Heft 3 / 2001:
Datenspuren
Überwachung in der digitalen Welt
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Wohnortwechsel mit Folgen
 

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat mal wieder in bezug auf ausländerrechtliche Angelegenheiten gesprochen. Es geht hierbei um eine Klage einer sechsköpfigen Familie aus Libanon, der 1996 aufgrund von Abschiebungshindernissen eine räumlich unbegrenzte Aufenthaltsbefugnis gem. § 53 Abs. 6 Ausländergesetz iVm § 70 Abs. 1 Asylverfahrensgesetz in Niedersachsen erteilt wurde. Nach einem Umzug nach Berlin wurde die Aufenthaltsbefugnis verlängert. Allerdings wurde der - erlaubte - Wohnortwechsel bemerkt und daraufhin die Sozialhilfeleistung eingestellt.
Diese Maßnahme stützt sich auf den umstrittenen § 120 Abs. 5 Bundessozialhilfegesetz (BSHG), der vorschreibt, daß AusländerInnen, die eine räumlich nicht beschränkte Aufenthaltsbefugnis besitzen, wenn sie sich außerhalb des Bundeslandes aufhalten, in dem die Aufenthaltsbefugnis erteilt worden war, die Sozialhilfe verweigert werden darf. "Glorreicher" Zweck dieser Regelung soll sein, eine finanzielle Belastung von Sozialhilfeträgern einzelner Bundesländer zu vermeiden. Die mögliche Einführung einer belastungsgerechten Verteilung der Sozialhilfeleistungen gem. § 107 BSHG verwarf das BVerfG, da dadurch nicht dem Mißbrauch der mehrfachen Inanspruchnahme der Sozialleistungen entgegengewirkt werden könne. Der weitere erzieherische Zweck des § 120 Abs. 5 BSHG ist es, die Einhaltung der ausländerrechtlichen Aufenthaltsbeschränkungen zu forcieren.
Ein Verstoß gegen das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit gem. Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz ist laut BVerfG durch diese Beschränkung nicht ersichtlich. Zwar steht dieses Grundrecht, das die freie Wahl des Aufenthaltsortes und des Wohnsitzes in Deutschland einschließt, auch AusländerInnen zu, Einschränkungen "im überwiegenden Interesses der Allgemeinheit" sind aber zulässig, wenn der unantastbare Bereich privater Lebensgestaltung nicht berührt wird.
Im vorliegenden Fall ist dieser nicht verletzt, da der Familie die freie Wahl des Wohnortes entsprechend ihrer Lebensvorstellung in Niedersachsen gewährt wird. Laut BVerfG dient dies auch den AusländerInnen - für ihre Integration in Deutschland.
Die momentane Lage der libanesischen Familie wird dabei herzlich wenig gewürdigt. Diese lebt bereits seit 4 Jahren in Berlin. Ein Umzug würde sie sehr hart treffen. Die Kinder gehen dort zur Schule. Der Ehemann erzielt aus einer geringfügigen Beschäftigung Einnahmen. Außerdem wurde ihnen mitgeteilt, daß eine Wohnung am ursprünglichen Aufenthaltsort nicht zur Verfügung stehe.
Das BVerfG läßt die schwierigen und harten Konsequenzen des Urteils für die Familie kalt - viel zu groß muß die Angst vor AusländerInnen sein, die unkontrolliert und wild auf der Suche nach immer mehr und mehr staatlichen Geldern quer durch Deutschland ziehen und ...

Annelie Jaschinski, Berlin.

Quelle:

BVerfG, 1 BvR 781/98, vom 9.2.2001, www.bundesverfassungsgericht.de