Heft 1 / 2001:
Fragwürdige Dienstleistung
Bundeswehr im Umbruch
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Geschichte einer Totalverweigerung
 

Den Kriegsdienst total zu verweigern bedeutet, weder zur Bundeswehr zu gehen noch Zivildienst zu leisten. Die Gründe dafür sind zahlreich: militärische Einplanung des Zivildienstes, Zivildienst als Zwangsdienst, Zivildienst als unsozialer Dienst, Zivildienst als notwendige Stütze der Wehrpflicht etc., um nur einige zu nennen.
Alles begann bei mir, wie bei fast allen wehrpflichtigen Männern in Deutschland, mit der Musterung. Am 9. November ´94 wurde ich im Kreiswehrersatzamt Bad Oldesloe gemustert und für tauglich befunden, wenn mir auch aufgrund einer leichten Wirbelsäulenkrümmung der Einsatz als Feldjäger oder bei der Gebirgstruppe verwehrt bleiben würde.
Sofort kündigte ich meine Verweigerung an, schickte die schriftliche Begründung an das Bundesamt für den Zivildienst (BAZ) und erhielt zwei Monate später folgenden Bescheid: "Sie sind berechtigt, den Kriegsdienst mit der Waffe zu verweigern". Da ich noch bis Juni ´95 zur Schule gehen würde und im Herbst nach Greifswald ziehen wollte, ließ ich mich zurückstellen und suchte mir eine Zivildienststelle in der Kindertagesstätte "Dino" in Greifswald, wo ich im Oktober auch tatsächlich hinzog. Kurz vor meinem Umzug erhielt ich den Einberufungsbescheid zum 1. Februar 96, angekündigtes Dienstende: 28. Februar ´97.
In Greifswald begann ich, mir verstärkt Gedanken über den Zivildienst zu machen. Hatte ich ihn zuvor noch als pragmatische Lösung akzeptiert, stiegen jetzt die politischen Bedenken. Gemeinsam mit einem Freund, der seinen Zivildienst gerade angetreten hatte, beschloß ich, "total" zu verweigern. Mein Freund brach daraufhin seinen Zivildienst ab, ich ging zu meiner zukünftigen Dienststelle und unterrichtete den Leiter von meiner Entscheidung. Er hatte erstaunlicherweise Verständnis für meine politischen Ansichten, außerdem mußte der Kindergarten eh demnächst wegen gekürzten Geldern schließen.
Deshalb zog das BAZ im November ´95 dann auch den Einberufungsbescheid zurück und schlug mir vor, doch in der Uni-Klinik Greifswald anzufangen. Am 23. Januar ´96 kam ein erneutes Schreiben des BAZ: Ich hätte nun doch am 1. Februar in der Kindertagesstätte anzufangen. Laut meinem Kalender vom Jahr 1996 besuchte ich am 1. Februar Freunde in Hamburg - am 29. Februar jedenfalls kam eine "Aufforderung zum Dienstantritt", ein Disziplinarverfahren wegen "eigenmächtigem Fernbleiben vom Dienst" wurde eingeleitet. Es tat mir unglaublich gut, ein solches Schreiben einfach zu ignorieren und mit dem fortzufahren, was ich gerade machen wollte: politische Arbeit, Volxküche, Fahrradselbsthilfewerkstatt und Reisen.
Nach einem weiteren Monat Fernbleibens vom Dienst dann eine erneute "Aufforderung zum Dienstantritt", jetzt für die "Züssower Heime", da die Kindertagesstätte "Dino" inzwischen dichtgemacht hatte. Ein Jahr lang hörte ich nun nichts mehr. Inzwischen war ich in den Landkreis Lüchow-Dannenberg, östlich von Lüneburg, gezogen und hatte eine Ausbildung zum Zimmerer angefangen.

