen. Verweigern Sie deshalb Ihre Einsatzbefehle! Entfernen Sie sich von der Truppe! Lehnen Sie sich auf gegen diesen Krieg!" Er erschien unterzeichnet von 28 KriegsgegnerInnen in der tageszeitung vom 21. April 1999 und rief damit die Berliner Staatsanwaltschaft auf den Plan. Auf Ihr Betreiben hin erließ das Amtsgericht Berlin gegen zehn UnterzeichnerInnen Strafbefehle wegen öffentlicher Aufforderung zu Straftaten in Höhe von 2 500,- bis 7 000,- DM. Die Staatsanwaltschaft behauptet, die Angeklagten hätten öffentlich durch Verbreiten von Schriften zu rechtswidrigen Taten, nämlich Fahnenflucht und Gehorsamsverweigerung, aufgerufen. Ein Teil der Betroffenen legte Einspruch gegen den Strafbefehl ein, um in der dann folgenden Hauptverhandlung die Auseinandersetzung um den Jugoslawienkrieg noch einmal öffentlich zu führen. Nach Ansicht der UnterzeichnerInnen handelte es sich um einen völkerrechts- und grundgesetzwidrigen Angriffskrieg der Bundesrepublik im Rahmen des NATO-Einsatzes gegen Jugoslawien.
In drei Fällen lehnte eine Richterin den Erlaß eines Strafbefehls ab, da den Beschuldigten nicht nachzuweisen sei, daß sie vorsätzlich zu Straftaten aufgerufen haben. Gegen diese Entscheidungen hat die Staatsanwaltschaft sofortige Beschwerde eingelegt.
Der Sprecher der Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär, Ralf S., hat wegen eines Plakates mit dem Text "Desertiert aus allen kriegsführenden Armeen" einen Strafbefehl über 1 200,- DM erhalten. Mit dem Plakat soll er Bundeswehrsoldaten zur Desertation aufgefordert haben. Auch Ralf S. hat Einspruch gegen den Strafbefehl eingelegt, die Hauptverhandlung steht noch aus.
Quellen: taz berlin v. 20.08.1999, 22; 11.08.1999, 20; Pressemitteilung des Komitees für Grundrechte und Demokratie v. 17.08.1999.

Bundesanwaltschaft sucht Hakenkrallen

Am 06.07.1999 durchsuchten BeamtInnen des Bundeskriminalamtes im Auftrag der Bundesanwaltschaft (BAW) zehn Wohnungen und drei Betriebe in Berlin, Hamburg, Bremen und im Landkreis Lüchow-Dannenberg wegen des Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung und gefährlicher Eingriffe in den Bahnverkehr. Die Beschuldigten sollen 1996 und 1997 an Hakenkrallenanschlägen auf das Schienennetz der Bundesbahn beteiligt gewesen sein, um gegen Castor-Transporte zu protestieren. Außerdem konstruierte die BAW in bewährter Manier aus den Beschuldigten eine terroristische Vereinigung "Autonome Gruppen" um mit Hilfe des § 129 a Strafgesetzbuch ermitteln zu können. Bei der Aktion "Goldene Hakenkralle" beschlagnahmte die BAW diverse Computer, Datenträger, Schriftstücke und Werkzeuge.
Quellen: taz v. 07.07.1999, 4; Offener Brief zu den Hausdurchsuchungen vom 06.07.1999 von diversen Anti-Atom-Gruppen, Juli/August 1999.