Heft 4 / 2002:
Aus dem Westen was Neues
Interessenpolitik durch Rechtsexport
xxx

Anna Luczak Zum ersten Artikel des Schwerpunkts Zum ersten Artikel des Forums Zur Rubrik Recht kurz Zum Sammelsurium Zur Rubrik Politische Justiz Zur BAKJ-Seite
Guter Trick
 

Schon früher hatten planende Kriminelle in Italien in bestimmten strafverfahrensrechtlichen Vorschriften ein gern gebrauchtes Instrument zur Verhinderung von Verurteilungen. Sie konnten "berechtigte Zweifel (legitimo sospetto) an der Unabhängigkeit" der für ihre Verfahren zuständigen Behörden äußern und so erreichen, dass die Zuständigkeit für Ermittlung und Entscheidung auf einen anderen Bezirk verlagert wurde. Bei geschickter Ausnutzung dieser Regelung kam es dazu, dass die Verfahren von Gericht zu Gericht so lange weitergereicht wurden, dass entweder die Ermittlungen und deren Ergebnisse völlig undurchschaubar geworden waren, so dass kein Nachweis der Taten mehr geführt werden konnte, oder dass Verjährung eingetreten war. Ein Beispiel hierfür war das Verfahren wegen eines Anschlags der so genannten schwarzen Terroristen 1969 in Mailand, das von Mailand nach Catanzaro (Calabrien) verlegt wurde, wo es mangels Sachnähe nicht angemessen ermittelt und verhandelt werden konnte.
Mit der Reform des italienischen Strafverfahrensrechts Ende der achtziger Jahre wurde diese Regelung abgeschafft, um derartigen Missbrauch zu verhindern.
Dreizehn Jahre später jedoch wurde diese praktische Regelung wieder neu entdeckt. Am 1. August 2002 hat der italienische Senat hat mit den Stimmen des Mitte-Rechts-Bündnisses ein Gesetz verabschiedet, das eben diese Verschiebung der Zuständigkeit von Behörden auf andere Bezirke wegen "berechtigtem Verdacht" auf Voreingenommenheit wieder ermöglicht. Gleichzeitig läuft die Verjährungsfrist unverändert weiter, so dass dem endgültig entscheidenden Gericht schließlich sehr viel weniger Zeit zur Behandlung der Sache zur Verfügung steht, als wenn die Zuständigkeit von Anfang an in einem Bezirk gelegen hätte. Der Verdacht liegt nahe, dass das Gesetz, das im September sehr wahrscheinlich ohne Probleme die Abgeordnetenkammer passieren wird, nicht von ungefähr zu einem Zeitpunkt beschlossen wurde, zu dem gerade in Mailand ein Verfahren gegen Ministerpräsident Berlusconi kurz vor dem Abschluss steht. Wenn dieser laufende Prozess, in dem es um Korruption und Finanzfälschungen geht, der neuen Regelung entsprechend in eine andere Stadt verlegt werden würde, so stünden Berlusconis Chancen nicht schlecht, dass die Taten bis zum Verfahrensabschluss verjährten. Neben dem italienischen Ministerpräsidenten kommt das neue Gesetz natürlich auch den alten Bekannten von der Mafia und anderen Kriminellen, die sich Rechtsbeistand leisten können, der die prozessrechtlichen Regelungen in geschickter Weise für seine MandantInnen zur Anwendung bringen kann, zugute.

Anna Luczak, Freiburg