Das Verfahren nimmt seinen Lauf

Im März ´97 bekam ich eine Vorladung zur Polizei am Wohnort meiner Eltern - gegen mich würde ein Ermittlungsverfahren wegen "eigenmächtiger Abwesenheit vom Zivildienst" laufen und ich hätte nun die Möglichkeit, Beweiserhebungen zu meiner Entlastung zu beantragen. Ich rief an und sagte Bescheid, daß ich nicht kommen werde.
Im Mai beantragten zwei Freunde von mir, beides selber Totalverweigerer, die Zulassung als Wahlverteidiger. Obwohl über ihren Antrag noch nicht entschieden war, keine Akteneinsicht gewährt wurde und ich noch nicht einmal eine Anklageschrift bekommen hatte, erhielt ich am 3. Juli ´97 eine Vorladung zur Gerichtsverhandlung am 17. Juli Ich rief den Richter an und erhielt eine Woche später die Rücknahme der Vorladung. Zwei Monate später erhielt ich dann die Anklageschrift, am 7. Januar ´98 wurden meine Wahlverteidiger endgültig abgelehnt, da das Landgericht Lüneburg vermutete, daß es ihnen "in erster Linie um die Durchsetzung politischer Ziele und erst in zweiter Linie um die Verteidigung des Angeklagten geht". 1
Daraufhin übernahm die Hamburger Rechtsanwältin Gabriele Heinecke die Verteidigung. Am 18 März ´98 kam dann die Ladung zum Prozeß, der am 16. April vor dem Amtsgericht Dannenberg stattfand. Der viel zu kleine Verhandlungsraum war voller Freunde und UnterstützerInnen, einige mussten leider draußen bleiben. Der Staatsanwalt verlas die Anklage. Ich verlas erst sehr angespannt, später etwas lockerer meine 11-seitige, hochpolitische Prozeßerklärung. Rechtsanwältin Heinecke hielt ein erstklassiges Plädoyer. Der Staatsanwalt erinnerte, daß Totalverweigerung trotz der gewissenhaften Gründe eine Straftat bleibt und schließlich verurteilte mich Jugendrichter Stärk zu 60 Tagessätzen á 40 DM.
Vier Monate nach dem Prozeß bekam ich dann wieder Post vom BAZ: die Heranziehung zum Zivildienst am 4. Januar ´99 wurde mir angekündigt. Da mir jedoch bis zum Januar ´99 keine Zivildienststelle zugewiesen wurde und ich keine weitere Einberufung erhielt, blieb diese Ankündigung folgenlos. Die Geldstrafe konnte ich nach langem Ringen mit der Staatsanwaltschaft bis auf bereits bezahlte 500 DM bei der "Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg" für einen umgerechneten Stundenlohn von ca. 6,60 DM abarbeiten. Damit scheint meine Totalverweigerung endgültig abgeschlossen zu sein.

Persönliche und politische Einschätzung der TKDV

Oft habe ich mich gefragt, ob es sinnvoll war, das alles zu tun. Die ganze Geschichte hatte auch zahlreiche unangenehme Aspekte für mich:
Als ich mich zu dem Schritt, den Zivildienst nicht anzutreten, entschloss, war die Sache für mich klar: Ich würde keinen Zwangsdienst leisten, schon gar nicht einen, der zur Legitimation und Aufrechterhaltung der Wehrpflicht und damit der Bundeswehr dient und darüber hinaus im Rahmen der "zivil-militärischen-Zusammenarbeit" direkt in Verteidigungsstrategien eingeplant ist. Zivildienstleistende werden in manchem militärstrategischem Papier als problemlos einsetzbar fürs Minenräumen, Blindgängerentschärfen und vor allem zur Aufrechterhaltung der Ordnung im Hinterland und zur Versorgung der Streitkräfte gehandelt - halt alles, was nicht unter "Kriegsdienst mit der Waffe" fällt. Also meine klare Entscheidung: da mache ich nicht mit.
Dazu kam ein gewisser Anreiz der Anerkennung, die so eine Totalverweigerung mit sich brachte und mit sich bringt: TKDV ist in der linksradikalen Szene hoch angesehen, alle finden es toll, und viele geben zu, daß sie sich das nicht getraut hätten. Ich will nicht sagen, daß das ausschlaggebend war, aber es wäre falsch zu leugnen, daß auch solche Aspekte oft in linker politischer Arbeit eine gewisse Bedeutung haben.

