Heft 4 / 2002:
Aus dem Westen was Neues
Interessenpolitik durch Rechtsexport
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Interessenpolitik durch Rechtsexport
 

"Ja, dann geh' doch in den Osten!" - empfahl man früher aufmüpfigen KapitalismuskritikerInnen. Nachdem der Kapitalismus nun weltweit grenzenlos agiert, gilt dieser Hinweis heute nicht mehr. Im Gegenzug begibt sich nun eine ganz andere Sorte systemveränderungswilliger Personen auf den Weg in die ehemals sozialistisch regierten Staaten Osteuropas: die RechtsberaterInnen. Seit 1989/1990 findet ein in der Geschichte dieser Länder einzigartiger Rechtstransformationsprozess statt mit dem Ziel, marktwirtschaftliche Strukturen zu implementieren und die Angleichung an die westlichen Staaten zu fördern.
Aber nicht nur dort ist Rechtsberatung in das Zentrum deutscher und europäischer entwicklungspolitischer Aktivitäten gerückt. Neben der Reform des Wirtschaftsrechts in Osteuropa liegen Schwerpunkte in der Reform des Strafrechts in Lateinamerika und bei der Förderung von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten in Afrika.

Dies wird in diesem Heft zum Anlass genommen, allgemeinere Überlegungen zur Übertragbarkeit und Rezeption von Recht(snormen) anzustellen: In der Gegenwart findet sich rezipiertes Recht häufig als Folge von Imperialismus. Recht wird teilweise freiwillig aber auch erzwungenermaßen übernommen. So wollen die rezipierenden Staaten den Anschluss an marktwirtschaftlich weiterentwickelte Systeme finden, nicht selten aber üben andere Staaten Gewalt und Erpressung aus, um ihre Interessen mittels des Rechts durchzusetzen.
Dabei bleibt zu klären, inwieweit es überhaupt gerechtfertigt ist, von der Freiwilligkeit von Rezeption zu sprechen. Das Weltgeschehen und damit im wesentlichen der Welthandel wird heute stark vom Recht der WTO und deren führende Staaten bestimmt. Daraus resultiert ein erheblicher Anpassungsdruck für kleinere Staaten, ihr Recht "freiwillig" "WTO-kompatibel" zu machen.

Können aber daneben geschriebene Rechtsnormen auch Medium für autonome Prozesse sein? Verkörpern sie auch abstrahierbare Erfahrung, sind also flexibel und verallgemeinerbar, dass sie auch in neuen sozialen Zusammenhängen, beispielsweise in den asiatischen Kulturen, neu ausgefüllt und weiterentwickelt werden können?

Oder aber kann die bürgerliche Rechtsordnung grundsätzlich nicht als Werkzeug für Emanzipation dienen? Sondern sind deren Normen Teil der Erschaffung der Illusion des freien gleichen Privateigentümersubjekts, die tatsächlich nur eine Abstraktion von der tatsächlichen Verschiedenheit der Menschen darstellt? Eine Illusion, die die Menschen davon abhält, ihre wirkliche Natur zu erkennen und eine ihr angemessene Gestaltung von Gesellschaftsstrukturen zu verwirklichen?