Zwischen Angst und Anerkennung

Von dem Moment meiner Entscheidung bis zu meinem Prozeß vergingen jedoch gut 2,5 Jahre - eine lange Zeit, wenn man Anfang 20 ist und in der linken Szene herumspringt. Ich lebte mittlererweile ganz woanders, hatte jetzt zwar ein recht geregeltes Arbeitsleben aber dafür keine feste politische Einbindung mehr, und als mir der Prozeßtermin zugestellt wurde, hatte ich gerade Streit mit meinem Mitbewohner und Streß in meiner Beziehung. Ich hatte unglaubliche Angst, in den Knast zu gehen (auch wenn die Wahrscheinlichkeit recht gering ist, werden doch immer wieder Leute zu Haftstrafen ohne Bewährung verurteilt) und außerdem Angst vor der Gerichtsverhandlung an sich. Bin ich sonst eigentlich ein recht selbstsicher auftretender Typ, fühlte ich mich doch gerade in jener Zeit recht unsicher und mir war doch klar, daß eine Gerichtsverhandlung nicht der Ort für Unsicherheiten und menschliche Regungen ist.
Auch waren mir während der letzten Zeit zunehmen Zweifel am Sinn der TKDV gekommen. Zwar hielt ich es immer noch für eine grundsätzlich richtige Sache, fragte mich aber zunehmend nach der politischen Wirkung und ob es demnach sinnvoll sei, solch Risiken wie Knast oder hohe Geldstrafen einzugehen. Denn wenn auch jeder TKDVer in "seinem" Prozeß versucht, Gewissensgründe geltend zu machen, die ihn nur so und nicht anders hätten handeln lassen, so war doch mir zumindest klar, daß ich auch hätte Zivildienst leisten können (das muß allerdings nicht für alle Totalverweigerer gelten). Sicher wäre es mir schwer gefallen, aber eingegangen wäre ich an meiner Gewissensnot nicht.
Letztendlich gibt es ziemlich viele Dinge in dieser Gesellschaft, die ich kaum mehr mit meinem Gewissen verbinden kann. Ich halt das Schul- und Unisystem für mehr als problematisch und doch sind viele von uns froh, Abi gemacht zu haben und studieren zu können. In Jobs lassen wir uns auf z.T. unglaubliche Ausbeutungsverhältnisse ein, von anderen Unterdrückungsverhältnissen wie dem Patriarchat oder Rassismus profitiere ich selber alltäglich.
Mindestens ebenso große Gewissenskonflikte wie mit der Wehrpflicht habe ich z.B. mit der deutschen Asyl- und Ausländergesetzgebung und dennoch üben nur wenige Menschen praktische Solidarität mit Flüchtlingen. Wenn wir als TKDVer Haft- und Geldstrafen riskieren, warum dann nicht, indem wir illegalisierte MigrantInnen verstecken oder über die Grenze schmuggeln ?
Ich glaube, daß die Totalverweigerung ihre politische Hochachtung durch das direkte Verhältnis zum Staat bekommt. TKDV ist einer der wenigen politischen Bereiche, in denen die Grenze zwischen "uns" und "dem Staat" so klar ist. Selten kann Mann sich so direkt dem System verweigern und den Anspruch des Staates auf Kooperation zurückweisen.
Für mich stellt die TKDV eine Möglichkeit politischen Handelns unter vielen dar, und zwar eine, deren politische Effektivität ich manchmal als eher zweifelhaft empfinde. Wer nimmt sie überhaupt noch wahr in dieser Gesellschaft ? Ich habe mich oftmals gefragt, für wen ich das überhaupt mache - um mir selber gegenüber konsequent zu erscheinen ? Wenn ich in den Knast gemußt hätte, wäre ich dann immer noch davon überzeugt gewesen, etwas politisch sinnvolles gemacht zu haben ? Seine politische Zuspitzung und Öffentlichkeitswirkung erfährt die Totalverweigerung (abgesehen von den Gesprächen und Auseinandersetzungen mit Freunden und Familie) in aller Regel erst durch den Prozeß, bei dem dann meist 30-50 UnterstützerInnen und ein Reporter des Lokalblattes zuhören. Die Einbettung in eine darüberhinausgehende politische Bewegung, wie dies z.B. in Spanien durchaus der Fall ist, fehlt in Deutschland leider fast vollständig.
Ich will damit gar nicht gegen die Totalverweigerung reden. Ich halte es aber für wichtig, daß jeder TKDVer für sich überlegt: Kann ich mit dem Prozeß, dem vorausgehenden Hin und Her und vor allem mit den möglichen Folgen umgehen ? Was bewegt mich dazu, an dieser Stelle ein solches Risiko einzugehen ? Eine Totalverweigerung ist aufreibend, kostet Kraft und Nerven und kann schwere Folgen haben. Es kann sowohl politisch wie auch persönlich oftmals sinnvoll sein, diese Kraft für andere Bereiche zu haben.

Jan Bieback lebt Hamburg und studiert Pädagogik.

Anmerkungen:

1 Vgl. Oehrlich, FoR 2000, S. 123.